...und ich habe Verständnis für die naheliegende Annahme, den Bericht spontan für eine miese Attacke zu halten... Aber nach dem Schock wäre genug Zeit gewesen, diese initiale Abwehrreaktion zu überwinden und es neutraler zu betrachten, nüchterner...
Ich erzähle mal meine Zatarra-geschichte...
Damals stand ich an der S-Bahn und habe in den Google News gelesen "Kursrutsch bei wirecard nach Vorwürfen". Das war ungefähr um 17 Uhr. Zuhause habe ich versucht, den Bericht zu kriegen, das war nicht so einfach. Dan Mc Crum? Kannte ich nicht. GI Retail? hatte ich nie gehört. Wirecard unter Druck durch Shortseller, Leerverkäufer? Was sind bitte Leerverkäufer??? Abgesehen von Meldungen in den Googlenews hatte ich seit 2012 nichts mehr von wirecard gründlich gelesen. "Was? Die sind nach einem 25% Rückgang noch bei über 30 Euro? So teuer ist diese Aktie inzwischen???"
Ich schrieb dann eine Mail an Dan Mc Crum, was da los ist und ob er eine Kopie des Berichtes hat. Den bekam ich dann über irgendeine Downloadseite, Zatarra war unerreichbar. Deshalb habe ich auch zuerst den Bericht gelesen und erst dann die Zusammenfassung, nachdem die Zatarraseite wieder lief.
Den Bericht (also die 100 Seiten) hab ich schnell mal durchgelesen und habe mich dabei fast die ganze Zeit kringelig gelacht. Ich fand keine Erklärung für diesen heftigen Einbruch. Ich habe damals geschrieben, dass "mal wieder dubiose Vorwürfe erhoben wurden". Ich!
Dann hab ich "House of Wirecard" von Dan Mc Crum gelesen und ging schmunzelnd ins Bett. "Was ist DAS denn für ein Kerlchen..."
Am nächsten Tag war ich krank und lag über eine Woche im Bett. Da hatte ich Zeit, den Bericht zu sezieren. Danach war mir klar: Dieser Bericht ist der beste investigative Bericht zur Wirecard, den ich jemals gelesen habe.
Aber die Art und Weise, wie diese Fakten in Umlauf gebracht wurden, war für die Glaubwürdigkeit der Anschuldigungen völlig kontraproduktiv. Die Aggressivität der Zusammenfassung interpretierte ich so, dass da jemand Fakten gesammelt hat, womöglich über professionelle Detektive und dann losgeschlagen hat, um Wirecard eins auszuwischen. Ich dachte an Straub oder an frühere russische Partner, irgendwas in dieser Art.
Die "Wende" für mich war die "Alles-Lüge-Aussage" der Wirecard. Denn das passte nicht zu dem Bericht, dessen Sprengkraft mir auf den zweiten und dritten Blick ins Gesicht sprang.
Und dann stellte ich über einige Wochen Fragen an Zatarra. Die Antworten waren überzeugend (na gut, kann ja sein, dass ich dauernd nur mit der "bezahlten Rechercheabteilung" kommuniziert habe).
Das schreibe ich so ausführlich, weil ich Dir zustimme: Diese Zusammenfassung, dieses plakative Kursziel und die Aggressivität in Verbindung mit dem seltsamen Zufall, dass Dan Mc Crum den Bericht früh aufgegriffen hat, das sah schon sehr komisch aus.
Aber ich habe mich dann über Aktivisten schlau gemacht, habe mehrere solcher Berichte gelesen, die teils ähnlich gestaltet waren und ähnlich scharfe Zusammenfassungen enthielten, habe Unmengen an Artikeln gelesen, um mehr zu erfahren über die sachlichen Hintergründe zu Themen, die ich nicht beurteilen konnte.
Wie Du siehst, lief meine Beschäftigung mit den Vorwürfen ganz anders als bei "aktiven Aktionären". Als es dann überall hieß "das ist alles Schmarrn, was die da schreiben", reagierte ich mit der bis heute anhaltenden Besessenheit. Weil es einfach nicht stimmt.
Aber ich war gleichzeitig erstaunt über die Entwicklung der Wirecard. Was? Die kooperieren mit Apple? Mit Alipay? Die sind 6 Milliarden wert? Das passte alles vorne und hinten nicht zusammen.
Das Ergebnis kennst Du: ich halte Wirecard für eine starke Firma mit guten operativen Aussichten. Ich bin nicht so überzeugt wie Goldman Sachs, halte die Firma nicht für so konkurrenzlos, wie Markus Braun es sagt, halte sie schon gar nicht für so kaufenswert für Chinesen wie andere, aber bin insgesamt überrascht, wie gut sich die "WDI" entwickelt hat... und Zatarra? Kann ich nicht beurteilen. Und die Belege? Halte ich für großartig. nach wie vor.
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