Im Reich des Señor Hugo Chávez
Unternehmen in Venezuela müssen sich mit widrigen Rahmenbedingungen arrangieren. Fast jeder ländliche Grundbesitz wurde unter der Präsidentschaft von Hugo Chavez von staatlich geduldeten Gruppierungen teilweise oder ganz besetzt. Doch nicht nur damit haben die Unternehmen zu kämpfen.
Unbeeindruckt vom bisherigen Gang der Weltgeschichte gibt Hugo Chavez die Parole "Sozialismus oder Tod" aus.
CARACAS. Er hat es geschafft, im letzten Augenblick hat er noch die Kurve gekriegt – an Weihnachten vor sieben Jahren, als Alberto Vollmer sich mit den Banken nach zähen Verhandlungen auf eine Umschuldung einigte. Sie gewährten seiner Firma eine Frist von fünf Jahren, um die Verbindlichkeiten zu begleichen. Der Rumhersteller „Santa Teresa“ mit der dazugehörigen Hazienda war seit 121 Jahren in Familienbesitz und durch Missmanagement in die Krise geraten. Juniorchef Alberto, damals 31 Jahre alt, hatte gerade mit seinem Bruder die Führung übernommen. Sie entließen die Hälfte des Personals, strafften die Produktlinie. Den Banken gefiel der neue Kurs. „Aus dem Gröbsten sind wir raus“, dachte Alberto Vollmer.
Er hat sich geirrt. Die Finanzen waren nur ein Teil seiner Probleme. Der andere Teil kam in Gestalt eines Fallschirmspringers und Oberst: Hugo Chávez. Er war im gleichen Jahr zum Präsidenten Venezuelas ernannt worden. Er predigte von Anfang an den Klassenkampf: Seine Stimmen holte er sich bei den Armen. Seine Feinde, das waren die „Oligarchen“, das waren Männer wie Alberto Vollmer, dessen Clan zu den zehn reichsten Familien des Landes gehört. Auf dessen Hazienda, 80 Kilometer westlich von Caracas hatte sich schon Alexander von Humboldt über die grandiose Natur begeistert. Ein guter Ort für eine Attacke auf die Oligarchie – dachte sich ein enger Vertrauter von Chávez und besetzte im Februar 2000 mit 457 Familien Teile der Plantage.
Heute, sieben Jahre später, ist Chávez weiterhin Venezuelas Präsident. Und erneut sind die Unternehmer alarmiert, nachdem der Mann an der Spitze der Regierung nach seiner Wiederwahl die Verstaatlichung von Unternehmen in der Telekom- und Energiebranche angekündigt hat.
Alberto Vollmer ist weiterhin privater Unternehmer. Er hat sich mit Chávez arrangiert, mit Landbesetzungen, wuchernder Kriminalität und einem autoritären sowie korrupten Staat. Und Vollmer hat gezeigt, wie man unter solchen Bedingungen wirtschaftlich überleben kann.
„Es gab damals, Anfang 2000, drei Möglichkeiten, auf die Besetzung zu reagieren“, erinnert sich der Chef des Rumkonzerns. Nichts tun. „Dann würde es ständig neue Besetzungen geben, und wir würden unsere Hazienda verlieren“, sagte Vollmer. Mit Gewalt die Siedler vertreiben. „Dann haben wir vor unserem Tor Todfeinde.“ Die dritte Alternative schien im die aussichtsreichste: „Wir verhandeln“, entschied Vollmer.
Die folgenden Monate verbrachte er in zähen Auseinandersetzungen mit dem Chef der Besetzer. „Wir umkreisten uns wie Boxer auf der Suche nach einer schwachen Stelle.“ Hier der gerissene, glatzköpfige Ex-Militär Jose Omar Rodriguez, der mit Chávez geputscht hatte. Dort Vollmer, der mit in Harvard gelernten Verhandlungsstrategien zur Konfliktlösung in den Ring trat. Fünf Monate später gelang der Kompromiss: Die Vollmers gaben 60 Morgen Land freiwillig ab, auf dem die Besetzer eine Siedlung errichteten. Fünf Jahre nach ihrer Einweihung wirkt die Siedlung „Camino Real“ heute wie eine gepflegte Schrebergartenanlage. Hundert Häuschen mit Blumen in den Vorgärten und sauberen Straßen – ganz anders als die trostlosen Sozialbauten im nahen Caracas. Aus den Feinden vor der Tür sind Verbündete geworden. Alberto Vollmer ist sogar Pate eines Sohnes von Rodriguez.
Mit Landbesetzern müssen sich Unternehmer in ganz Lateinamerika arrangieren. Fast jeder ländliche Grundbesitz wurde inzwischen von staatlich geduldeten Gruppierungen teilweise oder ganz besetzt. Viele Landbesitzer geben auf, weil sie keine wirtschaftliche Zukunft für ihre Ländereien sehen. Sie verkaufen ihren Besitz für den Wert, denen ihnen die Regierung anbietet. Oder sie verhandeln, wie Vollmer es vorgemacht hat.
