Der Solarkonzern Conergy
kämpft ums Überleben. Heute auf der Hauptversammlung droht eine Schlammschlacht - mit Vorstandschef Dieter Ammer in einer Hauptrolle.
Ein Conergy-Mitarbeiter präsentiert sein Produkt. Quelle: dpa
FRANKFURT. Als es persönlich wird, verliert Dieter Ammer für einen Moment die Contenance. Mit beiden Händen packt der Zwei-Meter-Hüne die Kanten des Rednerpultes, so als fürchte der Chef von Conergy, dass ihn der Ärger gleich umhauen könnte. Wie denn das Verhältnis zu seinem Vorgänger und Neffen Hans-Martin Rüter sei? Ammer hebt die Stimme: "Es gibt keinen Familienzwist. Das ist Unfug." Dann stellt er die Augen auf streng und lässt sie wie ein Radar einmal durch den Raum schweifen.
Das war auf der Bilanzpressekonferenz des Solarkonzerns Ende April. Conergy war mal, kaum 24 Monate ist es her, das größte Unternehmen für erneuerbare Energien in Europa. Nun muss Ammer erneut von Verlusten berichten, mehr als eine halbe Milliarde Euro in zwei Jahren. Conergy droht das Ende, aber ein Unternehmen, das ein Dieter Ammer führt, darf nicht scheitern.
Der Fall Conergy ist längst eine persönliche Affäre für Ammer, 58. Schon ehe er den Chefjob bei Conergy übernahm, war er so etwas wie ein Sonnenkönig: Aus ein paar Zuckerrübenbauern schuf er Nordzucker, die Biermarke Beck's verkaufte er teuer an Inbev, als Chef von Tchibo kaufte er Beiersdorf. Ammer kämpft um seinen Ruf. Auf der Hauptversammlung von Conergy heute in Hamburg eröffnet er eine neue Runde - und manches spricht dafür, dass den Aktionären eine Schlammschlacht geboten wird. Und bei so etwas kriegt meist jeder was ab.
Conergy war ein großer Traum. Erst mit Solarzellen, dann auch mit Windturbinen, Biogas- und Biomasseanlagen wollte der Konzern Geld verdienen. Eine Art Siemens für das 21. Jahrhundert, aber in Grün, das sollte Conergy werden. So wollte es Gründer und Vorstandschef Hans-Martin Rüter. Der hemdsärmelige Sonnyboy expandierte und expandierte. Das war leicht: Dank üppiger staatlicher Subventionen wuchs das Solargeschäft Jahr für Jahr um zwei-, manchmal gar dreistellige Prozentsätze.
2007 ist es vorbei. "Conergy war schlichtweg überdehnt", sagt ein Insider heute. Rüter hat sich übernommen, vor allem mit dem 250 Millionen Euro teuren Solarzellenwerk in Frankfurt an der Oder. Blass vor Neid hatte die Konkurrenz werden sollen: Vollautomatisch und supereffizient sollte die Fabrik sein. Aber die vielen Maschinen wollen nie zusammenpassen.
Also wird Rüter blass, er muss abtreten. Die Banken haben genug. Sie wollen jemanden am Ruder, dem sie vertrauen: Dieter Ammer. Schließlich kennt der Macher aus Bremen ja Conergy bereits, er hatte das Unternehmen einst mitgegründet und saß dem Aufsichtsrat vor. Klang nach einer perfekten Besetzung, damals, im November 2007.
Ammer durchforstete den Konzern. Was er findet, kann ihm nicht geschmeckt haben. Die Buchhaltung ist zum Teil auf dem Stand eines Tante-Emma-Ladens. In einigen Bereichen wird sie noch mit Exel gemacht. Die Umstellung auf SAP läuft nur schleppend. Unfassbar für einen TecDax-Konzern. Da kann einen schon mal die Wut packen über den Herrn Vorgänger.
