"Wir müssen weiter in den Kader investieren"
DORTMUND Er hat die Wandlung vom Buhmann zu einem der Taktgeber des vielleicht spanndensten Fußballprojekts in Deutschland vollzogen. Borussia Dortmunds Michael Zorc (48), dienstältester Sportmanager der Bundesliga, ist verantwortlich für die Zusammenstellung eines blutjungen Kaders, der das ganze Oberhaus in seinen Bann zieht.
Herr Zorc, trügt der Eindruck, dass niemand so erpicht auf Freizeit ist wie Sie? Michael Zorc: Bitte? Wie meinen Sie das?
Wer vornehmlich Spieler der Jahrgänge 1988 bis 1992 verpflichtet, hat doch auf Jahre Planungssicherheit und kann häufig frei machen… Zorc: (lacht) Es gibt sicher dauerhaft genug für mich zu tun. Wir gehen hier einen Weg, der bereits vor langer Zeit eingeschlagen wurde. Es ist ja nicht so, als hätten wir uns erst am 1. August zusammengesetzt und gesagt, wir wollen mit jungen Leuten mal ein bisschen Fußball spielen. Unsere Leistungen sind das Ergebnis einer Entwicklung, an der wir hart gearbeitet haben.
Ihr Kader steht mit 20 Millionen Euro in den Büchern. Transfermarkt.de handelt ihn mit 122 Millionen Euro? Wo liegt die Wahrheit? Zorc: Ich bin kein Freund dieser Vergleiche, sie hinken mit mindestens einem Bein. Ich weiß, dass wir viel Substanz erarbeitet haben für den Klub. Aber wir stellen nicht den vermeintlichen Wert und den Buchwert gegenüber und vergleichen das wöchentlich.
Der KGaA-Schuldenberg sank in den vergangenen Jahren auf unter 60 Millionen Euro. Wäre es nicht reizvoll gewesen, Lucas Barrios für 20 Millionen nach Kasan zu verkaufen, und die Last weiter zu drücken? Zorc: Nein! Weil unsere Finanzen jetzt geordnet sind, haben wir eine gute Möglichkeit, uns langfristig konkurrenzfähig aufzustellen. Ganz im Gegenteil müssen wir, um die Zukunft nachhaltig zu gestalten, in den Kader investieren. Die Spanne zu Vereinen wie Bremen, Leverkusen, Hamburg, Schalke oder Stuttgart müssen wir verkleinern. Andernfalls gefährden wir unsere sportliche Entwicklung.
Das heißt konkret? Zorc: Es gibt zwischen uns und den oben genannten Klubs Differenzen von zehn bis 20 Millionen Euro, die mehr in die Mannschaft investiert werden. Und das nachhaltig – also Jahr für Jahr. Diese Differenz müssen wir versuchen zu verringern. Jeder Euro, den wir hier erwirtschaften, muss in erster Linie in den sportlichen Bereich investiert werden.
Sie planen also, den Personaletat von 35 Millionen Euro deutlich aufzustocken? Zorc: Es geht darum, ihn langfristig anzugleichen. Alleine schon um den Kader zusammenzuhalten, wird man über kurz oder lang nicht mit dem gleichen Budget wie aktuell auskommen. Wir haben zwar einen eigenen Weg, aber den können wir ja nicht völlig von den Realitäten des Fußballgeschäfts abkoppeln.
Die vielen jungen Spieler besitzen vermutlich Staffelverträge, ihr Gehalt wird sukzessive steigen. Werden Sie auf Sicht nicht doch einen werthaltigen Transfer machen müssen, um steigende Kosten aufzufangen? Zorc: Wir erhoffen uns natürlich auch neue Erlösquellen und haben ja nicht umsonst den Bereich „Marketing & Sales“ unter der Leitung von Carsten Cramer geschaffen. Allerdings beinhaltet auch unser Geschäftsmodell irgendwann einen Transfer. Ich finde es übrigens schade, dass viele Medien uns auf den Jugend-Aspekt reduzieren. Wir bestehen keineswegs nur aus 21-Jährigen. Gegen Hoffenheim hat in Toni da Silva ein 32-Jähriger das 1:1 erzielt, und unser 30 Jahre alter Torhüter Roman Weidenfeller ist ein riesiger Rückhalt.
Weidenfellers Vertrag läuft aus, Paris St. Germain hat Interesse. Wird er in Dortmund verlängern? Zorc: Wir sind im Gespräch mit Roman, es gibt für uns keinen Grund, diesen Vertrag nicht zu verlängern.
Welchen Wert hat Erfahrung in Dortmund noch? Zorc: Das ist keine Frage, die man uns stellen muss. Erfahrungswerte sind im Fußball eminent wichtig.
Das Gros des Teams ist de facto sehr, sehr jung. Hand aufs Herz: Hätten Sie selbst vor drei Jahren gedacht, dass ein solches Modell Erfolg haben könnte? Zorc: Man muss sich doch bewusst machen, warum wir das alles so umgesetzt haben. Von uns wird erwartet, dass wir mithalten können mit Schalke, Bremen, Hamburg, Leverkusen, Stuttgart oder Wolfsburg. Doch diese Klubs investieren alle mehr als wir.