Doch es sind nicht nur die Landbesetzungen, die zugenommen haben unter Chávez. Auch die Kriminalität grassiert: Die Zahl der Morde hat sich verdreifacht. Nach Uno-Angaben weist das Land heute weltweit die höchste Mordrate auf. Und laut Transparency International ist in Lateinamerika nur Haiti noch korrupter als Venezuela.
Auch Alberto Vollmer hat seine Erfahrungen mit der Kriminalität im Lande gemacht. Vor vier Jahren wurde ein Wächter der Hazienda niedergeschlagen und seine Waffe geklaut. Das vor der Plantage liegende Dorf El Consejo galt als eine der gewalttätigsten Gemeinden der Region. Mehrere Jugendbanden hatten dort die Slums im Griff. Nach drei Tagen stellte der Sicherheitschef der Hazienda einen der Räuber und fragte Alberto Vollmer, was er mit ihm machen sollte: „Du gibst die Waffe zurück und arbeitest drei Monate umsonst auf meiner Plantage. Wenn du nicht kommst oder einen Tag fehlst, übergeben wir dich der Polizei“, schlug der Unternehmer dem 19-jährigen Räuber vor.
Zum verabredeten Arbeitsdienst erschienen drei weitere Mitglieder der so genannten Friedhof-Gang. Eine Woche später wollte die gesamte Gruppe von 22 Jugendlichen auf der Hazienda arbeiten – ohne Lohn, aber gegen Verpflegung. Vollmer sagt heute, dass er sich in dieser Zeit kaum noch auf sein Unternehmen konzentrieren konnte, weil er sich täglich um die Integration der neuen Helfer kümmern musste.
Eine zweite, konkurrierende Gang wollte später ebenfalls auf den Feldern arbeiten. Vollmer gelang es mit Hilfe eines Psychologen, dass die Feinde Frieden schlossen. Und der hält bis heute.
Die Kriminalitätsrate hat sich innerhalb von zwei Jahren in El Consejo halbiert. 115 einst gewalttätige Jugendliche haben inzwischen auf Vollmers Plantage gearbeitet. Er versucht diesen bei befreundeten Unternehmern dauerhafte Jobs zu vermitteln. „Es gibt nicht für alle Arbeit“, sagt er, „aber die Jungs haben ein neues Selbstwertgefühl und werden zu geachteten Führern in ihren Vierteln, nachdem sie hier gearbeitet haben.“
Entstanden ist aus den Arbeitsverpflichtungen für die Jugendlichen das Alcatraz-Projekt – was den Unternehmer Vollmer heute zu einem gefragten Experten zu dem Thema Bandenkriminalität gemacht hat. Vollmer berät heute die Regierung von El Salvador, wie sie das Problem der berüchtigten Maras, brutaler Jugendgangs, lösen kann. Kolumbiens Präsident hilft er bei der Reintegration von jugendlichen Guerilleros in die Zivilgesellschaft. Die Harvard Business School analysiert das Projekt. Die Weltbank hat Alcatraz als Vorbildmodell gewählt, für eine Region, in der sich Unternehmer wenig darum kümmern, was außerhalb ihrer Fabrikmauern geschieht.
In der venezolanischen Unternehmerschaft ist Alberto Vollmer dagegen umstritten: Viele Unternehmer, dessen Fabriken oder Haziendas besetzt werden, holen sich Rat bei ihm. Andere halten ihn wegen seiner Sozialprojekte inzwischen für einen Verräter aus den eigenen Reihen. Vor allem, nachdem Vollmer einer Einladung des Präsidenten in dessen TV-Show folgte. Der „Oligarch“ einträchtig neben Chávez, das war für viele Kollegen zu viel des Guten.
Vollmer, der nie für Chávez gestimmt hat, wie er sagt, verteidigt sich: „Ich glaube, dass die tiefen Gräben in Venezuela nur durch Dialog überwunden werden können.“ Auf eine bevorzugte Behandlung durch die Regierung kann Vollmer zudem nicht hoffen. Vor einem Jahr besetzte eine Gruppe 80 Hektar seiner Hazienda. Mit Baggern pflügten sie die Zuckerrohr-Plantagen um. „Das Land gehört jetzt uns“, sagten die Besetzer. Was machte Alberto Vollmer, der den rechtmäßigen Besitz mit Landtiteln lückenlos bis 1628 belegen kann? Er verhandelte. So lange, bis die Regierung jetzt auf dem Land großzügige Wohnanlagen baut, sowie eine Agrarschule, wo künftig Arbeitskräfte für die Landwirtschaft ausgebildet werden.
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