Wahrheit: Der Glaube daran, dass Dinge wahr sind, begründet Entscheidungen und deren Vernunft. Dabei handelt es sich nicht nur um eine psychologische Notwendigkeit, sondern auch um die Form, mit der empirische Realität reproduziert oder verändert wird. Die NS Narrative vom jüdischen Schädling, dem fehlenden Lebensraum, einer historischen Mission der superioren arischen Rasse hatten zB einen ganzen Kontinent verändert - weil sie für wahr gehalten wurden. Deren Widerlegung schliesslich erfolgte nicht via stichhaltiger Gegenargumentation, sondern ganz praktisch - mit überlegerner Feuerkraft...
Daten: Diese sind selbst Narrative, schon weil der Standpunkt des Beobachters den Ausschnitt wählt. Ob und wie weit diese Narrative sich durchsetzen, hängt nicht von ihrer Validität ab, sondern von den Bedürfnissen des Sentiments - und von 'Feuerkraft', denn es kommt schon darauf an, WER da ein Narrativ in die Welt setzt...
Earnings: Deren Schrumpfen triggert nicht per se den Bärenmarkt, sondern nur in Abhängigkeit zu dem erreichten Stand im Zyklus. Dh also dann, wenn das Sentiment entsprechend long investiert ist, weil es makro optimistisch wird und die vorgelaufenen Kurse immer anspruchsvollere Erwartungen an zukünftige Earnings transportieren. Umgekehrt umgekehrt: Schrumpfende Earnings triggern einen Bullmarkt dann, wenn das Sentiment short oder seitline tendiert, weil es makro immer pessimistischer wird und immer weiter fallende Kurse nur noch Pleiten querbeet ankündigen. Siehe S&P KGV von 165 im Frühjahr 09 ..
Die herausragenden Earnings der postrecessiven Periode verdanken sich Deinvestment, Outsourcing, Mikrozins und nicht zuletzt dem Deficit Spending. Eine Umkehrung dieser Variablen sollte logischerweise zu umgekehrten Resultaten führen...
Makro: Der Staat agiert reaktiv - erst wenn und weil es brummt, zieht er sich mit Blick auf steigendes Steueraufkommen (so wie jetzt) aus dem Deficit Spending zurück. Nur dann werden NBs restiktiver und nur dann können die langen Zinsen steigen. Angenommen aber, ich täusche mich über den Stand im Zyklus, könnten Earnings und Bullmarkt noch weiter mit steigender Anfälligkeit zulegen. Einschränkung: Dieses 'Narrativ' gilt natürlich nicht für subalterne Zwergstaaten oder EMs...
Wirklichkeit: Erst wenn ich in Gedanken einen Schritt zur Seite mache und die Frage stelle, was passiert da eigentlich, relativiere ich Wirklichkeit zu einem Narrativ. In einem lebenspraktischen Sinne ist dies jedoch völlig unmöglich, es würde die Reaktionsfähigkeit paralysieren - was dann ja auch die Verachtung von Praktikern und 'Realisten' für 'Theoretiker' begründet. Lebenspraktisch behandle ich also die Variablen meines Lebens notwendig als wahr, wenn ich nicht scheitern will. ..
Sentiment: Das dominante Narrativ spiegelt sich im dominantem Sentiment - was abweichende Meinungen nicht ausschliesst, sondern voraussetzt. An der Börse ergibt sich nun aus rein technischen Gründen die nur scheinbar paradoxe Entwicklung, dass ein Narrativ / Sentiment, wenn es nur hinreichend dominant wird, schliesslich sein Gegenteil produziert. Denn Volumen, welches dem Markt entzogen wird, kann nicht mehr als Verkäufer autreten und Volumen, dass long investiert, nicht mehr als Käufer. Damit wird klar, dass an der Börse der Erfolg eines Narrativs zwangsläufig seinen Absturz einleitet...
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