Deutsche-Bank-Chefvolkswirt: „Die Euro-Krise wird 2011 weitergehen“
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Der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Thomas Mayer, warnt im Interview vor Staatspleiten, wackligen Banken und Verlusten für Anleihebesitzer: „Ich würde mich nicht wundern, wenn Portugal in absehbarer Zeit auch unter den Rettungsschirm schlüpfen muss.“
26. Dezember 2010 Herr Mayer, werden wir im nächsten Jahr zur D-Mark zurückkehren?
Thomas Mayer Nein, sicherlich nicht.
Warum nicht? Ich denke, dass sich der Euro halten wird. Wir haben so viel politisches und ökonomisches Kapital in den Euro investiert, dass ein Auseinanderbrechen der Eurozone für uns kostspieliger wäre, als beim Euro zu bleiben.
Aber die Euro-Krise wird uns auch 2011 weiter beschäftigen? Auf jeden Fall. Zumindest im ersten Quartal. Danach, hoffe ich, trifft die Politik Entscheidungen, die mehr Klarheit bringen, so dass sich die Märkte wieder beruhigen.
Was für Entscheidungen? Es muss klar sein, wie künftig die Gläubiger von Staatsschulden bei Schuldenkrisen beteiligt werden. Und es muss klar sein, wie der Weg zu dem ab 2013 geplanten Stabilisierungsmechanismus aussieht. Beides ist bislang sehr vage. Deshalb sind die Anleger verunsichert. Das ist so, als ob Sie den Patienten in den Operationssaal führen und ihm dann sagen: Der Arzt studiert gerade die Operationstechnik.
Haben denn die jüngsten Beschlüsse auf dem EU-Gipfel keine Klarheit gebracht?
Nein. Er hat große Linien festgelegt, aber die Details bleiben offen.
Es wird ja sogar wieder über einen europäischen Währungsfonds diskutiert. Der Vorschlag ist vom Frühjahr. Es sollte jetzt nicht mehr debattiert, sondern beschlossen werden. Im Januar nimmt der Druck der Märkte wieder zu, dann muss klar sein, wohin die Reise geht.
Wäre der Fonds eine gute Lösung? Ja, dann würde der Fonds, besetzt mit Finanzexperten, unabhängig von der Politik über die Rettung und die Umschuldung von Staaten entscheiden. Die Politik war bisher mit den vielen praktischen Fragen überfordert.
Sollen die Gläubiger nur in Zukunft bei Staatspleiten beteiligt werden - oder auch schon bei den bestehenden Schulden? Ich denke, wir müssen sie auch schon in Fällen wie Griechenland und möglicherweise Irland beteiligen. Ohne eine Umschuldung dürfte zumindest Griechenland kaum seine Schuldenlast senken können.
Das würde aber die Gläubigerbanken hart treffen. Die müsste dann gegebenenfalls der Staat wieder kapitalisieren. Das ist besser, als Staaten zu retten, um die Banken zu retten.
Und dann müssten wir im nächsten Jahr keine weiteren Staaten mehr mit Hilfspaketen vor der Pleite bewahren? Zusätzlich zu Griechenland und Irland würde ich mich nicht wundern, wenn Portugal in absehbarer Zeit auch unter den Rettungsschirm schlüpfen muss.
Kann Portugal das verhindern? Portugal wäre gut beraten, zügig unter den Rettungsschirm zu gehen. Irgendwann wäre es wohl sowieso fällig. Man könnte eine Hängepartie abkürzen.
Also selbst wenn das Land ein massives Sparprogramm auflegte, hätte es keine Chance? Diese Länder haben ein Glaubwürdigkeitsproblem. Sie könnten zwar jetzt ein Sparprogramm veröffentlichen. Aber es dauert zu lange, bis man sieht, ob es funktioniert. Deshalb bleiben die Märkte skeptisch.
Und Spanien? Spanien, Italien und Belgien müssten mit ihren Schulden klarkommen können. Wenn die Aufregung weg ist und alle sich wieder auf die fundamentalen Wirtschaftsdaten konzentrieren, müsste Spanien aus dem Schneider sein. Spanien steht viel besser da als Griechenland, Irland oder Portugal.
Den Politikern gelingt es, die Investoren zu beruhigen? Ja, durch mehr Klarheit und Transparenz. Die Märkte können sich ja auch auf einmal drehen. Die können sehen, dass eine Rendite von fünf Prozent für ein Land mit einer Staatsschuldenquote von etwas über 60 Prozent durchaus attraktiv ist. Die Leute suchen ja auch Rendite. Wenn Sie da die Angst wegnehmen, dreht sich das auf einmal.
Aber gegen Spanien wird doch schon spekuliert? Was ich sehe, sind Fondsmanager, die sich nicht trauen, spanische Anleihen zu kaufen. Denen würde helfen, wenn das Risiko der Umschuldung eines Landes der Eurozone kalkulierbar wäre. Wenn sich der Anleger also ausrechnen kann, wie viel er im schlimmsten Fall bei einer Umschuldung verliert. Die Verunsicherung im Moment ist so groß, weil keiner genau weiß: Wann rettet Europa wen zu welchen Kosten.
