Der Artikel macht nachdenklich: Selbst wenn eine Zulassung bald kommt, könnte die Umsetzung in Form einer breiter Impfung der Bevölkerung noch lange dauern. Macht es dann noch einen Unterschied für einen Hersteller, ob er der erste ist oder ob der Wettbewerb noch etwas länger braucht?
https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/...ern-16981285.html?premium (Auszüge)
Corona-Pandemie: Das Impfen wird sehr lange dauern Viele glauben, dass wir mit einem Corona-Impfstoff innerhalb von Wochen zur Normalität zurückkehren könnten. Berater der Bundesregierung sagen: Es kann Monate dauern, sogar Jahre. Die Deutschen sehnen sich nach einem Impfstoff. Sie hoffen, dass damit alle Beschränkungen wegfallen.
Doch es gibt schlechte Nachrichten: So wird es erst einmal nicht kommen. Auch nicht, wenn ein Impfstoff da ist. Fachleute sagen: Das sind überzogene Erwartungen. Sie sagen auch: Mit einem Impfstoff beginnen viele Probleme erst. Es fängt schon mit der Menge des Impfstoffes an.
Und bis alle den Ärmel hochgekrempelt und eine Spritze bekommen haben, werden Monate, wenn nicht Jahre vergehen
Die Fachleute, die das sagen, sind Mitglieder der Ständigen Impfkommission des Robert-Koch-Instituts, kurz Stiko. Sobald ein Impfstoff alle Tests bestanden hat und zugelassen wird, hat die Stiko das Sagen
. Die 18 ehrenamtlichen Mitglieder der Stiko empfehlen auch, wer einen Impfstoff zuerst bekommen soll. Dafür hat die Bundesregierung die Stiko gegründet. Sie soll schwierige Fragen seriös entscheiden. Der Impfstoff wird nicht für alle reichen Vieles können die Mitglieder der Stiko momentan nicht wissen. Es ist ja noch kein Impfstoff gegen das Coronavirus zugelassen. Keiner weiß, ob der Impfstoff bei minus siebzig Grad gekühlt werden muss oder nicht. Oder wie effektiv er sein wird, ob er nur schwere Verläufe verhindert oder die Ansteckung überhaupt. Trotzdem können die Mitglieder der Stiko abschätzen, was ungefähr passieren wird. Zum Beispiel, dass der Impfstoff am Anfang nicht für alle reicht, weil die Hersteller für den Weltmarkt produzieren und weil ihre Möglichkeiten endlich sind. Eine Zahl, die unter Fachleuten genannt wird, ist fünf Millionen Dosen, sagt das Stiko-Mitglied Klaus Überla, ein Virologe von der Universität Erlangen-Nürnberg. So viel hätte Deutschland in den ersten Monaten nach der Zulassung zur Verfügung. Der Vorsitzende der Impfkommission, Thomas Mertens, bestätigt, dass diese Schätzung kursiert. Er wolle aber nicht über ungelegte Eier gackern. Fünf Millionen Dosen bedeuten aber nicht fünf Millionen Geimpfte. Der Mainzer Universitätsmediziner Fred Zepp, dienstältestes Mitglied der Impfkommission, schildert das Problem: Die meisten Impfstoffe, die im Moment in der Entwicklung sind, brauchen zwei Dosen, damit sie wirken. Um alle Menschen in Deutschland zu impfen, brauchten wir dann mehr als 160 Millionen Dosen. Fünf Millionen Dosen würden also gerade einmal für zweieinhalb Millionen Menschen reichen. Die Impfkommission muss deshalb entscheiden, wer zuerst drankommt. Fachleute nennen das Priorisierung..... Die Bundesländer beschließen, zuerst alle Menschen über sechzig zu impfen, alle chronisch Kranken und alle Mitarbeiter des Gesundheitswesens. Selbst für diese drei Gruppen würde es bei weitem nicht reichen. Rund 18 Millionen Menschen in Deutschland sind über sechzig Jahre alt, fast 22 Millionen haben Vorerkrankungen, Hunderttausende arbeiten in den Krankenhäusern. Ein Frage der Abwägung Wem soll die Regierung den Vorzug geben? Dem Intensivmediziner mit direktem Kontakt zu Risikopatienten? Dem Kinderarzt, der Kinder in seiner Praxis anstecken könnte, die das Virus wiederum in die Haushalte tragen? Dem Asthmakranken, dem Bluthochdruckpatienten? Die Kommission steht vor schwierigen ethischen Entscheidungen.
. Deshalb müssen wir uns schon heute Gedanken über ein gutes Impfkonzept machen. Die Kommission braucht die Akzeptanz der Bevölkerung. Wer warten soll, muss verstehen, warum. Auf Wunsch von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn soll die Stiko deshalb zusammen mit dem Deutschen Ethikrat und der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina entscheiden. Gemeinsam sollen sie abwägen, was wichtiger ist: besonders Gefährdete zu schützen oder die Ausbreitung des Virus in der ganzen Gesellschaft zu verlangsamen.
