Thesen zur Demokratie
Weil die Rolle der (Regierungs-)Wahl oft als einziges Instrument und Indikator einer Demokratie genannt wird hier ein paar einfache Thesen zur realen Demokratieeinschaetzung als Nagelprobe fuer existierende Demokratien (sozusagen PW 101...):
1) Demokratien erfordern Transparenz in der Entscheidungsfindung
Ohne Transparenz bei der Entscheidungsfindung bleibt die Legislative eine Black Box. Kontrolle seitens des Volkes kann nicht stattfinden, bzw. die Eintrittshuerde ist so hoch das wiederum nur eine Wissenselite (mit eigener Interessenlage) sich gesichertes Wissen verschaffen kann -> kuenstlich aufgebaute Informationshierarchie, Buerokratie als exklusives Element. Diese Transparenz darf bei uns getrost in Frage gestellt werden, gesicherte Moeglichkeiten / einen verankerten Anspruch sich Wissen darueber beschaffen zu koennen gibt es de facto nicht. Die tatsaechliche Entscheidungsfindung findet hinter verschlossenen Tueren statt. Selbst bescheidenste Ansaetzte dem entgegenzuwirken (z.B. Informationsfreiheitsgesetz) werden be-/verhindert. Die Richtlinien fuer die gesetzgebende Koerperschaft sind ebenfalls alles andere als transparent. Abgeordnete sind zwar ihrem Gewissen verpflichtet, der Fraktionszwang setzt diese (vom Systemstandpunkt her laecherliche) 'Kontrollinstanz' aber in der Praxis ausser Kraft. Ohnehin ist dies kein geignetes Kriterium fuer ein Mandat, eine Festlegung des WaehlerInnenwillens fuer die Mandatszeit ist nicht gegeben (zB. Parteiwechsel innerhalb der Wahlperiode).
2) Einfluss nicht-demokratischer Instanzen auf den Entscheidungsfindungsprozess
In den Gesetzgebungsprozess fliessen viele Interessen ein, einige davon sind nicht demokratisch legitimiert (Lobbyismus, Vereine, Verbaende, Gewerkschaften, Interessengruppen -> z.T. intern demokratisch legitimiert, z.T. auch das nicht). Dies ist nie ganz auszuschliessen, und auch kein wirkliches Problem (z.T sogar wuenschenswert (->Punkt 3)), so lange die demokratischen Anteile deutlich ueberwiegen und eine Kontrolle des Prozesses durch diese jederzeit moeglich ist (nicht-demokratische Interessen duerfen sich nicht bedingungslos uber demokratische hinwegsetzten koennen). Dies kann aber bezweifelt werden, vor allem da der Einfluss der Interessnegruppen nach Punkt 1) nicht offengelegt ist. Die Qualitaet einer Demokratie haengt entscheidend von diesem Punkt ab, da er den Output des Systems bestimmt (ausgleichend, oder ueberwiegend zugunsten bestimmter Eliten).
3) Interessenaggregation
Um ueberhaupt Einfluss auf das politische System nehmen zu koennen ist es wichtig wie die Buendelung von Interessen im Vorfeld stattfindet. Dabei kann festgestellt werden, dass sich vertikale / Partikularinteressen (Einzelinteressen, Interessenvertreter mit hohem Einfluss) tendenziell besser buendeln lassen als horizontale / allgemeingesellschaftliche (z.B. Umweltschutz, Verbraucherinteressen). Aufgabe eines ausgleichenden (dem allgemeinwohl verpflichteten) Staates waere es, die Aggregation von horzontalen / nicht-partikularen Interessen zu schuetzen und zu foerdern, damit sie sich auf dem 'politischen Markt' auf Augenhoehe mit den Partikularinteressen-Vertretern sozusagen im freien Spiel der Kraefte messen koenn(t)en. Auch dies findet bei uns (IMHO) nur unzureichend statt. Daher kommt es zu einer Schieflage dessen, was man als 'allgemeines Volksinteresse' annehmen kann (schwieriger Begriff...), und dem was an der Spitze des politischen Entscheidungsfindungsprozesses 'oben ankommt'. Die Wahrung des 'allgemeinwohls' ist daher (bei uns) nicht garantiert (zumindest nicht aufgrund demokratischer, systemimanenter Prinzipien).
