zu diesem Thema hatte die SZ gestern einen interessanten Beitrag. Wegen der Bezahlschranke kopiere ich ihn mal:
Wie die Finanzindustrie junge Menschen ködert 28. Dezember 2021, 16:14 Uhr
Lesezeit: 5 min Banken: Für die Geldindustrie waren junge Erwachsene lange Zeit ein Kundenpool, in den es kaum ein Hineinkommen gab. Das hat sich inzwischen geändert.
Für die Geldindustrie waren junge Erwachsene lange Zeit ein Kundenpool, in den es kaum ein Hineinkommen gab. Das hat sich inzwischen geändert. (Foto: Arne Trautmann/PantherMedia/imago)
In den sozialen Medien geben Heranwachsende Anlagetipps - einige verdienen damit Hunderttausende. Nicht allen Followern dürfte klar sein, dass diese "Finfluencer" von Firmen bezahlt werden.
Von Harald Freiberger und Claus Hulverscheidt
Kryptos? Knifflig? Aber nicht doch! "Kryptos sind wie Ben und Jen", säuselt Haley Sacks, blendet ein Foto der Filmstars Ben Affleck und Jennifer Lopez ein und reißt die schwarz umrandeten Augen auf: "Sie sind aufregend, jeder spricht über sie, und niemand weiß, ob alles wirklich echt ist". Klar, Kryptowährungen schwankten stark im Wert. Was aber, wenn sie doch die Zukunft seien? "Wenn sie sich als Seelenverwandte erweisen" wie Ben und Jen, als exakt das Investment, das zu mir passt? Will man diese Chance verspielen? Zum Glück, sagt Sacks, gebe es da den Investmentdienst Wealthfront, der es Kunden jetzt ermögliche, in Bitcoin und Ethereum zu investieren - allerdings nur bis zu einer bestimmten Obergrenze. Damit sei man dabei, wenn die Party abgehe, aber vor allzu großen Verlusten geschützt. "Und vergesst nicht, mir zu folgen", flötet die junge Frau noch, bevor das Video endet.
Allein bei Instagram haben bisher rund 65 000 Menschen das kurze Filmchen angeschaut, es ist eins von Hunderten, die "Mrs. Dow Jones" auf verschiedenen Plattformen hochgeladen hat: Wo andere junge Frauen Schmink-, Kleidungs- oder Fitnesstipps geben, verbindet Sacks Promi-Tratsch geschickt mit Grundsatzfragen der Geldanlage - wie man die Höhe der Miete nachverhandelt, welche Handtaschenmarken wertbeständiger sind als Aktien, oder was es eben mit Bitcoin und Co. auf sich hat. "Mrs. Dow Jones", wohnhaft in New York, ist Influencerin für Finanzprodukte, oder kurz: Finfluencerin. Banken: Haley Sacks ist Influencerin für Finanzprodukte, kurz: Finfluencerin.
Haley Sacks ist Influencerin für Finanzprodukte, kurz: Finfluencerin. (Foto: privat/oh)
Für die Geldindustrie waren Teenager und junge Erwachsene lange Zeit ein Kundenpool, in den es kaum ein Hineinkommen gab. Geldanlage, Kapitalbildung, Altersvorsorge - das sind Vokabeln, die für junge Menschen nach einem Leben klingen, das sie an ihre Eltern erinnert und das sie nicht oder zumindest noch nicht führen wollen. Erst seit dem Siegeszug des Smartphones und der sozialen Medien werden sie verstärkt auf das Thema aufmerksam: Statt zum Bankberater zu gehen, können Wertpapiere heute über Apps gehandelt werden, die kaum etwas kosten und einfach zu bedienen sind. Ihre Information erhalten die Nutzer nicht aus dem Sparkassenprospekt, sondern aus Unterhaltungen in Netzwerken wie Reddit. Und wer wissen will, was passiv gemanagte Indexfonds sind und wie man mit Verkaufsverlusten Steuern spart, schaut Instagram- und Tiktok-Videos. Es ist eine Form des Bankings, die wie gemacht ist für eine Generation, deren erster Impuls "Youtube!" lautet, wenn ein Omelette gebraten oder ein kaputter Fahrradschlauch geflickt werden will. Manche Finfluencer erhalten für eine einzige Nachricht 8000 Dollar und mehr
Auch für Austin Hankwitz, der in der Finanzabteilung einer US-Krankenversicherung arbeitete, waren Tiktok-Videos lange Zeit nur ein Freizeitspaß nach einem mehr oder weniger spannenden Arbeitstag - bis er feststellte, dass sich berufliches Wissen und Hobby so glänzend wie gewinnbringend miteinander kombinieren ließen. Heute hat der 24-Jährige fast 530 000 Follower, arbeitet freiberuflich für mehrere Finanzfirmen und kassiert pro Tiktok-Botschaft gerne 8000 Dollar. Zudem hat er gut 1100 Superfans, die monatlich bis zu 17 Dollar für Extra-Videos zahlen. Alles in allem kommt der junge Mann, Typ Schwiegersohn und Junganwalt, so auf ein Jahressalär von umgerechnet mehr als 500 000 Euro. Damit verdient er besser als viele der Banker, deren Produkte er anpreist.
Ganz so groß sind die Einnahmemöglichkeiten in Deutschland noch nicht, Finfluencer, die es auf Hunderttausende oder gar Millionen Follower bringen, aber gibt es auch hierzulande. Im Immobilienbereich ist das etwa der Wiener Gerald Hörhan, der sich "Investmentpunk" nennt, selbst zu Reichtum gekommen ist und auf Youtube Tipps gibt, wie man es ihm nachmachen kann. Zu den seriösen Vertretern gehören auch Thomas Kehl, der unter dem Namen "Finanzfluss" Ratschläge zum langfristigen Vermögensaufbau erteilt, sowie die Kanäle "Mission Money", "Finanztip", "René will Rendite" und "Madame Moneypenny".
