Wenn Kuba in diesen Tagen den 50. Jahrestag der Landung der «Granma» feiern und Fidel Castros verschobenes Geburtstagsfest nachholen wird, kann der greise Staatschef mit einem Geschenk der besondern Art rechnen: mit der Wiederwahl von Hugo Chávez als Präsident Venezuelas, an der kaum zu zweifeln ist. Castro, der seit der Darmoperation vom letzten Sommer vom unverwüstlichen Revolutionshelden zum zittrigen hageren Greis mutiert ist, hat damit die Gewissheit, dass sein weltanschauliches Erbe weiterhin in sicheren Händen liegt. Seinem politischen Ziehsohn in Caracas kann Castro wohl stärker vertrauen als den Zöglingen im eigenen Land; denn auch er dürfte sich nicht ganz sicher sein, welche Positionen seine Günstlinge nach seinem Ableben einnehmen werden. Chávez jedoch garantiert, dass Castros Fahne aufrecht gehalten wird. In seinem Pantheon der Freiheitskämpfer hat der venezolanische Präsident dem Kubaner, der vor 50 Jahren mit einer Handvoll Gleichgesinnter in Kuba an Land ging und einen Aufstand anzettelte, sicher den Platz direkt neben Simón Bolívar reserviert.
«ZWEI, DREI, VIELE VIETNAMS»
Chávez' Sieg garantiert Kuba aber weit mehr, nämlich die Fortsetzung jener brüderlichen Hilfe, ohne die die Insel vermutlich wieder in eine «Sonderperiode in Friedenszeiten» abgleiten würde - so nannte das Regime euphemistisch die kriegswirtschaftlichen Verhältnisse nach dem Rückzug der Sowjets. Allein von Ideologie können schliesslich auch die Kubaner nicht leben. Das Erdöl aus Caracas garantiert heute das Überleben des kubanischen Systems. Es trägt dazu bei, die Lüge eines funktionierenden sozialistischen Staats- und Wirtschaftsmodells und einer solidarischen Gesellschaft aufrechtzuerhalten, deren «spiritus rector» der Inseldespot jahrzehntelang gewesen ist. Der eiserne Griff, in dem er sein Land gefangen hält, lässt auch im Spitalbett nicht nach. Das Volk wartet kaum auf seine Rückkehr an die Macht, sondern auf seinen Tod. Ob die auf der symbiotischen Freundschaft Castros mit Chávez basierenden kubanisch-venezolanischen Beziehungen diesen überleben werden, ist eine andere Frage.
Im Herbst des kubanischen Patriarchen hat der Linkspopulist in Caracas für ein bemerkenswertes Revival alter Mythen gesorgt. Als habe er Che Guevaras Forderung nach «zwei, drei, vielen Vietnams» neu interpretiert, versucht er quer durch Lateinamerika «Revolutionsfeuer» zu entfachen, die gegen die USA gerichtet sind. In Bolivien - gerade dort, wo Guevara seinerzeit das Leben liess - entstand das erste, als Chávez sich für die Wahl von Evo Morales engagierte. Dieser ist seither um eine «Neugründung» seines Landes bemüht. Ähnliches schwebt auch Rafael Correa vor, der letztes Wochenende als Aussenseiter zum Präsidenten Ecuadors gewählt wurde. Er war ebenso der Favorit Venezuelas wie auch der Alt-Sandinist Daniel Ortega in Nicaragua.
Allerdings ist Nicaraguas revolutionäres Charisma seit dem Ende des Kalten Kriegs auch nicht mehr das, was es unter den Sandinisten war. Ob Correas Präsidentschaft von längerer Dauer sein wird als jene seiner gewaltsam vertriebenen Vorgänger, wird sich erst zeigen müssen. Die inneren Probleme beider Länder - Armut, Korruption und chronische Instabilität - wiegen zu schwer, als dass sie in Chávez' radikalnationalistischem Klub eine gewichtige Rolle spielen könnten. In Brasilien schliesslich wurde Lula da Silva, der mitunter zu schwanken scheint zwischen opportunistischer Nähe und gesunder Distanz zum Nachbarland, nicht wegen, sondern trotz den Banden zu Chávez im Amt bestätigt.
