aus der WiWo und der FAZ (die Graphiken bei der FAZ waren sehr viel besser ;-))
--------------------------------- Atomkraft: Ja bitte!
Weltweit hat eine Renaissance der Kernenergie begonnen. Kann Deutschland weiter abseits stehen?
Finnland hat es sich nicht leicht gemacht, als sich der Strommangel abzeichnete. Wind wäre eine Lösung gewesen. Kohle hätte es sein können oder Erdgas. Doch einen Haken gab es bei jeder dieser Optionen: entweder zu unzuverlässig oder gefährlich für das Klima.
Jetzt bauen die Finnen das größte und modernste Kernkraftwerk der Welt: den European Pressurized Reaktor (EPR), entwickelt von dem deutsch-französischen Unternehmen Framatome ANP, in das Siemens sein Kernenergie-Know-how eingebracht hat. Der EPR ist leistungsfähiger und sicherer als jedes andere Kernkraftwerk in der Welt. Selbst bei einer Kernschmelze bleibt die Umwelt unbelastet. Eine Wanne aus Keramik fängt das flüssige Uran auf, eine mehrschalige Hülle um die komplette Anlage hält radioaktive Gase zurück. „Ein weiteres Signal dafür, dass die Kernenergie alles andere als ein Auslaufmodell ist“, wirbt Ralf Güldner, Vorsitzender der Kerntechnischen Gesellschaft in Berlin.
Das ist nicht nur Zweckoptimismus. Ob in Osteuropa, China oder Indien: Weltweit werden nach jahrelanger Zurückhaltung wieder neue Atomkraftwerke gebaut. Gründe sind vor allem Versorgungssicherheit sowie Umwelt- und Klimaschutz. Auch in Deutschland denken Unionspolitiker wie CDU-Chefin Angela Merkel, der bayrische Ministerpräsident Edmund Stoiber und sein baden-württembergischer Kollege Erwin Teufel schon laut über einen Wiedereinstieg nach.
Schützenhilfe vom Klimaforscher
Noch aber liegt die Kernenergie in Deutschland vorn. Damit geben sich Deutschlands Stromversorger erst einmal zufrieden. Bis in die Zwanzigerjahre können sie Atomstrom ohne politische Konflikte produzieren. „Niemand plant neue Kernkraftwerke“, verlautet aus den Vorstandsetagen der Energiemultis.
Wenn die ersten großen Kernkraftwerke abgeschaltet werden müssen, könnte das anders aussehen, zuverlässiger Ersatz ist nämlich nicht in Sicht. Sechs deutsche Kernkraftwerke sind unter den weltweit zehn, die im vergangenen Jahr den meisten Strom produziert haben. 15 der 18 Kernkraftwerke in Deutschland hatten eine Verfügbarkeit von mehr als 80 Prozent, zehn sogar von mehr als 90 Prozent. Sonne und Wind, die künftig die Hauptlast tragen sollen, schaffen gerade 10 bis 20 Prozent.
Und so diskutieren auch die Stromversorger, allerdings ganz leise und im kleinsten Kreis, über eine Renaissance der Kernenergie. Schützenhilfe bekamen die Befürworter kürzlich von James Lovelock, Wissenschaftler und Klimaforscher, – „ein Genie“, wie die britische Wissenschaftszeitschrift „New Scientist“ schrieb. Der 84-jährige Brite im Londoner „Independent“: „Ich bin ein Grüner, und ich beschwöre meine Freunde in der Umweltbewegung, ihre Opposition zur Kernenergie zu überdenken.“ Lovelock ist davon überzeugt, dass sich die Klimakatastrophe nur abwenden lässt, wenn nicht nur der Einsatz regenerativer Energien forciert, sondern auch die Kernenergie ausgebaut wird, die keine klimaschädlichen Gase emittiert.
USA einen Schritt voraus
Wenn in Deutschland auch der Neubau von Kernkraftwerken vorerst verpönt ist – vor allem wegen der nicht endgültig geklärten Frage, was mit den radioaktiven Abfällen geschieht –, könnte man jedoch, so interne Überlegungen, die Laufzeiten der Kernkraftwerke verlängern. Sie liegen in Deutschland bei 32 Jahren. 300 Milliarden Euro ließen sich bis 2020 allein durch eine Verlängerung auf im Ausland übliche 40 Jahre einsparen. Das hat Ulrich Wagner ausgerechnet, Professor für Energiewirtschaft und Anwendungstechnik der Technischen Universität München (WirtschaftsWoche 23/2004).