. Ein kleines Rechenbeispiel Um solche Fragen zu beantworten, arbeiten die Forscher mit einem Computermodell. Dort speisen sie zunächst die Parameter des Impfstoffes ein: Wie effektiv ist er? Wen schützt er? Dann rechnen sie aus
Selbst wenn es genug Impfstoff gäbe, dauert es, viele Millionen Menschen zu impfen. Der Vorsitzende der Impfkommission, Mertens, macht ein kleines Rechenbeispiel, wie er sagt: 150 Tage mal 100.000 Impflinge am Tag wären 15 Millionen Impflinge. Um nur ein Fünftel der Deutschen zu impfen, könnte es also fast ein halbes Jahr dauern. Und die Vorstellung von 100.000 Impfungen am Tag findet Mertens sportlich. Das muss man erst mal machen, sagt er. In der Impfkommission kursieren viele solcher Rechnungen. Niemand kann genaue Vorhersagen treffen. Klar ist nur: Es wird viele Monate dauern, bis ausreichend viele Deutsche geimpft sind. Der Berliner Kinder- und Jugendmediziner Martin Terhardt aus der Impfkommission hält eine Zeitspanne von acht Monaten für eine gute Zahl. Bis in Deutschland ein normales Leben möglich sein wird, könnten anderthalb bis zwei Jahre vergehen, schätzt er.
Engpass bei den Abfüllanlagen
Kommt der Impfstoff, wird er wohl in großen Fläschchen kommen. Der Engpass sind die Abfüllanlagen, die Industrie kann nicht in so kurzer Zeit Hunderte Millionen Einzeldosen abfüllen. Deshalb wird ein Durchstichfläschchen vielleicht fünfzig oder hundert Dosen enthalten. Für einen Hausarzt bedeutet das: Macht er eine Flasche von dem kostbaren Impfstoff auf, muss er binnen eines Tages 100 Leute impfen, sonst verdirbt der Stoff. Während einer Grippe-Pandemie 2009 war das ähnlich. Da bekam der Kinderarzt Terhardt Fläschchen mit zehn Dosen Impfstoff. Das ist ziemlich schiefgegangen. Man musste die Leute speziell einbestellen, man musste sie anrufen. Wir haben in Deutschland kein Einladungswesen für Impfungen wie in England, Schweden oder Finnland. Die sind uns weit voraus, sagt er. Der Virologe Überla glaubt, dass Hausärzte nicht in der Lage sein werden, 100 Menschen pro Tag zu impfen. Das wäre nicht zu stemmen. Gar nicht genügend Freiwillige? Ein anderes Problem ist die Kühlung. Die Impfstoffe, die am weitesten entwickelt sind, müssen zum Teil auf minus siebzig Grad heruntergekühlt werden. Ob auch höhere Temperaturen für kurze Zeiträume möglich sind, wird gerade erforscht. Andere Impfstoffe, die keine Kühlung brauchen, werden erst später kommen. Die Kühlung ist also ein Problem. Das kann man nicht kleinen Apotheken überlassen. Von der Logistik hängt so viel ab. Da fehlt mir ein bisschen die Vorbereitung und Kommunikation, sagt Terhardt. Aus seiner Sicht werden Impfzentren notwendig sein, etwa in Unikliniken und Krankenhäusern.
Es könnte allerdings auch sein, dass es gar nicht genug Freiwillige für eine Impfung gibt. Denn im Zeitalter der sozialen Medien kann kaum über Risiken gesprochen werden, ohne eine Hysterie zu verursachen. Wie bei allen Impfstoffen besteht auch für Covid-19-Impfstoffe die Möglichkeit von Impfschäden, hieß es kürzlich in einer Stellungnahme der Impfkommission. Geschädigte sollen Geld bekommen, nach dem Bundesversorgungsgesetz.
Die Ärzte wollen eine Entschleunigung Seltene Nebenwirkungen sollen deshalb erforscht werden, während die Massenimpfungen schon laufen. Für Mertens ist dieses Vorgehen Neuland, auch Überla sagt, das sei ungewöhnlich: Wir impfen sehr viele Leute mit einem Impfstoff, für den der Erfahrungshorizont überschaubar ist. Wägen Bürger ab, ob das Risiko größer ist, wenn sie sich impfen lassen oder wenn sie sich mit Corona infizieren, könnten manche einem Fehlschluss unterliegen. Corona ist natürlich viel gefährlicher. Menschen scheuen aber oft die Verantwortung für eigene Entscheidungen und bevorzugen das Risiko durch Nichtstun. Die Leute aus der Impfkommission rechnen auch mit dummen Gerüchten. Irgendwelche Impfgegner werden schon behaupten, der Impfstoff sei gefährlich. Da wird garantiert etwas passieren. Deshalb müssen wir sehr transparent, sehr offen und sehr ehrlich kommunizieren, sagt Terhardt. Dass die Deutschen so sehr auf einen Impfstoff hoffen, macht die Leute aus der Impfkommission nervös. Sie wollen ihre Entscheidungen nicht unter einem zu hohen Druck fällen. Der Kommissionsvorsitzende Mertens mahnt zur Geduld. Es besteht das allgemeine Problem, dass alles unter einem sehr großen Erwartungsdruck geschieht, den ich persönlich nicht für gut halte. Ich würde zu einer Entschleunigung der Diskussion raten. Sprich: Alles wird wieder gut. Aber es wird dauern.
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