Sie verwechseln das Ertragswertkonzept mit dem Substanzwertkonzept.
Der Substanzwert eines Unternehmens im Sinne eines Liquidationswerts bestimmt die betriebswirtschaftliche Wertuntergrenze und kommt nur zur Anwendung, wenn der Ertragswert bzw. DCF-Wert unter dem Liquidationswert liegt.
Der Ertragswert eines Unternehmens entspricht dem Barwert der dem Unternehmen zukünftig nachhaltig entziehbaren Erträge. Es handelt sich faktisch um ein Dividendenwachstumsmodell.
Wenn also beide Unternehmen dauerhaft nur max. 10 EUR an die Aktionäre ausschütten können und das operative Geschäftsrisiko (ausgedrückt im Betafaktor) beider Unternehmen identisch ist (-> identischer Kalkulationszinssatz), repräsentieren beide Unternehmen aus Sicht eines Investors mit rein finanziellen Zielen gleichwertige Auszahlungsreihen und sind demnach gleich viel wert.
Ein Wertunterschied ergäbe sich nur dann, wenn besagte 100 EUR Bankguthaben nicht betriebsnotwendige Liquidität darstellen und mithin zusätzlich ausschüttbar wären. Dies ist in meinem Beispiel aber nicht der Fall, wenn beide Unternehmen nachhaltig exakt nur 10 EUR ausschütten können.
An das betriebsnotwendige Vermögen eines Unternehmens kommt ein Investor definitionsgemäß nur im Zerschlagungsfall heran, womit der Ertragswert entfällt.
Bei einer börsennotierten Gesellschaft mit hohem Streubesitzanteil ist davon auszugehen, dass die für den operativen Geschäftsbetrieb nicht notwendige Liquidität im Rahmen der Dividende ausgekehrt wird, so dass die im Unternehmen verbleibende Liquidität als zur Unternehmensfinanzierung (-> Finanzierung von (Erhaltungs- oder Erweiterungs-) Investitionen oder Rückstellungen, Tilgung bestehender Finanzverbindlichkeiten, Finanzierung des Working Capital) notwendig erachtet wird.
Ihr Bild des Sparbuchs insinuiert, dass der Aktionär jederzeit auf besagte 100 EUR zugreifen könnte. Das ist im Fall eines Unternehmens nicht der Fall, da nahezu jedes Unternehmen gleichzeitig Bankguthaben und Bankverbindlichkeiten sowie sonstige nicht finanzielle Verbindlichkeiten aufweist. Auch nicht zinstragende Verbindlichkeiten wie z.B. Arbeitslöhne, Lieferantenschulden oder sonstige Rückstellungen etwa für bergbauliche Verpflichtungen (-> z.B. Renaturierungsverpflichtungen) müssen irgendwann bezahlt werden, so dass es eben nicht zulässig ist, ein Nettofinanzguthaben (= liquide Mittel abzüglich zinstragende Verbindlichkeiten) als nicht betriebsnotwendige Liquidität anzusehen, ohne den Finanzierungsbedarf für zukünftige Investitionen oder auch die Finanzierung des Working Capital zu kennen.
Gerade bei Rohstoffunternehmen fallen in Wachstumsphasen typischerweise riesige Investitionsbedarfe an, die man tunlichst (wie in Kanada gesehen) mit möglichst viel eigenen Finanzmitteln und wenig Fremdkapital finanzieren sollte, um das Unternehmen auch in Krisenzeiten stabil zu halten und eben nicht irgendwann gezwungen zu sein, einen das Unternehmen stabilisierenden Teilbereich (Morton Salt) verkaufen zu müssen, um der Fremdfinanzierungsfalle zu entkommen.
Man sollte sich als Aktionär tunlichst davor hüten, die für den Unternehmenswert entscheidende Dividendenfähigkeit systematisch - durch Vernachlässigung bzw. Unterschätzung des für den Unternehmensbestand und zukünftiges Wachstum erforderlichen Finanzierungsbedarfs - zu überschätzen. |