Osteuropa: Die Neuen kommen gut (EuramS) 25.04.2004 10:30:00 Die EU steht vor der Erweiterung. In einer neuen Serie beleuchtet EURO wichtige Facetten für Anleger. Diesmal: Geht die Hausse an den Börsen in Warschau, Budapest und Prag weiter? von Jörg Billina
Noch knapp eine Woche - dann sind sie drin. Estland, Lettland, Litauen, Slowenien, die Slowakei, Polen, Ungarn, Tschechien sowie Malta und Zypern treten am 1. Mai der Europäischen Union bei. Der Marsch nach Brüssel hat den neuen EU-Bürgern viel abverlangt. Der Umbau von einer Ressourcen vergeudenden Planwirtschaft zu einer funktionierenden Marktwirtschaft war mit vielen sozialen Härten verbunden. Doch die Mühen haben sich gelohnt - der Lebensstandard steigt. Allerdings: Bis zum Erreichen des Westniveaus ist es noch ein weiter Weg. Das Pro-Kopf-Einkommen im Osten liegt gerade mal bei 49 Prozent des EU-Durchschnitts. Kein ehemaliges Ostblockland erreicht den Wohlstand der schwächsten EU-Staaten Portugal oder Griechenland. Diese bringen es immerhin auf 70 Prozent des bisherigen EU-Durchschnitts.
Doch das Wohlstandsgefälle des Ostens zu Westeuropa wird sich auf jeden Fall weiter verringern. Dank mutiger Reformen wächst die Wirtschaft in den Beitrittsländern schneller als in den etablierten EU-Staaten. Polens Wirtschaftsminister Jerzy Hausner rechnet für sein Land in diesem und im nächsten Jahr mit einem Plus von jeweils rund fünf Prozent. Auch in Ungarn und Tschechien brummt die Konjunktur. Die Experten von HSBC Trinkaus & Burkhardt erwarten ein Plus von 2,5 beziehungsweise 3,3 Prozent. Noch besser fallen die Prognosen für die baltischen Staaten aus. Die Volkswirtschaften Litauens und Lettlands könnten 2004 sogar um über sechs Prozent zulegen. Mit nur 1,6 Prozent wird Deutschland, dem bevölkerungsreichsten EU-Mitglied, längst nicht so viel zugetraut.
Vom Aufbruch nach Westen haben die Ostbörsen kräftig profitiert. Der Index MSCI Emerging Markets Eastern Europe bringt es seit 1999 auf eine jährliches Plus von über 25 Prozent. Auch im Beitrittsjahr haben die östlichen Aktienmärkte nichts von ihrer Attraktivität verloren. Die Börse Prag meldet seit Jahresanfang auf Euro-Basis einen Zuwachs von 27 Prozent, Warschau bringt es auf 13 und Budapest auf 26 Prozent.
Doch wegen der langen Hausse fragen immer mehr Anleger: Geht die Osteuropa-Party mit der Aufnahme in die EU zu Ende? Verlieren die Aktien mit der Erweiterung ihre Phantasie? Keine Angst. "Kurzfristig mag es nach dem 1. Mai zu Korrekturen kommen. Mittelfristig haben die Titel aber Potenzial", sagt Günter Faschang, Manager des Vontobel Fund Eastern European Equity. Für ihn sind osteuropäische Aktien - trotz der fünfjährigen Rally - nicht zu teuer. "Das KGV an den osteuropäischen Börsen liegt bei 14. Damit sind sie erheblich niedriger bewertet als die Börsen in Westeuropa oder in den USA." Vor allem aber sieht der Fondsmanager kein Ende der Wachstumsdynamik. Dafür sorgen nicht zuletzt die Transferleistungen der EU. Brüssel will bis Ende 2006 insgesamt 40 Milliarden Euro nach Osteuropa überweisen. Im Vergleich zu den 80 Milliarden Euro, die seit der Wiedervereinigung Deutschlands jährlich in die neuen Bundesländer fließen, ist das nicht viel. Doch Faschang sieht das aus einem anderen Blickwinkel: "Die Subventionen, die an Prag gehen, entsprechen zwei Prozent des tschechischen Bruttoinlandsprodukts. Das ist ein gewaltiger Schub - für die Wirtschaft und für die Börse."
Die Subventionen für die Beitrittsländer werden 2007 neu verhandelt. Nicht auszuschließen, dass sie dann - erfahrener mit der Brüsseler Bürokratie - mehr finanzielle Unterstützung herausholen. "Spaniens ehemaliger Ministerpräsident José Maria Aznar hat gezeigt, wie man das macht", sagt Faschang.
Für zusätzlichen Schwung sorgen Direktinvestitionen. Sie dürften weiter steigen, vor allem dann, wenn die alten EU-Staaten den Unternehmen weitere Lasten aufladen. Der Osten lockt dagegen mit vielen Standortvorteilen. Nicht nur die zum Teil um 80 Prozent niedrigeren Arbeitskosten reizen zum Go East. Auch die Firmenbesteuerung ist attraktiv: In Ungarn liegt die effektive Steuerlast von Unternehmen laut einer Untersuchung der Unternehmensberatung Ernst & Young bei 19 Prozent, Polen verlangt das Gleiche. Litauen gibt sich mit 13 Prozent zufrieden. Und in Estland wird Gewinn, der im Unternehmen verbleibt, gar nicht mehr besteuert. In Deutschland dagegen liegt die Steuerquote bei 37 Prozent.