Die Kernkraftwerksbetreiber in den USA sind schon einen Schritt weiter. Scharenweise kreuzen sie bei den Genehmigungsbehörden auf, um die Laufzeiten zu verlängern. Sie erhielten bereits 23 Zusagen, 36 weitere sollen bald folgen.
In Osteuropa entstehen gleich zehn neue Reaktoren meist russischer Bauart, verfeinert mit westlicher Sicherheits- und Leittechnik. Vor allem Siemens macht sich hier einen Namen. Rumänien baut einen Block, Russland fünf, darunter ein schneller Brüter, den China und Japan mitfinanzieren. In der Slowakei und der Ukraine entstehen je zwei neue Reaktorblöcke. Die Bulgaren planen bereits Ersatz für zwei Blöcke, die auf EU-Druck abgeschaltet werden müssen. Sie wollen, wie bisher, Stromexporteure bleiben. 2003 lieferten sie fünf Milliarden Kilowattstunden vor allem an Griechenland, Mazedonien und die Türkei.
Weit größere Pläne hat China. Zusätzlich zu zwei Reaktoren vom russischen Typ WWER-1000, die sich im Bau befinden, hat die China National Nuclear Corporation angesichts von Engpässen in der Stromversorgung die Errichtung von zunächst acht weiteren Anlagen beantragt. Vier davon wollen die Chinesen mit eigener Technologie errichten, die übrigen Aufträge werden international ausgeschrieben.
In den Startlöchern für die Milliardenaufträge steht die gesamte kerntechnische Industrie: Framatome ebenso wie die russische Atomstroyexport, AECL in Kanada, die britische Westinghouse, die amerikanische General Electric, die japanischen Reaktorbauer Toshiba, Hitachi und Mitsubishi sowie die südkoreanische Industrie, die nach einer Westinghouse-Lizenz mehrere Kernkraftwerke im eigenen Land gebaut hat.
Insgesamt wollen die Chinesen, die ihren Strom bisher weit gehend aus veralteten und umweltbelastenden Kohlekraftwerken beziehen, bis 2020 gut 30 000 Megawatt zubauen. Das entspricht 19 Kraftwerken von EPR-Format und einer Investitionssumme von 30 Milliarden Dollar.
Setzt sich die Kohlelobby durch?
Auch in anderen asiatischen Regionen hat die Renaissance der Kernenergie begonnen. In Indien sind acht Anlagen im Bau. Im Iran vollendet die russische Atomindustrie einen der beiden von Siemens begonnenen Reaktoren, deren Bau nach der Revolution 1979 abgebrochen worden war. Fünf weitere sind geplant. In Südkorea ist gerade der 20. Reaktor in Betrieb gegangen, in Nordkorea und Taiwan sind je zwei im Bau.
Japan und Kanada wollen eingemottete Anlagen wieder in Betrieb nehmen. Und nachdem in Brasilien das einst so ehrgeizige Programm aus finanziellen Gründen drastisch reduziert wurde, hat die Diskussion um Neubauten jetzt begonnen. Im benachbarten Argentinien, das zwei Anlagen betreibt, ist eine dritte im Bau.
Und Deutschland? Können Wind und Sonne es doch noch richten? Oder setzt sich die Kohlelobby durch? Werner Müller, ehemaliger Bundeswirtschaftsminister und heute Chef des Essener Kohlekonzerns RAG, versichert schon fröhlich: „Wir produzieren Energiesicherheit.“ Oder geht es so wie in Schweden? 1997 beschloss dort das Parlament den Ausstieg aus der Kernenergie, die rund 50 Prozent des Strombedarfs deckt. Am 30. November 1999 schalteten die Betreiber zähneknirschend den ersten Reaktor ab, Barsebäck I bei Malmö. Dieses Schicksal blieb Barsebäck II erspart, weil sonst die Versorgungssicherheit Schwedens in Gefahr geraten wäre. Auch Block I lässt sich zur Not reaktivieren: Er ist zwar abgeschaltet, aber nicht endgültig außer Gefecht gesetzt.
WOLFGANG KEMPKENS (WiWo)
07.06.2004 ----------------------- MaMoe .... |