Wenn ich als möglicher Käufer spanischer Staatsanleihen aber weiß, dass ich bei Ausfällen beteiligt werde - mache ich dann nicht einen großen Bogen darum? Nein. Wenn man das Risiko kalkulieren kann, bildet sich einfach ein angemessener Marktzins für die Anleihen.
Bleibt das Risiko eines Staatsbankrotts nicht trotzdem? Ja. Aber man hat dann Planungssicherheit.
Würden dann die Renditen der Staatsanleihen zum Beispiel für Spanien weiter steigen? Ich glaube, das Misstrauen gegenüber Spanien ist übertrieben. Deshalb könnten ihre Renditen sogar sinken, wenn nächstes Jahr mehr Klarheit herrscht.
Werden dann im Gegenzug im nächsten Jahr die Renditen für Bundesanleihen steigen? Ich denke schon. Aber nicht unbedingt wegen der Schuldenkrise im Euroraum. Eher, weil die langfristigen Zinsen überall steigen werden.
Auch wenn weitere Länder in Europa unter den Rettungsschirm schlüpfen müssen? Wenn Spanien gerettet werden muss, hängt das sehr von den Umständen ab.
Inwiefern? Wenn Deutschland sagt: Das war das letzte Mal, nach Spanien machen wir bei keiner Rettungsaktion mehr mit - dann gehen die Anleger aus Angst vor einem großen Finanzkrach raus aus allen risikoreichen Anlagen und rein in die deutschen Staatsanleihen. Deutschlands Renditen würden dann noch weiter sinken.
Und der andere Fall? Spanien wird gerettet und Deutschland kann sich nicht erwehren, immer weiter mitzuretten. Es gibt Euro-Anleihen für alle. Dann schießt die deutsche Rendite nach oben, weil Deutschland selbst finanziell überfordert wird.
Und wenn Spanien unter den Schirm gehen muss - nehmen sich die Märkte dann das nächste Land vor? Ich fürchte ja. Spanien hat fundamental keine schlechteren Daten als Italien oder Belgien. Es steht sogar nicht so viel schlechter da als Frankreich. Wenn Spanien unter den Schirm geht, wird sich die Spekulation auf den Nächsten richten.
Und dann kämen die Eurobonds? Nicht unbedingt. Natürlich könnten die Euroländer ihre schwächsten Staaten schützen, indem sie gemeinsame Anleihen auflegen. Aber die Bundesregierung ist entschieden dagegen. Wahrscheinlicher ist deshalb wohl, dass die Europäische Zentralbank einspringen muss und die Anleihen aufkauft - und so zur Bad Bank Europas wird. Das wäre eine gewaltige Belastung für die Zentralbank.
Wie sieht es mit den Geschäftsbanken aus? Könnten die überhaupt einen Gläubigerverzicht im nächsten Jahr überstehen? Griechenland, Irland, Portugal könnten die Banken verkraften. Wer die Staatsanleihen schon jetzt zu Marktwerten in den Büchern hat, für den würde sich überhaupt nichts ändern. Das ist aber die Minderheit.
Und die anderen Banken? Für die anderen gäbe es Abschreibungsbedarf. Für einzelne Institute sähe das problematisch aus. Aber das sind die üblichen Verdächtigen, die ohnehin verstaatlichte HRE, die Landesbanken und Ähnliche. Die müssten sich wieder an den Staat wenden.
Rechnen Sie denn damit, dass 2011 weitere Banken ausfallen? Ja. Das europäische Bankensystem ist durch die Finanzkrise noch geschwächt. Schauen Sie sich nur den spanischen Sparkassensektor an. Aber auch in anderen Ländern gibt es Wackelkandidaten.
Dann gerät der Kurs des Euro im nächsten Jahr kräftig unter Druck? Ich glaube nicht. Die Amerikaner haben selbst zu viele Schwierigkeiten, als dass der Dollar gegenüber dem Euro stärker wird.
Aber der Schweizer Franken und das Pfund könnten gegenüber dem Euro gewinnen? Der Franken bleibt natürlich weiter unter Aufwertungsdruck. Das Pfund dagegen leidet unter den Schwierigkeiten, die England hat.
Wer wird denn mehr wachsen, Amerika oder Europa? Amerika. Aber das Wachstum dort reicht nicht aus, um die Arbeitslosigkeit deutlich zu reduzieren. Und das Land hat als eines der wenigen noch keine Pläne, die immense Verschuldung zurückzuführen.
Wächst Amerika auch stärker als Deutschland? Ja, aber Deutschland wird unter den großen Euroländern am meisten zulegen.
Was bedeutet das für die deutschen Aktien? Werden sie sich weiter von allen Sorgen unbeeindruckt zeigen? Ich rechne mit einer erfreulichen Entwicklung. Die Dax-Unternehmen sind eher von China abhängig als von der Schuldenkrise in Europa. Und für China rechne ich nur mit einer leichten Abschwächung des Wachstums, vielleicht neun statt zehn Prozent Wachstum. Dann müsste sich der Dax weiter gut entwickeln.
Das Gespräch führten Dyrk Scherff und Christian Siedenbiedel
Text: F.A.S. Bildmaterial: Helmut F. / F.A.Z. |