– der Aufstieg des Judenhasses in Europa
aus der Welt:
"Der Terror der Hamas und Israels militärische Antwort haben in vielen EU-Ländern zu ähnlichen Reaktionen geführt: Solidarität gilt oft den Islamisten, nicht aber der Demokratie Israel. Eine Reise zu den Wurzeln des Antisemitismus, der oft lebensgefährlich für Juden ist.
Am 13. Oktober schrieben Berlins jüdische Schulen einen nahezu flehentlichen Brief an den Regierenden Bürgermeister. „Wie Sie wissen“, so beginnt er, rufe die Terrororganisation Hamas „zu Demonstrationen und Angriffen auf jüdisches Leben weltweit auf“.
Wegen der Krawalle in Neukölln und „bereits gemachter Gewalterfahrungen aufgrund des Nahost-Konflikts blieb heute fast unsere gesamte Schülerschaft zu Hause. Unsere Schule ist also quasi leer. Dies bedeutet de facto, dass Judenhasser die Entscheidungshoheit über das jüdische Leben in Berlin an sich gerissen haben. Wir sehen die Berliner und die deutsche Politik in der Verpflichtung, diese unsägliche Situation zu ändern.“
Was das konkret heißt, davon kann Stilla Zrenner berichten, sie ist Lehrerin für Deutsch, Ethik und Kunst – und sie ist jüdisch. Kürzlich, erzählt sie, hätten in der Sekundarschule in Berlin-Zehlendorf, in der sie unterrichtet, Schüler den Hitlergruß gezeigt – am 13. Oktober, den die Hamas zum Kampftag ausrief. Sie sprach das im Kollegium an. „Eine Kollegin sagte mir, man müsse doch beide Seiten verstehen.“
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"„Was auf dem Spiel steht“, hat der in Deutschland als Kind staatenloser Shoah-Überlebender geborene und heute in Tel Aviv lehrende Soziologe Natan Sznaider gerade in einem Essay in der „Süddeutschen Zeitung“ geschrieben, „ist ein auf Eigeninteresse beruhendes politisches Urteilsvermögen, das versteht, worum es bei diesem Krieg geht. Und dass dieser Kampf auch für diejenigen Deutschen geführt wird, die ,Free Palestine from German guilt‘ skandieren, wohl der skandalöseste und fast schon nazistische Schlachtruf eines politischen Milieus, das den politischen Kompass verloren hat“, so Sznaider.
Diesen seit Jahren anschwellenden Antisemitismus in „emanzipatorischen Subkulturen und Bewegungen“, der sich in diesen Tagen vielerorts öffentlich manifestiert, haben Nicholas Potter und Stefan Lauer gerade in dem Sammelband „Judenhass Underground“ analysiert.
Potter und Lauer, die für die Amadeu Antonio Stiftung arbeiten und selbst im linken Subkulturmilieu sozialisiert wurden, stellen eine schonungslose Diagnose: „Antisemitismus boomt“, lautet der erste Satz der erhellenden Aufsatzsammlung. Und gerade Subkulturen, „die ein emanzipatorisches Selbstbild kultivieren“ wie Punk, Techno, Klimabewegung oder queere Community hätten „Schwierigkeiten, ihn zu erkennen“.
Der Band ist vor wenigen Wochen erschienen und liest sich, als hätten die Autoren die aktuelle Eskalation vorausgesehen. „Der linke Hass auf Israel ist auch auf einen plumpen Antiimperialismus zurückzuführen, auf eine Teilung der Welt in Ost und West oder neuerdings in den Globalen Norden und Süden“, schreiben die Herausgeber.
Und stellen fest: „Heute feiern Anitiimperialist*innen gerne mal die Hamas, die Taliban oder den Iran: Hauptsache gegen den westlichen Imperialismus. Der jüdische Staat wiederum – ganz egal, um welche konkrete Regierung oder welchen Aspekt der vielschichtigen Gesellschaft es geht – ist und bleibt der Endgegner.“
Was in diesem Weltbild keinen Platz hat, ist Verständnis für das historische Schicksal der Juden oder Empathie für deren nach wie vor existente Bedrohung. „Im Kontext von Antirassismus“, schreiben Potter und Lauer, „werden Alltagsdiskriminierung, Mikroaggressionen, transgenerationelle Traumata und strukturelle Benachteiligung zu Recht ernst genommen. Das gilt aber offenbar nicht für eine der meistverfolgten Gruppen der Menschheitsgeschichte, für Jüdinnen*Juden.“
Es ist diese Mischung aus Teilnahmslosigkeit und offenem Hass, die Juden momentan verunsichert. Nicht einmal die Opfer der Hamas-Anschläge bleiben davon verschont. An vielen Orten zeigten in den vergangenen Wochen Flugblätter an Laternen und Mauerwänden Fotos jener mehr als 200 Menschen, die die Hamas aus Israel nach Gaza verschleppt hat.
Doch viele dieser Plakate klebten nicht lange. So war es im Berliner Mauerpark, so war es in London, wo die britisch-israelische Studentin Neta Fibeesh Bilder der Opfer an Laternen klebte. Bald bemerkte die 23-Jährige, dass sie verfolgt wurde.
Zwei Frauen rissen die Plakate wieder herunter. Ein Passant habe die beiden zur Rede gestellt, erzählt Fibeesh: „Warum tut ihr nicht etwas für Palästina? Warum geht ihr nicht demonstrieren?“
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Antisemitismus gehört zum Alltag
Israel und Frankreich, das muss man sich wie kommunizierende Röhren vorstellen. Frankreich hat nach den USA die zweitgrößte jüdische Gemeinde außerhalb Israels und mehr als viereinhalb Millionen Muslime. Wenn es in Israel knallt, knallt es auch in Frankreich. Seit der Zweiten Intifada ist vom „Import“ des israelisch-palästinensischen Konflikts die Rede. Seither ist es in Frankreich bisweilen tödlich, Jude zu sein.
2006 wurde der junge Ilan Halimi in Paris entführt, misshandelt und ermordet. Ihm folgten zehn weitere Opfer jüdischer Konfession, darunter drei Kinder, die die jüdische Schule Ozar Hatorah in Toulouse besuchten, zwei alte, hilflose Frauen, aber auch der 20 Jahre alte Yohan Cohen aus Sarcelles, der im Januar 2015 bei der Terrorattacke im „Hyper Cacher“, einem koscheren Supermarkt, erschossen wurde.
Antisemitismus gehört wieder zum Alltag der französischen Juden. Nur kommt er nicht mehr von der rechtsextremistischen Front National, wie in den 70er-Jahren, sondern von Muslimen und Linkspopulisten, die um die Stimmen der arabischstämmigen Bevölkerung buhlen. Eine Abgeordnete der Linkspartei La France insoumise verglich die Hamas kürzlich mit der Résistance.
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