@sonicted:
Ich sehe es grundsätzlich ähnlich wie du und dlg, dass zu Analystenkommentaren hier in den Foren meist relativ abstruse Verschwörungstheorien kommen, die fast immer auf haarsträubenden Unterstellungen beruhen und nicht selten etwas besserwisserisch daher kommen.
Allerdings sollte man bei Analystenkommentaren meiner Meinung nach tatsächlich extrem vorsichtig sein. Tatsächlich sind die Interessenkonflikte von Investmentbanken oft extrem groß und das nicht nur wegen Proprietary Trading, sondern vor allem auch, weil die begutachteten Firmen für die Analyse bezahlen, was insbesondere bei Nebenwerten eine extrem große Rolle spielt. Des weiteren haben die Banken oft sehr lukrative andere Geschäfte mit den Analystenhäuser (z.B. als Bookrunner bei Kapitalerhöhungen). Diese Geschäfte hängen oft sehr direkt mit dem Aktienkurs zusammen. Wenn z.B. Firma X eine große Kapitalerhöhung plant, ist es für den Main-Underwriter in der Praxis unmöglich ein "sell" rating auf die Aktie auszugeben, auch wenn das separate Teams sind usw.
Zu glauben, dass Chinese Walls und die Bafin an diesen Interessenkonflikten irgendwas ändern ist naiv. Mir ist kein einziges Beispiel bewusst, wo eine Bank ein signifikantes aktuelles Geschäft mit dem Kunden betreut (Merger, Kapitalerhöhung, neue Schuldverschreibung etc.) und mit "sell" votiert hat. Selbst ein "hold" wird's da praktisch nicht geben. Da ist einfach viel zu viel Geld drin und das wird nicht mit Analysen verdient, sondern im Kern-Investmentbanking-Geschäft. Wenn Du jemals mit einem Investmentbanker gesprochen hast, wirst du schnell wissen, was du von Ratings zu halten hast. Im Prinzip kann man eigentlich nur bei "sell" ratings darauf vertrauen, dass hier keine Interessenkonflikte mit rein spielen.
Aus diesem Grund gab es in der Vergangenheit auch dutzende Verfahren gegen Investmentbanken, insbesondere ausgelöst von der SEC. So ziemlich jede große Investmentbank der Welt hat schon Millionen an Strafen für das Ausnutzen von Interessenkonflikten in Analystenkommentaren zahlen müssen. Dass Chinese Walls und Strafen dabei nur bedingt helfen, hat man in den letzten Jahren auch wieder bei den Marktmanipulationen in Europa, Japan und den USA gesehen (z.B. der LIBOR Fall). Allein die europäischen Investmentbanken haben für das Brechen von Chinese Walls und manipulieren von Kursen und Indizes auf zahlreichen Ebenen Strafen von mehreren Milliarden Euro zahlen müssen. Schau einfach mal bei der Deutschen Bank nach, was die momentan so an laufenden Verfahren hat, obwohl bereits Milliarden für vergangenes Ausnutzen von Interessenkonflikten und Brechen von Chinese Walls gezahlt werden musste.
Empirisch gesehen ist es so, dass Analysten-Ratings den Markt leicht outperformen, also einen minimal positiven Mehrwert haben. Allerdings geht dieser Mehrwert unter Berücksichtigung der nötigen Tradingkosten zum Replizieren des Bank-Portfolios fast komplett wieder drauf (siehe z.B. Barber et al. 2001, Journal of Finance). Große Investmentbanken haben dabei oft einen ziemlichen Bias. Vertrauenswürdiger sind unabhänge Research-Häuser, deren Buy Recommendations die von Investmentbanken um satte 8% pro Jahr outperformen (siehe z.B. Barber et al. 2007, Journal of Financial Economics).
Laut dieser empirischen Untersuchungen kann man den Empfehlungen von Investmentbanken letztlich nur dann trauen, wenn sie "sell" votieren. Da die Interessenkonflikte so groß sind, dass oft nur die miesesten der Miesen ein "sell" bekommen, sind solche Ratings aussagekräftig. Wenn Goldman Sachs mit Sell votiert, sollte man wirklich das Weite suchen. Ansonsten ist alles wie gehabt: die Europäische Kommission, die SEC und die Federal Trade Commission führen ihre Verfahren, die entsprechenden Trader werden entlassen und die Banken gelobigen, dass sowas nie wieder passieren wird. Genau wie vor zehn Jahren, als die große Welle der Verfahren wegen geschönter Analysten-Ratings stattfand. Zehn Jahre später dann LIBOR Preisfixing und Marktmanipulation in zuvor unvorstellbarem Ausmaß.
Kurz: hier werden zwar oft unbelegbare und beleidigte Verschwörungstheorien aufgestellt, mit denen ich selbst auch nichts anfangen kann. Allerdings haben die Banken wirklich viel dafür getan, damit die Verschwörungstheoretiker Futter haben. |