Je mehr Follower jemand hat, umso interessanter ist er für die neue Garde der Finanzindustrie - sogenannte Robo-Adviser oder Neobroker wie "Trade Republic", "Scalable", "Betterment" oder "Wealthfront". Sie gehen auf Finfluencer zu und fragen: "Willst Du eine Story mit uns machen?" Heißt übersetzt: Der Finfluencer erwähnt den Namen der Firma in einem Post oder Video und bekommt pro 10 000 Follower zum Beispiel 500 Euro. Auch von Youtube gibt es Geld, da das Netzwerk an der Werbung verdient. Für 1000 Klicks erhalten Finfluencer rund zehn Euro - zehnmal so viel wie in der Mode- oder Kosmetikbranche. Polarisierung, Humor und Informationen erzeugen die größte Aufmerksamkeit
"Die Finanzindustrie hat erkannt, welches Potential in den sozialen Medien steckt", sagt der Heidelberger Experte Nicolas Kocher, der Finfluencer berät. Noch allerdings beschränke sich die Szene weitgehend auf junge Fintechs und Neobroker wie "N26" oder "Trade Republic", "die ohne Youtube, Instagram oder Tiktok kaum denkbar wären." Traditionelle Banken und Direktbanken dagegen sind bisher nur sehr vereinzelt vertreten. Dabei ist das Geschäft auf die drei großen Videoplattformen aufgeteilt. Auf Youtube, dem etabliertesten der Netzwerke, präsentieren Influencer typischerweise längere Filme. Der Informationsgehalt ist am größten, die Zielgruppe älter, meist ab 30 Jahren. Auf Instagram sind die Follower mehrheitlich zwischen 25 und 35 Jahren alt. Sie schicken sich meist kurze Nachrichten, die sich oft um Trend-Themen wie Bitcoin, Immobilien oder den Social-Media-wütigen Tesla-Chef Elon Musk drehen. Ein typischer Post lautet etwa: "Habt Ihr gesehen, Elon Musk hat fünf Millionen Dollar in Bitcoin investiert?" Das jüngste Publikum ist auf Tiktok unterwegs, einem chinesischen Netzwerk, das seit zwei Jahren stark wächst. Hier unterhalten sich 15- bis 25-Jährige meist mit kurzen, selbstgemachten Videos.
Berater Kocher hat drei Methoden identifiziert, die in den sozialen Medien funktionieren: Zum einen ist es die Polarisierung, also zum Beispiel das Verbreiten steiler Thesen zum Bitcoin oder die düsteren Vorhersagen sogenannter Crash-Propheten; zum anderen kommt Humor gut an; und drittens sind da Kanäle, die sich als reine Informationsvermittler sehen. Selbst seriöse Anbieter dienen ihren Followern oft überteuerte Coachings an
Wie verlässlich aber sind die Aussagen der Finfluencer, wenn man weiß, dass die am häufigsten erwähnten Firmen für die Nennung ihres Namens zahlen? Legen die jungen "Berater" zumindest offen, auf wessen Honorarliste sie stehen? "Selbstverständlich", sagt "Mrs. Dow Jones" Haley Sacks, der bei Instagram fast 230 000 Menschen folgen. "Die Leute wissen ganz genau, wer meine Sponsoren sind. Ich bin nicht hier, um irgendjemanden über den Tisch zu ziehen." Auch gebe sie in ihren Videos keine konkreten Anlagetipps, sondern konzentriere sich darauf, eine Art Finanzallgemeinbildung zu vermitteln. "Ich erkläre die Grundsätze der Geldverwaltung und der -anlage in der Hoffnung, dass die Leute dieses Wissen nutzen, um für sich selbst die besten Entscheidungen zu treffen", sagt die 30-Jährige der SZ. Selbst wenn Follower Geld verloren hätten, beklagten sie sich zwar - aber nicht über sie, Sacks, sondern über ihr Unglück.
Berater Kocher ist da weniger gutwillig: Seiner Erfahrung nach verfolgen 80 bis 90 Prozent der Finfluencer eigene Interessen, die zumindest nicht auf den ersten Blick erkennbar sind. Und selbst wo das nicht so ist, sind die Grenzen zwischen harmlosem Grundschulunterricht und Kaffeefahrt oft fließend: Selbst seriöse Anbieter wie der vor allem bei Frauen beliebte Kanal "Madame Moneypenny" nämlich verdienen ihr Geld auch damit, dass sie ihren Followern etwa sündhaft teure Video-Coachings andienen. Darin bekommt man erklärt, wie man erfolgreicher Wertpapierhändler wird - oder selber Coach. "Die Erzählung, die dabei immer wieder funktioniert, geht so, dass man mit Hilfe des Coachings nie wieder arbeiten muss", sagt Andreas Beck, Portfoliomanager aus München, der auf Youtube mit seinen Erklärvideos selbst zu einer Größe geworden ist. Viele Influencer verkauften Produkte, die reiner Schwindel seien, Coachings etwa, die nichts bringen.
Ob junge Tiktok- und Instagram-Nutzer solche Warnungen ernst nehmen, ist allerdings ungewiss, denn viele Finfluencer haben im Vergleich zu den meisten Experten dieser Welt einen entscheidenden Vorteil: Sie sehen aus wie ihre Follower, und sie sprechen deren Sprache. So wie Haley Sacks, die sich das Motto "Bleib reich, Süße!" gegeben hat. Oder wie es sehr viel knalliger auf Englisch heißt: "Stay rich, bitch!" |