Ein weiterer wichtiger Punkt: "Im Osten sind Firmengründer willkommen, bürokratische Hindernisse wie in Westeuropa werden ihnen nicht in den Weg gelegt", sagt Faschang. Insbesondere Autokonzerne haben die Chancen im Osten schon genutzt. VW stieg bei Skoda in der Tschechei ein, Audi zog es nach Ungarn, Fiat produziert in Polen.
Direktinvestitionen erhöhen den Wettbewerbsdruck. Osteuropas Firmen können aber nicht immer mit dem Know-how und der Finanzkraft der Westfirmen mithalten. Anleger müssen dies bei der Aktienauswahl berücksichtigen. Beispiel Agora: Trotz einer Werbekampagne von fast acht Millionen Euro gelang es Polens größtem Verlagshaus nicht, sein Flaggschiff, die "Gazeta Wyborcza", gegen die im Oktober 2003 vom Axel Springer Verlag auf den Markt gebrachte "Fakt" zu verteidigen. Nach nur drei Monaten hatte die neue Zeitung die "Gazeta Wyborcza" von Platz1 der meistverkauften Tageszeitungen in Polen verdrängt. Grund genug für die Analysten, die Agora-Aktie auf Verkaufen zu stellen. Solche negativen Folgen westlicher Direktinvestitionen würden aber kompensiert, meint Faschang. "Die Westfirmen schaffen durch ihr Engagement neue Arbeitsplätze. Das erhöht die Konsumbereitschaft der Bevölkerung."
Vor allem die Banken sind die Gewinner des Ostbooms. "Der steigende Wohlstand und das Vertrauen in den Aufschwung sorgt für wachsenden Kreditbedarf bei den Privaten und bei den Unternehmen", sagt Leila Kardouche, Fondsmanagerin des Schroder Emerging Europe. Die tschechische Komercni Bank und die polnische Pekao haben ihre Marktposition in der Vergangenheit schon kräftig ausgebaut. Sie dürften weiter wachsen. Experten rechnen in den kommenden Jahren mit einer starken Zunahme der Kreditvergabe in Osteuropa. Das bedeutet auch für die OTP Bank weiter sprudelnde Gewinne. Das ungarische Geldhaus, das im Gegensatz zu den meisten osteuropäischen Kreditinstituten ohne Westpartner agiert, profitiert von der immensen Nachfrage der Magyaren nach Hypothekendarlehen. Gleichzeitig expandiert OTP in der Slowakei, in Rumänien und in Serbien. "In Mittel-und Südosteuropa haben nur wenige Bürger ein Bankkonto oder ein Sparbuch", erklärt Kardouche.
Bei Börsianern steht die OTP-Aktie daher hoch im Kurs. Seit Jahresanfang legte die Aktie um 54 Prozent zu. "Zu viel", meint die Fondsmanagerin und rät, Gewinne mitzunehmen. In ihrem Depot hat sie OTP untergewichtet. Vielversprechender erscheint ihr die Bre Bank - mit einer Bilanzsumme von 6,5 Milliarden Euro Polens sechstgrößtes Kreditinstitut. Nach erfolgreicher Restrukturierung sei die Commerzbank-Tochter auf Wachstumskurs. Auch Telekomwerte sind bei Investoren gefragt. Im Gegensatz zu den westeuropäischen Telefonmärkten melden die Osteuropäer hohe Zuwachsraten, besonders bei Mobilfunk und Internet. Kardouche favorisiert hier die ungarische Matav. "Das Management senkt energisch die Kosten, der Cash-Flow steigt", so ihre Begründung. Aussichtsreich erscheint ihr auch Cesky Telecom. 51 Prozent des führenden tschechischen Telekomunternehmens sollen gerade verkauft werden. Anleger spekulieren nun auf eine Übernahmeschlacht, aus der Vodafone oder die Deutsche Telekom als Sieger hervorgehen könnten.
Trotz der Osteuphorie - die Risiken darf man nicht übersehen. Die Zahl liquider osteuropäischer Aktien ist gering. Nur wenige Unternehmen bringen es auf eine Marktkapitalisierung von mehr als einer Milliarde Euro. Zwar findet man auch bei Small und Mid Caps interessante Werte. Doch diese Titel werden nur von wenigen Analysten beobachtet, dem Privatanleger fehlen daher oft schon die notwendigsten Informationen. Ebenfalls kritisch kann man den gewaltigen Mittelzufluss in Osteuropafonds sehen. Nicht selten gingen in der Vergangenheit Rekordeinnahmen einer Abkühlung voraus. Gefahren drohen auch von der Politik. So steckt Polen in einer schweren Regierungskrise. Die kann den Aufschwung bremsen. Und zwar gewaltig. Gelingt es den osteuropäischen Staaten jedoch, in den kommenden Monaten ihre Haushaltsdefizite zu reduzieren und dabei das Wachstumstempo beizubehalten, dann wird die Rally im Osten bald weitergehen. -red- / -red- www.finanzen.net |