NIEDERLAGE AM EAST RIVER
Von grösserer Bedeutung wäre für Chávez ein Sieg von López Obrador in Mexiko gewesen, doch die aufmunternden Worte aus Caracas wirkten sich für diesen eher kontraproduktiv aus. Das Theater, das der Verlierer der Wahlen vom Juli und seine Anhänger seither auf der Strasse und im Parlament zum Besten geben, wirkt alles andere als vertrauensfördernd. Auch in Peru war die Wählerschaft nicht bereit, sich mit dem unberechenbaren Humala, ebenfalls ein Freund von Chávez, auf wilde Experimente einzulassen; sie zog ihm den ehemaligen Präsidenten Alan García vor und entschied sich für das kleinere von zwei Übeln.
Die empfindlichste Niederlage erlitt der frühere Offizier und Putschist Chávez freilich auf fremdem Territorium, in New York, wo sein Streben nach einem Sitz im Sicherheitsrat der Uno Schiffbruch erlitt. Die Lobby-Arbeit in dieser Sache muss Venezuela Milliarden gekostet haben, doch all seine Erdöl-Dollars machten den Schaden nicht wett, den der grossmäulige Chávez mit seinen plumpen Auftritten im Glaspalast am East River angerichtet hatte. Guatemala, der Kandidat der USA, setzte sich zwar ebenfalls nicht durch, aber der «Teufel» in Washington hatte am Schluss des Zweikampfs, nach der Wahl Panamas, die Lacher auf seiner Seite. Chávez' Ambitionen, mit einer zwielichtigen Allianz die USA das Fürchten zu lehren, erlitt damit einen argen Rückschlag, der allerdings seinen messianischen Eifer kaum bremsen dürfte.
EIN KRISTALLISATIONSPUNKT
Der «strategische Unterhaltungswert», den Chávez mancherorts im Ausland noch hat, bringt in Venezuela selber kaum noch jemanden zum Lachen. Seine aussenpolitischen Umtriebe stossen auf wachsende Skepsis. Manche Venezolaner, die trotz Erdölsegen noch immer in Armut leben, fragen sich, ob die Milliarden, mit denen sich Chávez im Ausland Loyalitäten erkauft, zu Hause nicht besser investiert werden könnten. Die zusammen mit Kuba aufgezogenen Gesundheits- und Bildungsprogramme und andere «Missionen» in den Armenvierteln haben ihm bei den letzten Wahlen wie auch beim gescheiterten Absetzungsreferendum Hunderttausende von Stimmen gebracht. Doch auch seine Anhänger beginnen den Präsidenten nun ernüchtert an seinen eigenen Versprechen zu messen.
Die entscheidende Frage für Venezuela wird sein, ob sich Skepsis und Enttäuschung künftig überhaupt an der Urne manifestieren können. Die Wahlabstinenz ist in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen; bei den Parlamentswahlen vor einem Jahr, die von der Opposition boykottiert wurden, belief sie sich auf über 70 Prozent. Es wird den Präsidenten kaum stören, aber von einer demokratischen Legitimierung der regierenden Klasse kann längst keine Rede mehr sein. Ein von Chávez und seinen Anhängern kultiviertes Klima der Angst und Ausgrenzung verunmöglicht es immer mehr, einen gegen den Präsidenten gerichteten Wahlzettel in die Urne zu legen, seit Listen von jenen kursieren, die seinerzeit beim Referendum gegen Chávez gestimmt haben und nun subtile oder auch gröbere Repressalien in Kauf nehmen müssen. Und treu nach dem Lehrbuch des Populismus hat Chávez die staatlichen Institutionen ausgehebelt und Parallelstrukturen aufgebaut, die er kontrolliert. Venezuela ist längst keine funktionierende Demokratie mehr.
Auf dem Gegenkandidaten Rosales lasten deshalb alle Hoffnungen. Chávez wird zu verhindern wissen, dass der ehemalige Gouverneur des Teilstaats Zulia dem Sieg zu nahe kommt. Auch als Wahlverlierer könnte Rosales jedoch zum Kristallisationspunkt einer Opposition werden, die Chávez pulverisiert hat und die sich neu bilden müsste. Dies vorausgesetzt, dass Rosales der Mut, den er im Wahlkampf anderen zuspricht, nicht selber verlässt.
nw.