Also…? Zorc: …also musste ein Alternativmodell entwickelt werden. Wir mussten einen Weg finden, der sportlichen Erwartungshaltung, die in Dortmund schon aufgrund der mit Erfolgen gespickten Vereinshistorie vorherrscht, gerecht werden zu können. Dass viele junge Spieler heute deutlich besser ausgebildet sind als vor 10, 15 Jahren, hat dieses Alternativmodell erst möglich gemacht. Wir profitieren von den Leistungszentren der Vereine, in denen sehr professionell gearbeitet wird.
Was bedeutet das „Projekt BVB“ für die Bundesliga? Und in letzter Konsequenz für die Nationalmannschaft? Zorc: Die Nationalmannschaft hat schon während der WM von den Leistungen etlicher sehr junger Spieler profitiert. Jetzt und in der Zukunft bieten sich Joachim Löw weitere hochwertige Optionen, gerade auch vom BVB. Aber wir stellen uns nicht hin und sagen, wir hätten das Rad neu erfunden. Es gibt nicht nur einen Weg, der zum Erfolg führt. Das Prinzip, das bei uns funktioniert, muss nicht überall Sinn machen.
In Mario Götze haben Sie den stärksten 18-Jährigen Deutschlands. Folgt bald der beste 17-Jährige? Zorc: Wer soll das sein?
Moritz Leitner vom TSV 1860 München. Zorc: Er ist ein sehr, sehr interessanter Spieler, aber viel mehr kann ich dazu nicht sagen. Wir beteiligen uns grundsätzlich nicht öffentlich an Spekulationen.
KGaA-Chef Hans-Joachim Watzke hat Sie in unserer Zeitung jüngst als den sportlichen Ideengeber des BVB bezeichnet. Beschreiben Sie doch einmal das Wirken von Trainer Jürgen Klopp. Zorc: Für einen bestimmten Zeitraum ist immer der Trainer der wichtigste Mann in einem Verein. Jürgen Klopp ist der perfekte Trainer für den BVB. Deshalb würden wir die Zusammenarbeit mit ihm auch gerne ausdehnen.
Es lässt sich allerdings trefflich darüber streiten, ob es im schnelllebigen Fußball direkt ein Rentenvertrag sein muss - wie Watzke ihn Klopp zuletzt öffentlich anbot. Zorc: Diese Aussage an sich war, wenn Sie mich fragen, vor allem symbolisch gemeint. Aber das ändert nichts daran, dass wir Jürgen Klopp gerne lange behalten würden.
Sind Sie neidisch, dass Ihnen die Unendlichkeit nicht offeriert wird? Zorc: Nein, Klopps Vertragsverlängerung besitzt absolut die höchste Priorität.
Vor wenigen Jahren standen Sie massiv in der Kritik. Lebt es sich heute entspannter in Dortmund? Zorc: Natürlich ist es angenehmer, durch die Straßen zu laufen, wenn man oben steht. Ich habe allerdings damals gelernt, Kritik nicht so nah an mich heranzulassen.
Sie haben zum Schutz eine Mauer um sich gebaut? Zorc: Sonst hätte ich mich ja von einer Brücke stürzen müssen angesichts dessen, was über mich zu lesen und zu hören war. Ich mag die Extreme nicht. Weder im Positiven noch im Negativen. Ich kann auch das Lob, das zurzeit auf uns niederprasselt, gut einschätzen. Wenn wir drei Spiele in Serie nicht gewinnen, geht es ganz schnell wieder in die andere Richtung. Das übrigens sind Erfahrungswerte.
Am Sonntag trifft Dortmund auf Mainz. Der BVB hat sich beinahe zu einem Filialbetrieb des FSV entwickelt. Ist das Spiel schon angesichts der vielen persönlichen Verknüpfungen ein spezielles? Zorc: Für mich ist es ein ganz normales Spiel, auch wenn vier unserer Profis und ein Teil des Trainerstabs schon am Bruchweg aktiv waren. Aber für Jürgen Klopp ist die Partie natürlich alles andere als normal. Er war eben sehr, sehr lange in Mainz und hat nach wie vor unheimlich viele Freunde in dieser Stadt und beim FSV. Abgesehen davon spielt der Erste gegen den Zweiten, es ist also eine Menge Brisanz im Spiel.
Sehen Sie Parallelen zwischen beiden Klubs? Zorc: Ja, die gibt es. Ich glaube, dass sich die Verantwortlichen in Mainz und in Dortmund bei wichtigen Entscheidungen nicht von außen unter Druck setzen lassen.
Sollte am 27. Spieltag, wenn beide Klubs erneut aufeinandertreffen, noch immer der Erste den Zweiten bekämpfen – wäre das dann für Sie ein Spitzenspiel? Zorc: Wer zu diesem Zeitpunkt oben steht, hat sich das in den Monaten zuvor hart erarbeitet. Es ist auch jetzt kein Zufall, dass beide Teams erfolgreich sind. Aber diese Momentaufnahme hat eben keine Aussagekraft für die gesamte Saison.
Sind Sie mit Recht Zweiter? Zorc: Wir wehren uns nicht dagegen, wenn jemand das behauptet. Aber ich habe das Gefühl, dass in der Euphorie der eine oder andere vermeintliche Experte übertreibt. Inzwischen heißt es ja nicht mehr nur, wir könnten Meister werden. Ich habe auch schon gehört: „Wer außer dem BVB sollte Meister werden?“ Man bekommt ja fast das Gefühl, man müsse sich entschuldigen, wenn am Ende ein anderer den Titel holt.
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