Ammer handelt: Er verkauft Nebengeschäfte, 1000 Mitarbeiter müssen gehen, er will zurück zu den Wurzeln, zum Solargeschäft. Er müht sich um eine stabilere Finanzierung. Von Commerzbank und Dresdner Kleinwort erhält Conergy im Februar 2008 einen Kredit über 240 Millionen Euro; im Dezember bringt Ammer eine Kapitalerhöhung über 400 Millionen Euro durch. Wieder hilft ihm die Dresdner Bank, die heute Teil der Commerzbank ist. Damit gehören der Bank nun 37 Prozent an Conergy.
Wichtiger noch: Ammer nutzt seine persönlichen Kontakte und holt weitere namhafte Privatinvestoren an Bord. Der Metallmagnat Otto Happel und die Hexal-Gründer Andreas und Thomas Strüngmann steigen bei Conergy ein - wegen Ammer.
"Ohne seinen persönlichen Einsatz hätte Conergy wohl Insolvenz beantragen müssen", sagt Markus Neumann von der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK).
Conergy-Zentrale, Hamburg. Dieter Ammer sitzt auf dem Stuhl seines Vorgängers. "Wir haben 2008 auch nicht alles richtig gemacht", hat der Chef schon eingeräumt.
Und wie ist die Lage von Conergy nach der Kapitalerhöhung? Ammer nimmt ein Blatt und zeichnet: einen Strich von links unten nach rechts oben. Steil bergauf soll es endlich gehen, ist doch klar.
Aber dem Conergy-Chef will die Wende nicht glücken. Der Solarmarkt ist weltweit beinahe zusammengebrochen. Die Überkapazitäten, die der Boom aufgetürmt hat, rächen sich. Q-Cells kassiert eine Prognose nach der anderen, Solon legt die Fertigung so gut wie still. Kampfpreise regieren.
Insider nennen Conergy einen Zombie: Die Firma sei noch nicht tot, aber eben auch nicht mehr richtig lebendig.
Dieter Ammer findet, dass ausgerechnet ihm nun eine unternehmerische Niederlage droht, das habe ihm vor allem sein Neffe Rüter eingebrockt. Da ist der Vertrag mit dem Silizium-Lieferanten MEMC. Volumen: vier Milliarden Euro. Die Preise, zu denen Rüter abschloss, liegen weit über den heutigen am Markt. Folge: Rentabel wird die Fabrik in Frankfurt nie werden, verkaufen lässt sie sich so erst recht nicht. Rüters Deal reißt Conergy in die ewige Sonnenfinsternis.
Nun sucht Ammer, wie es scheint, nach einem Sündenbock. Den Aktionären schlägt er vor, Rüter die Entlastung für 2007 zu verweigern. Und sein Aufsichtsrat lässt die Prüfer von Ernst & Young und die Anwälte von Freshfields nach Belegen für Fehlverhalten von Rüter fahnden. Selbst Reisekostenabrechnungen und Spesenbelege wurden geprüft. Billige Rache? Ammer will die Untersuchung noch nicht einmal kennen. Das sei Sache des Aufsichtsrats, sagt er. Ach so.
Rüter weist alle Vorwürfe zurück, mag zurzeit aber nicht über Conergy reden.
Was der Ex-Chef sagen könnte, ist dies: Als Aufsichtsratschef hat Ammer viele der Entscheidungen mitgetragen, die er nun beklagt. Bei wichtigen Gesprächen saß er sogar mit am Tisch, heißt es. Warum er nicht eher eingriff, das will SdK-Vertreter Neumann daher heute auf der Hauptversammlung wissen: "Für mich ist unbegreiflich, warum nicht überprüft wird, ob es Pflichtverletzungen beim Aufsichtsrat gab."
Ammers Verbündete jedenfalls scheinen die Hoffnung sausen zu lassen, dass es dem Mann aus Bremen gelingt, Conergy noch zu retten. Anfang Mai hat Otto Happel bereits seine Beteiligung an Conergy von fast 15 auf 9,3 Prozent reduziert.