Interview mit Professor Abelhauser. Interessante Fragen aber noch interessantere Antworten http://www.westfalen-blatt.de/nachricht/...arden-nicht-zu-kitten/613/
Zitat: Bielefeld (WB). Ein System fester Wechselkurse – das hat es in Europa von 1974 bis 1999 gegeben. Nach Ansicht von Prof. Werner Abelshauser wäre eine Rückkehr dem Euro vorzuziehen. Mit dem Wirtschaftshistoriker sprach Bernhard Hertlein.
Um mit einer aktuellen Frage zu beginnen: Warum haben Sie den Aufruf der 160 Ökonomen zum Bürgerprotest gegen die EU-Beschlüsse unterzeichnet?
Werner Abelshauser: Es ist Zeit für einen Weckruf. Man muss ja sonst den Eindruck haben, es gäbe in Europa gar keine Alternative zu den immer noch größeren Rettungsschirmen und noch mehr Staatsverschuldung.
Allerdings blieb der Weckruf nicht unwidersprochen...
Abelshauser: Das war zu erwarten. Wir, die 200 Unterzeichner des Manifestes, legen Wert darauf, dass wir unabhängige Ökonomen sind. Unsere Widersacher stehen wie Michael Hüther den Arbeitgebern oder wie Peter Bofinger und Gustav Horn den Gewerkschaften nahe. Ich fühle mich nur meinem Berufsethos verpflichtet. Und die Ergebnisse meiner Forschungen sagen mir: Selbst wenn es gelingt, die Euro-Staaten kurzfristig zu stabilisieren, so ist das Problem doch nicht gelöst. Es gibt Bruchstellen, an denen es wieder auseinandergehen wird. Nur sind wir dann einige hundert Milliarden Euro ärmer.
Die Zahl derer, die eine Währungsreform befürworten, wächst. Dabei können sich die wenigsten Deutschen persönlich an eine Währungsreform erinnern, bei der sie wirklich Vermögen verloren haben. Welche Folgen hatten Währungsreformen in der Vergangenheit für die Anleger und die Bevölkerung?
Abelshauser: Sehr unterschiedliche – je nachdem, ob es sich um eine Währungsumstellung oder um eine echte Währungsreform gehandelt hat. Die Einführung des Euro war nur eine Umstellung und blieb für den Einzelnen ohne größere Folgen. Eine Währungsreform gab es in Deutschland zuletzt nach der Katastrophe des Zweiten Weltkrieges. Damals sind 93,5 Prozent aller Geldvermögen verloren gegangen. Eine solche Reform droht derzeit jedoch ganz und gar nicht. Eine Umstellung der Währung könnte sich hingegen als sinnvoll erweisen.
Wie hat man sich eine Reform vorzustellen?
Abelshauser: Sie kommt, wenn sie kommt, auf jeden Fall über Nacht – zu einem Zeitpunkt, an dem die Regierenden zu der Erkenntnis gelangen, dass die Risiken nicht mehr beherrschbar sind.
Wann könnte das konkret sein?
Abelshauser: Zum Beispiel wenn Bürgschaften fällig werden. Dann gilt der alte Grundsatz: Einen Bürgen kannst Du würgen. Dann bliebe den Politikern gar nichts anderes übrig, als der Realität ins Auge zu sehen, um aus der Sackgasse herauszukommen.
Sie sagen, der Weg ins Risiko sei ganz und gar nicht alternativlos. Was schlagen Sie vor?
Abelshauser: Ein System fester Wechselkurse. Es sollte in Europa möglichst alle Staaten umfassen – auch Nicht-Euro-Staaten wie Großbritannien und selbst Nicht-EU-Mitglieder wie Norwegen und die Schweiz. Ein solches System, bei dem selbstständige Währungen zu weitgehend festgelegten Kursen gehandelt werden, wäre viel flexibler als die gegenwärtige Einheitswährung.
Aber würde die Rückkehr zu den vielen Währungen nicht die Unternehmen belasten?
Abelshauser: Wenn die Schwankungen sich in einem engen Rahmen bewegen, können die Firmen damit gut wirtschaften. Nach diesem Muster hat das europäische Währungssystem bereits von 1974 bis 1999 funktioniert. Allerdings waren damals nur wenige Staaten beteiligt.
Und eine gewisse Fluktuation gab es auch...
Abelshauser: Italien ist viermal, Frankreich sogar fünfmal aus der Währungsschlange ausgetreten. Das sollte in einem ähnlichen System auch künftig möglich sein. Denn so können Staaten, denen Währungsdisziplin schwerfällt, durch Abwerten und Korrekturen ihrer Wirtschaftspolitik weiter machen, ohne das Währungssystem zu sprengen. Gegebenenfalls können sie später in die Währungsschlange zurückkehren. Historisch gesehen gibt es eine ähnliche Wirtschaftskultur zwischen Skandinavien und Norditalien, zwischen Seine und Oder. In dieser Region könnte zu einem späteren Zeitpunkt ein neuer Anlauf für eine einheitliche europäische Währung gestartet werden.
