Joschka Fischer ist schon zu Leb- und Amtszeiten eine Legende. Der deutsche Aussenminister hält seit Jahren mit grossem Abstand und wachsender Tendenz, unbeschadet aller innen- und aussenpolitischen Turbulenzen, die Spitzenposition als beliebtester Politiker seines Landes. Doch nicht nur in Deutschland, auch weltweit steht Fischer in höchstem Ansehen, bei Linken ebenso wie bei Konservativen, in der Türkei nicht weniger als in Israel, bei Colin Powell so sehr wie bei Jassir Arafat. Dabei sind die konkreten Umrisse von Joschka Fischers Aussenpolitik nur schwer auszumachen. Vor einigen Jahren entwarf er die Vision der Vereinigten Staaten von Europa, die nach dem Vorbild des föderalistischen Aufbaus der Bundesrepublik Deutschland strukturiert sein sollten. Nach der Irak-Krise jedoch entdeckte er die Vorzüge eines als Vorreiter der europäischen Einigung agierenden «Kern-europa», bestehend hauptsächlich aus Frankreich und Deutschland. Beide Konzepte stiessen in diesem oder jenem Teil des Kontinents auf wenig Gegenliebe – dem persönlichen Nimbus Joschka Fischers konnte dies jedoch kaum irgendwo Abbruch tun.
Plumpes Täuschungsmanöver
Fest an Gerhard Schröders Seite hat Fischer, der sich gerne als glühender Transatlantiker zu erkennen gibt, das vorzeitige und kategorische Nein zu jeder deutschen Beteiligung am Irak-Krieg durchgehalten. Mit diplomatisch camouflierter Sturheit setzt er bis heute die Vorgabe der Schröder-Regierung um, dass nie ein deutscher Soldat je irakischen Boden betreten werde. Mit dem Ergebnis, dass die Ausbildung irakischer Offiziere, die der Bundeswehr im Rahmen der Nato-Irakhilfe zufallen, im arabischen Ausland durchgeführt werden muss – eine aufwendige Schummelei zum Zwecke des Glaubwürdigkeitserhalts bei den Wählern.
Generell sucht man eine zusammenhängende Konzeption in der deutschen Nahostpolitik vergebens. Man sah Fischer auf diversen dramatisch inszenierten Vermittlungsmissionen in Israel und Palästina, doch ausser dass er auf beiden Seiten mit wärmsten Worten der Anerkennung und Dankbarkeit empfangen und verabschiedet wurde, hat dies an der Eskalation des Konflikts nichts geändert. Den Iran hatte Deutschland gemeinsam mit Frankreich und England auf dem Wege der Vereinbarung zum Verzicht auf die Entwicklung von Atomwaffen bewegen wollen. Heute muss sich Fischer eingestehen, dass er einem plumpen Täuschungsmanöver des Regimes in Teheran aufgesessen ist. In der mittlerweile routiniert dargebotenen Pose des von der Sorge um den Weltfrieden umgetriebenen internationalen Staatsmanns legt er sein Gesicht in tiefe Falten und mahnt, Iran sei im Begriff, einen folgenreichen Fehler zu begehen. Eine klare Auskunft, wie sich seine Regierung zu verhalten gedenkt, sollte das iranische Regime seinen Mahnungen nicht Folge leisten, ist von ihm jedoch nicht zu erhalten. Und wird von einer deutschen Öffentlichkeit, die in Fragen von Krieg und Frieden noch immer gerne den Kopf in den Sand steckt, auch kaum verlangt.
Eile und Eitelkeit
Fischer versteht es meisterhaft, fehlende konkrete politische Perspektiven unter einer grandiosen floskelhaften Rhetorik verschwinden zu lassen. Vor Jahresfrist etwa verkündete er, Europa müsse besondere Anstrengungen darauf verwenden, dem Nachbarkontinent Afrika auf die Beine zu helfen. Doch währenddessen sah er, nicht anders als seine westlichen Amtskollegen, tatenlos dem Völkermord in Darfur zu, und bis heute ist von der internationalen Staatengemeinschaft nichts Ernsthaftes unternommen worden, um ihn zu stoppen. Immerhin, der chinesischen Regierung schrieb er, der bei Antritt der rot-grünen Koalition die Wahrung der Menschenrechte zu einem Hauptanliegen erklärt hatte, bei seinem Staatsbesuch in Peking vor einigen Monaten offen ihre fortgesetzten Menschenrechtsverletzungen ins Stammbuch. Gegenüber Putin aber hält er sich eisern an die Linie Schröders, den Freund im Kreml um keinen Preis durch öffentliche Kritik zu vergrätzen.
Weltwoche 42/2004 |