4) Medien / Informationsbeschaffung / Meinungsbildung
Um seine politischen Interessen wahrnehmen zu koennen muss es eine diversifizierte Quellenlage mit einfachen Zugangskriterien geben, damit eine freie Informationsbeschaffung, ergo freie Meinungsbildung ueberhaupt moeglich ist. D.h. nicht nur muess(t)en dissente Meinungen theoretisch zugaenglich, sondern sie muess(t)en auch ohne grosse (soziale, technische, monetaere) Huerden verfuegbar sein. Das hiesse zB. garantierter Zugang zu Massenmedien fuer dissente Meinungen / Minderheiten, offene Kanaele, keine redaktionelle Vorauswahl/Zensur (und eben hier ist das Internet trotz einsetzender Reglementierung (noch) ein Medium neuer Qualitaet, wenn man es auch immer wieder realistisch neu bewerten muss...). Im Vergleich mit anderen Staaten liegen wir hier zwar relativ gut, doch absolut gesehen ist auch dieser Bereich ausserst defizitaer (freiwillige Gleichschaltung der Medien im Kriegsfall, Zentralisierung der Besitzverhaeltnisse im Medienbereich (-> Weltweit z.Zt. *sehr* problematisch), Zensurversuche wie in NRW, etc.). Die Grundlage fuer 3), 2) und 1) ist daher nur sehr eingeschraenkt gegeben. Momentan ist weltweit ein hoechst bedenklicher Prozess im Gange der darauf abziehlt Wissen als immatrielles Gut viel staerker als bisher zu privatisieren / zensieren (Patent- und Kopier-, Rechte- & last but not least: die Terror-Diskussion). Dies behindert eine demokratische Entwicklung massiv (zugunsten der monetaeren Interessen der Rechteinhaber), entzieht ihr sozusagen mittelfristig einfach die Grundlage. Dazu kommen Zensurwuensche aus allen Richtungen, die - im Erfolgsfall - lediglich einen bürgerlichen Konsens-Pool uebriglassen, der geistig verarmt ist und keine Entwicklungsperspektiven aufweisen kann (sozusagen digitale Buecherverbrennung, oder Ideenverbrennung - siehe dazu diverse Artikel in der c't & Telepolis in letzter Zeit).
Man koennte das ganze noch um einige Punkte weiterfuehren, aber die Tendenz ist schon deutlich: Die Qualitaet eines demokratischen Systems haengt deutlich weniger von dem Faktor der Auswahl der Fuehrungselite (Parteien) ab, sondern von der tatsaechlichen Einflussnahme und Kontrollmoeglichkeit seitens des Volkes. Nach diesen Kriterien stehen westliche Demokratien durchaus nicht so gut da wie es zunaechst den Anschein hat. Nur ein aufgewecktes und kritisches Volk ist Garant einer lebendigen Demokratie und bietet Chancen auf eine positive Weiterentwicklung des Systems. Meine Befuerchtung ist allerdings, dass es eine deutliche Grenze zwischen den tatsaechlichen Machtverhaeltnissen auf Seiten 'des Volkes' (der unteren und mittleren Schichten) und einzelner Eliten gibt, und dass dieses Verhaeltnis weiter auseinanderdriftet. Wahlen aendern daran nur bedingt etwas / nichts, so lange keine echte Alternative zum bestehenden System zur Wahl gestellt wird. Da die Wahrung des Status quo aber im Interesse der (nicht oder wenig demokratisch legitimierten) Machtin-/ oder -teilhaberInnen innerhalb der Eliten liegt, gibt es wenig Hoffnung auf eine solche kompetitive Wahl. Oder auf deutsch: geht waehlen, oder nicht, es aendert sich nichts. Wichtig fuer den Staat ist nur die insgesamte Beteiligung zur Legitimation der Herrschaft. Von daher: Geht lieber nicht (oder ungueltig) waehlen wenn ihr eine gesellschaftliche Aenderung wollt. Die Parteien haben ein nur marginal abweichendes Bild der gesellschaftlichen Entwicklung, und die ist duester: Abbau sozialer Errungenschaften, Einschraenkungen der Buergerrechte, steigende Ueberwachung, Verknuepfung bisher getrennter Machtsaeulen (Legislative, Exekutive, Jurisdiktion), etc. pp. -> Der demokratische Einfluss der Menschen weltweit auf 'ihre' Demokratien nimmt in der Praxis nicht zu, sondern ab.
Glorreiche, westliche Demokratien? Bei nuechterner Betrachtung ist es mit dem hehren Anspruch weit weniger her als in der Regel (von den VertreterInnen ebendieser) behauptet wird. Welcher Staubsaugervertreter macht schon sein Produkt madig, von dem er im Zweifel als solche im Speck lebt? Die tatsaechliche Qualitaet eines 'demokratischen' Staates haengt weniger von Wahlen ab als meist vermutet wird, wenn diese auch die zentrale Grundlage darstellen - mehr aber auch nicht.
Aber Demokratie beginnt im eigenen Kopf, oder? Man muesste halt weniger bequem sein und nicht staendig versuchen die eigenen Interessen zu deligieren... denn das funktioniert einfach nicht. Wenn es gut gemacht sein soll - mach's selber. ;)
Gruesse, M.
P.S.: Alle Achtung, wenn du diesen Satz noch liest liegt deine Aufmerksamkeitsspanne deutlich ueber der der DurchschnittsurferIn... :) |