nicht AfD, nicht Linkspartei, sondern von Heiner Flassbeck, ein deutscher Wirtschaftswissenschaftler. Er war von 1998 bis 1999 Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen und von Januar 2003 bis Ende 2012 Chef-Volkswirt bei der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung in Genf:
Die Klagen der Arbeitgeber über Fachkräftemangel, die alle paar Monate in die Öffentlichkeit lanciert werden, sind Ausdruck einer durch nichts zu rechtfertigenden Versorgungsmentalität der Arbeitgeber, die in den vergangenen Jahrzehnten entstehen konnte, weil die Arbeitslosigkeit durchweg hoch war.Diejenigen, die in ihren Sonntagsreden die Selbstheilung durch die Marktkräfte beschwören, werden sofort zu Anhängern des Staatsinterventionismus, wenn es um die Verfügbarkeit von Arbeitskräften geht. Der Staat hat jedoch keineswegs die Verpflichtung, für einen reibungslosen Nachschub an Arbeitskräften zu sorgen.
Besonders krass ist die Versorgungsmentalität der Arbeitgeber, wenn sie auch noch glauben, dieser Nachschub müsse zu immer gleichen Lohnkonditionen erfolgen.
Wer dringend Arbeitskräfte braucht, muss das tun, was man immer tut, wenn man ein knappes Gut nicht leicht erwerben kann: Man muss mehr Geld ausgeben. Nur dadurch kann man Potentiale am Arbeitsmarkt erschließen, die anders nicht zur Verfügung stehen. Doch wenn es um höhere Löhne geht, vergessen die Arbeitgeber immer gerne, dass sie sich in einer Marktwirtschaft befinden und nicht in einer Versorgungsanstalt des Staates. Die Politik hat selbst Schuld. Wenn Bundesminister um die halbe Welt reisen, um in einem Entwicklungsland Arbeitskräfte anzuwerben, muss sich ja der Eindruck aufdrängen, hier gehe es um eine genuin politische Angelegenheit. Einwanderung und Arbeitskräftemangel: Noch mehr Schizophrenie geht kaum nochArbeitskräftemangel bei Facharbeitern durch Einwanderung zu lösen, ist allerdings in einer Gesellschaft an Zynismus nicht mehr zu überbieten, die alles daran setzt, auch unter Missachtung der Menschenrechte die eigenen Grenzen für Zuwanderung aus Armut möglichst perfekt zu schließen.
Ganz selbstverständlich dürfen wir aus "unseren wirtschaftlichen Gründen" den Entwicklungsländern die dort ebenfalls dringend benötigten Fachkräfte abwerben. Gleichzeitig aber tun wir alles dafür, um Einwanderung aus wirtschaftlichen Gründen (den wirtschaftlichen Gründen der Migranten nämlich) zu verhindern.
Noch mehr Schizophrenie geht kaum noch. Auch Migranten kann man ausbilden, aber es kostet natürlich mehr, als wenn man schon in ihren Ländern auf Kosten von deren Steuerzahlern ausgebildete Arbeitskräfte abwirbt. Die Lösung des Problems ist einfach: Es gibt so viele Arbeitskräfte in einem Land, wie es gibt.
Woher nimmt man die Chuzpe zu sagen, wir müssen stärker wachsen, als wir es eigentlich können, und die Lücke muss durch die Einwanderung von gut ausgebildeten Fachkräften geschlossen werden?
Wenn die Gesellschaft in der Lage ist, ihren Wohlstand durch steigende Produktivität zu erhöhen, schön und gut. Wenn ihr das nicht gelingt, muss sie sich an das anpassen, was sie hat. Es muss gerade für die "wertebasierten" Nationen ein absolutes Tabu sein, sich am Arbeitskräftepotential anderer Länder zu vergreifen. Was uns in Wahrheit interessiertWas uns in Wahrheit interessiert, ist die Aufrechterhaltung unserer Gehaltshierachien. Wo kämen wir hin, wenn ein angestellter Dachdecker ein Viertel dessen verdiente, was der Personalchef eines Autokonzerns nach Hause trägt? Oder eine Zugbegleiterin die Hälfte des Einkommens eines Sparkassendirektors? Oder eine Pflegefachkraft Dreiviertel eines Lehrergehalts? Das wäre wirklich unerträglich. So weit wollen wir es mit der Marktwirtschaft wirklich nicht treiben. Fachkräfte müssen einfach reichlich und billig verfügbar sein, damit das oberste Fünftel in der Einkommenshierarchie weiterhin nicht nur absolut, sondern auch relativ im Luxus leben kann.
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