Die Hyperinflation von 1923 hat sich fest im kollektiven Gedächtnis der Deutschen verankert. Könnte sie sich trotzdem eines Tages wiederholen?
Abelshauser: Jeder Zeit. Die historische Erfahrung zeigt allerdings, dass Hyperinflationen nur dann eintreten, wenn eine Währung vollkommen zerrüttet ist. Das war in der Vergangenheit meist nur nach einem verlorenen Krieg oder einer gewaltigen Wirtschaftskrise der Fall.
Wie real ist die Gefahr, dass die hohe Staatsverschuldung in Europa überhaupt zu einer Inflation führt?
Abelshauser: Diese Gefahr ist allerdings sehr real. Die jüngsten Erfahrungen mit Inflation in Europa datieren in die siebziger Jahre. Damals kletterten die Preise in Deutschland jährlich in der Spitze um sechs Prozent und in den Nachbarländern noch höher. Man muss kein Prophet sein, um zu wissen, dass dies wegen der hohen Staatsverschuldung wieder eintreten wird.
Glaubt man Politikern, so lässt sich die Schuldenlast aber auch durch Sparsamkeit und Wirtschaftswachstum verringern...
Abelshauser: In China vielleicht, und in Indien. Doch in nachindustriellen Volkswirtschaften wie der unsrigen ist schon ein Wachstum von zwei Prozent ein großer Erfolg. Unter dieser Voraussetzung und bei einer nur zweiprozentigen Inflation würde es 17-einhalb Jahre dauern, um die daraus sich ergebenden Verpflichtungen zu halbieren – von einem Abbau ganz abgesehen. Diesen gab es zuletzt 1883 unter dem damaligen Präsidenten Andrew Jackson in den USA. Der Gründer der Demokratischen Partei hat es tatsächlich zwei Jahre lang geschafft, die Staatsschulden auf Null zurückzufahren. Realistischer ist es, die Schuldenlast zu relativieren. Wenn man zwei Prozent Wachstum mit der vielleicht noch tolerablen Preissteigerungsrate von sechs Prozent verbindet, verringert sie sich im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt innerhalb von knapp neun Jahren – wenn keine neuen Schulden dazukommen.
Dem Reichskanzler Heinrich Brüning haben Historiker vorgehalten, er habe mit seiner absoluten Sparpolitik den Aufstieg Adolf Hitlers begünstigt. Sehen Sie das auch so?
Abelshauser: Daran gibt es kaum Zweifel. Die Frage ist nur, ob Brüning so wenige Jahre nach der Hyperinflation frei handeln konnte. Das ist strittig. Aus heutiger Sicht wären jedoch kreditfinanzierte Ausgaben in der damaligen Situation richtig gewesen.
Und nun, im Fall Griechenlands?
Abelshauser: Wenn Verschuldung die Ursache des Problems ist, lässt sie sich nicht durch noch mehr Schulden im Euroraum beheben. Die Milliardenhilfen der EU werden ohne strukturelle Reformen noch nicht einmal ein Strohfeuer entfachen. Griechenland hat nach der Einführung des Euro von niedrigeren Zinsen profitiert und alle Anreize verloren, sein Geschäftsmodell weiterzuentwickeln. Nehmen wir den vielleicht noch wichtigsten Wirtschaftszweig, die Touristik. Griechenland ist heute etwa ein Drittel teurer als die Türkei, obwohl es Ähnliches bietet. Die Preise unter den Bedingungen des Euro auf türkisches Niveau zu senken, ist unmöglich.
Die Rückkehr zur Drachme hätte aber auch Nachteile...
Abelshauser: Sicher, insbesondere beim Warenimport. Doch die Belastung für die Menschen aus Lohnsenkungen und Rentenkürzungen müssten nicht so einschneidend sein. Vor allem: Es gäbe wieder Hoffnung. Unter den jetzigen Bedingungen aber ist die griechische Wirtschaft ein Fass ohne Boden.
Warum gibt es diese Unterschiede zwischen Süd- und Mitteleuropa?
Abelshauser: Ursache sind unterschiedliche Wirtschaftskulturen. Deutschland ist auf 40 Prozent der Weltmärkte führend. Das kommt nicht von ungefähr.
Was ist eine Wirtschaftskultur?
Abelshauser: Das sind historisch gewachsene Rahmenbedingungen der Wirtschaft. Die Art und Weise wie die Wirtschaft organisiert ist, wie die Menschen denken und handeln, welche Spielregeln sie akzeptieren usw. Daraus ergeben sich auf bestimmten Märkten Wettbewerbsvorteile. Es kommt darauf an, diese Vorteile zu pflegen und zu stärken. Europäische Wirtschaftspolitik müsste darauf Rücksicht nehmen und nicht alle Wirtschaftskulturen über einen Kamm scheren. Ein europäischer Einheitsstaat, den manche herbeisehnen, würde sich da sehr schwer tun. Die Vereinigten Staaten von Europa zu schaffen, würde nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich sehr lange dauern. Zitatende ----------- Wo Angst herrscht verkriecht sich die Vernunft. |