Am unverfälschtesten verkörpert den politischen Nihilismus nicht Trump selbst, sondern sein Schwiegersohn und Berater Jared Kushner. In seinem noch jungen Leben wurde Kushner bereits fälschlicherweise sowohl als Meritokrat als auch als Populist gepriesen. 1981 kam er in einer wohlhabenden Familie mit Immobilienimperium zur Welt – genau in dem Monat, in dem Ronald Reagan das Präsidentenamt antrat. Kushner ist ein Prinzling des zweiten Gilded Age ("Vergoldeten Zeitalters"). Trotz seiner mäßigen schulischen Leistungen bekam er einen Studienplatz in Harvard, nachdem sein Vater Charles der Universität eine Spende in Höhe von 2,5 Millionen US-Dollar zugesagt hatte. Dieser half seinem Sohn auch beim Einstieg in das Familienunternehmen mit Darlehen in Höhe von zehn Millionen Dollar. Später setzte Kushner seine elitäre Ausbildung an der New York University in den Bereichen Jura und Betriebswirtschaft fort. Sein Vater hatte der Hochschule drei Millionen Dollar zukommen lassen.
...Jared Kushner ist als Wolkenkratzer-Besitzer und als Zeitungsverleger gescheitert, hat aber immer jemanden gefunden, der ihn rettete. Sein Selbstbewusstsein wuchs dabei sogar noch. In American Oligarchs schildert Andrea Bernstein, wie er sich die Einstellung eines risikofreudigen Unternehmers zu eigen machte, eines "Disruptors" der New Economy. Unter dem Einfluss seines Mentors Rupert Murdoch fand er Mittel und Wege, finanzielle, politische und journalistische Betätigung miteinander zu verknüpfen. Interessenkonflikte machte er zu seinem Geschäftsmodell.
Als sein Schwiegervater Präsident wurde, erlangte Kushner schnell Macht in einer Regierung, die Dilettantismus, Vetternwirtschaft und Korruption zu Leitprinzipien erhob. Solange er sich nur mit dem Frieden im Nahen Osten befasste, konnte den meisten Amerikanern sein überflüssiges Hineinpfuschen egal sein. Doch seit er ein einflussreicher Berater des Präsidenten in der Coronavirus-Pandemie ist, ist das Resultat ein Massensterben.
In der ersten Woche in dieser neuen Funktion war Kushner Mitverfasser der schlechtesten Oval-Office-Rede, an die man sich erinnert, unterbrach die wichtige Arbeit anderer Amtsträger, verletzte das Sicherheitsprotokoll, liebäugelte mit Interessenkonflikten und Verstößen gegen US-Bundesrecht und machte törichte Versprechungen, die sich schon kurz darauf in nichts auflösten. "Die US-Regierung ist nicht dafür da, all unsere Probleme zu lösen", sagte er und erklärte, er werde seine wirtschaftlichen Beziehungen nutzen, um Drive-through-Teststationen zu schaffen. Dazu kam es nie. Unternehmensleitungen überzeugten ihn davon, dass Trump seine Macht als Präsident nicht dafür nutzen sollte, die Industrie zur Produktion von Beatmungsgeräten zu bewegen. Dann scheiterte Kushners Versuch, eine Vereinbarung mit General Motors auszuhandeln. Sein Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten wurde dadurch jedoch nicht geschmälert: Er machte inkompetente Gouverneure für den Mangel der benötigten Ausrüstung und Schutzkleidung verantwortlich.
Das Hereinschneien dieses blassen Dilettanten im knapp sitzenden Anzug mitten in eine tödliche Krise signalisiert den Zusammenbruch eines ganzen Regierungsmodus – mag Kushner auch noch so mit Ausdrücken aus dem BWL-Studium um sich werfen, um das eklatante Versagen der Regierung seines Schwiegervaters zu verschleiern. Wie sich zeigt, sind wissenschaftliche Sachverständige und andere Staatsbeamte keine verräterischen Mitglieder eines deep state, sondern unverzichtbare Arbeitskräfte. Werden sie zugunsten von Ideologen und Hofierern ausgegrenzt, gefährdet das die Gesundheit der Bevölkerung. Wie sich zeigt, sind agile Unternehmen nicht in der Lage, sich auf eine Katastrophe vorzubereiten oder lebensrettende Güter zu verteilen – das schafft nur eine kompetente Regierung. Wie sich zeigt, hat alles seinen Preis, und die jahrelangen Attacken auf den Staatsapparat, der ausgehöhlt und in seiner Moral geschwächt wurde, bezahlt die Bevölkerung nun mit Menschenleben. All die Programme, deren Finanzierung gestrichen wurde, die aufgebrauchten Vorräte und aufgegebenen Pläne hatten dazu geführt, dass wir zu einer Nation zweiten Ranges geworden waren. Dann kamen das Virus und die seltsame Niederlage.
Der Kampf zur Bewältigung der Pandemie muss auch ein Kampf dafür sein, dass die Gesundheit unseres Landes wiederhergestellt und es neu aufgebaut wird. Andernfalls können wir all das Elend und das Leid, das wir jetzt ertragen müssen, niemals wieder gutmachen. Unter der jetzigen politischen Führung wird sich nichts ändern. So wie sich durch den 11. September und das Jahr 2008 das Vertrauen in die alte politische Klasse abgenutzt hat, so wird das Jahr 2020 der Vorstellung endgültig ein Ende setzen, Anti-Politik sei unsere Rettung. |