Inside Wall StreetDas Geschäft mit dem Konkurs von Lars Halter, New York Die Konkursbranche ist im Goldrausch. Zehn der zwanzig größten Pleiten in den USA haben sich in den vergangenen drei Jahren ereignet. Das bringt die Kassen zum Klingeln. Erstaunlich ist nur, was da nun alles abgerechnet wird. Der Untersuchungsbericht zur Lehman-Pleite. (Foto: Reuters) Für viele Opfer der Finanzkrise war die Diagnose schnell gestellt: Einstige Branchenriesen wie AIG, Bear Stearns und Lehman Brothers hatten sich mit hochriskanten Investitionen verspekuliert, kurz gesagt waren sie an ihrer Gier nach immer höheren Renditen zugrunde gegangen. Ihr Konkurs hat eine zweite Gier-Welle ausgelöst. Anwälte und Berater wickeln die Unternehmen zu astronomischen Preisen ab. Ein Blick hinter die Kulissen der laufenden Lehman-Abwicklung bringt erstaunliches an Licht. So sollen in den letzten Monaten Fotokopien im Wert von 263.000 Dollar gemacht worden sein. Ein Berater will 2.100 Dollar monatlich für seinen Fahr-Service bezahlt haben, und ein Büro berechnet 48 Dollar für jede Telefon-Nachricht, die bei der Sekretärin abgegeben wird. Die Abwicklung des traditionsreichen Wall-Street-Hauses kostet laut Untersuchungen der New York Times bereits 730 Mio. Dollar. Man geht davon aus, dass allein für Gebühren mehr als 1,0 Mrd. Dollar anfallen, bevor mit dem restlichen Lehmann-Nachlass die Gläubiger ausgezahlt werden. Die sollen nach aktuellen Schätzungen gerade einmal 14 Prozent ihres Geldes zurückbekommen. Und selbst dieser kleine Anteil wird auf sich warten lassen. Die Abwicklung soll noch vier bis fünf Monate dauern, in denen Strategen mit einem kriminellen Ausmaß an Gier weiterhin abzocken wollen. Wie arrogant man hier vorgeht, zeigen die jüngsten Abrechnungen: Die New Yorker Kanzlei Weil, Gotshal & Manges rechnete etwa 500 Dollar täglich für Limousinen ab, die vor dem Gebäude auf ein Ende laufender Meetings warteten, um dann möglicherweise für Heimfahrten gebraucht zu werden. Das scheint umso dreister, wenn man die Straßen von New York kennt, in sich denen Taxis Stoßstange an Stoßstange durch die Rush-Hour schieben. Für die Konkurs-Branche – ein Mischmasch aus Wirtschaftsstrategen, Unternehmensberatern, Buchprüfern, Anwälten und anderen Jobs – waren die letzten Jahre ein Goldrausch. Zehn der zwanzig größten Unternehmenspleiten in der Geschichte der USA haben sich während der letzten drei Jahre ereignet, darunter Riesenkracher wie Lehman Brothers, General Motors, Chrysler und Washington Mutual. Die Branche ist dem Rausch komplett verfallen und grast ohne Rücksicht auf Verluste ab. "Die Kanzleien pushen ihre Leite, möglichst viel Umsatz reinzuholen", bestätigt Robert White, der vor vier Jahren aus einer Konkursverwalter-Kanzlei ausstieg. Er kennt zahllose Beispiele. Zu einem routinemäßigen Gerichtstermin hätten alle beteiligten Parteien etwa drei Anwälte geschickt, wo auch einer gereicht hätte. "Die anderen saßen nur herum und spielten mit ihren Blackberrys." Was ganz schön ins Geld geht, denn Anwälte in Konkursverfahren berechnen zwischen 500 und 1000 Dollar pro Stunde. Zu dem satten Honorar kommen allerlei Extrakosten. Etwaige Übernachtungen in New York gibt es nicht unter 685 Dollar, für die Anzug-Reinigung werden schnell mal 364 Dollar fällig. Einige Kanzleien stellen den Besuch des Fitnessclubs im Hotel ebenso in Rechnung wie einen "Kaugummi am Flughafen", der an einer Stelle mit 2,54 Dollar zu Buche schlägt. Für Insider der Gipfel: Ein Anwalt der Riesenkanzlei Jones, Day berechnete fast 150.000 Dollar für das Erarbeiten und Ausstellen der Rechnungen. "Man stellt das Rechnungsstellen nicht selbst in Rechnung", kritisiert Kenneth Feinberg. "Ich habe mein Leben lang Rechnungen gestellt. Das ist kein Sonderposten, der getrennt abgerechnet wird." Solche und andere Gebühren sind "unverhältnismäßig", wettert Feinberg, der Präsident Barack Obama die Managergehälter an der Wall Street kontrolliert. Zumindest bei den Unternehmen, die in ihrer Not vom Steuerzahler gerettet wurden und sich heute trotzdem nicht scheuen, Millionen-Boni an jeden durchschnittlichen Abteilungsleiter zu zahlen. Jetzt hat er zusätzlich den Auftrag, die Gebühren in der Lehman-Abwicklung im Zaum zu halten. Er hat viel Arbeit vor sich, denn die Branche ist uneinsichtig. "Mir ist egal, wer sich hier einschaltet", meint Bryan Marsal von der Restrukturierungsfirma Alvarez & Marsal, die für ihre Dienste bei der Lehman-Abwicklung monatlich zwischen 13 und 18 Millionen Dollar verlangt. "Dass hier viel Arbeit anfällt, heißt nicht, dass wir ineffizient arbeiten." Das indes ist angesichts der vorgelegten Zahlen kaum zu belegen. Und noch schwerer dürfte zu rechtfertigen sein, dass sich das Büro zum Abschluss der Arbeit noch einen Bonus von 50 Millionen Dollar auszahlen lassen will. "Am Anfang hatte man hohe Gebühren mit der chaotischen Lage im Umfeld des Lehman-Zusammenbruchs gerechtfertigt", sagt Feinberg. Das Chaos sei nun längst vorbei, der Notfall behoben. "Im Moment ist alles Routine, doch die Gebühren sind höher denn je." Unterm Strich ist Feinberg klar, welche Folgen dieser weitere Exzess für das langfristige Vertrauen der Amerikaner in gewisse Branchen haben wird. "Die Leute lesen das und sehen, dass unser Anwaltssystem – wie die Wall Street – komplett außer Kontrolle geraten sind." ----------- MFG
An der Börse ist die halbe Wahrheit meist eine ganze Lüge. |