Am Golf von Mexiko bestimmt BP, wer die Ölpest zu Gesicht bekommt. Die Firma blockiere die Berichterstattung über die Katastrophe, sagen Journalisten. Mit riskanten Tricks erlangen Reporter Zugang zur Sperrzone - ihnen bieten sich grausige Bilder.
Kelly Cobiella kennt sich aus mit dramatischen Storys. Die Reporterin für CBS News hat schon über Buschfeuer berichtet, über das spurlose Verschwinden der Schülerin Natalee Holloway in Aruba und die Abberufung des kalifornischen Gouverneurs Gray Davis. Doch im Mississippi-Delta, da stieß sie schließlich an ihre Grenzen.
Als Cobiella mit ihrem Kamerateam von der Südspitze des Deltas aus in See stach, um zu einem ölverdreckten Strand zu fahren, schnitt ihnen ein anderes Boot den Weg ab. An Bord waren fünf Arbeiter des Ölmultis BP und zwei uniformierte Beamte der US-Küstenwache. Die Beamten forderten Cobiella und ihre Kollegen auf, sofort umzukehren, sonst würden sie verhaftet. "Dies sind die Vorschriften von BP", sagte der Mann am Ruder, "nicht unsere." Der Vorfall vom Mai, der auf Video festgehalten wurde (siehe Video unten), schien anfangs nur ein Einzelfall - ein Missverständnis vielleicht, behördlicher Übereifer angesichts der eskalierenden Ölkatastrophe im Golf von Mexiko. "Weder BP noch die US-Küstenwache haben Vorschriften, die den Medien den Zugang zu betroffenen Gebieten verwehren würden", erklärte Küstenwachtsprecher Rob Wyman. Bei CBS sei es um "Fragen der Sicherheit" gegangen. Inzwischen aber häufen sich die Klagen von immer mehr Journalisten und Fotografen, die sich daran gehindert fühlen, hautnah über das Desaster zu berichten. Die Beschwerden kamen erst sporadisch, dann immer häufiger: BP und die Küstenwache erschwerten ihnen die Arbeit an der Golfküste - offenbar, um die schlimmsten Bilder des Öls zu zensieren oder zumindest zu kontrollieren. AP, die größte US-Nachrichtenagentur, hat sich der Kritik seither ebenso angeschlossen wie "Newsweek", die "Washington Post" und die "New York Times". Solche anekdotenhaften Vorfälle, resümierte die "Times" diese Woche, deuteten auf ein größeres Problem: "Dass die Verantwortlichen die Bilder vom Ölteppich filtern, die die Außenwelt zu sehen bekommt." "Es tut mir zutiefst leid" "Sie versuchen, den Zugang einzuschränken", schimpft auch der demokratische Abgeordnete Ed Markey, der BP fast täglich mit bösen Briefen zu mehr Transparenz nötigt. Die Medienblockade am Golf steht im krassen Gegensatz zu der Imagekampagne, die BP zeitgleich gestartet hat. Täglich bittet der Konzern, der in den USA längst zum Feindbild Nummer eins geworden ist, mit ganzseitigen Anzeigen und einem TV-Spot in Dauerrotation um Vergebung. "Es tut mir zutiefst leid", sagt BP-Chef Tony Hayward in dem Video, das sonnige Bilder von Säuberungsaktionen zeigt, aber keine sichtbare Spuren des Öls selbst. "Wir werden es wieder in Ordnung bringen." In dem 60-Sekunden-Clip, der 50 Millionen Dollar gekostet hat, versichert Hayward weiter: "Wir wissen, dass es unsere Verantwortung ist, Sie auf dem Laufenden zu halten." Die Aufrichtigkeit dieser Aussage ziehen jedoch immer mehr Beobachter vor Ort in Zweifel. Zum Beispiel Mac McClelland, ein Reporter für das investigative Magazin "Mother Jones": McClelland wollte sich den Schaden auf Elmer's Island anschauen, einem Dünen-Refugium für bedrohte Tierarten in Louisiana. Die Sheriffs, berichtet er, hätten die Halbinsel jedoch "an jeder Biegung" abgeriegelt und ihn an ein "BP-Informationszentrum" verwiesen, wo eine BP-Vertreterin die Sperrung so begründet habe: "Wir haben schon genug blaue Augen." Warum BP die Hoheit über den Strand übernommen habe? Ihre Replik: "Dieses Öl gehört BP." Ted Jackson, Fotograf für die Zeitung "Times-Picayune" in New Orleans, stieß auf ähnliche Hindernisse - in der Luft. Denn er wollte den Ölteppich von einem Flugzeug aus inspizieren. "BP will seine Darstellung in der Presse kontrollieren" Den Routineantrag der Chartergesellschaft Southern Seaplane auf Fluggenehmigung habe das BP-Lagezentrum jedoch abgelehnt. Die Begründung, so Rhonda Panepinto, die Chefin von Southern Seaplane, in der "Times-Picayune": "Absolut keine Medien oder Presse." Panepinto beschwerte sich schriftlich bei ihrem republikanischen Senator David Vitter: "BP will seine Darstellung in der Presse kontrollieren." Vitters demokratischer Kollege Bill Nelson spürte die Medienbeschränkungen am eigenen Leibe. Er hatte Reporter und Kameraleute zu einem Erkundungsflug über den Golf eingeladen. Die Mitfluggenehmigung wurde den Journalisten jedoch am Vorabend kurzfristig versagt - nicht von BP, sondern vom US-Heimatschutzministerium. Politiker und Medien, so die Auskunft, würden generell nicht in derselben Maschine befördert. Die Küstenwache hat im Benehmen mit BP sowieso über weite Bereiche des Golfs ein Tiefflugverbot verhängt. Privatmaschinen kommen so nicht nahe genug an den Ölteppich heran, als dass er sich erkennen ließe. "Du knipst aus einem Kilometer Höhe durch die Wolken", sagte Fotograf John McCusker der "New York Times". "Da ist es schwer, den Unterschied zwischen einem Ölflecken und dem Schatten einer Wolke zu erkennen." Wie aggressiv BP um die Bilderhoheit kämpft, merkte auch Matt Gutman, Korrespondent für ABC News. Als der sich am Donnerstag an einem Strand in Alabama, den BP-Arbeiter gerade säuberten, mit seinem Laptop zu einem Video-Chat aufbaute, versuchte ein BP-Manager, ihn zu verscheuchen. "Diese Bedingungen machen es unglaublich frustrierend, hier zu arbeiten", sagte Gutman in dem anschließenden Chat. "Wohin du auch gehst, du stößt auf Polizeibarrikaden, auf Leute, die dir verbieten, dieses oder jenes zu tun oder mit Leuten zu reden." BP weist die Vorwürfe zurück - halb. "Unsere kategorische Haltung ist es, den Medien und anderen so viel Zugang wie möglich zu geben, ohne unsere Arbeit zu kompromittieren", erklärte BP-Sprecher David Nicholas gequält. Heimliche Führung durchs Katastrophengebiet Gelegentlich bietet die Küstenwache Reportern an, sie über den Golf zu fliegen. Diese Flüge verlaufen allerdings unter strikter Aufsicht. "Ich verstehe, dass es etwas Frustration geben mag", erklärte David Mosley, der zuständige Offizier der Küstenwache. "Aber es gibt andauernde Bemühungen, den Anfragen der Medien nachzukommen." Bisher habe man so mehr als 400 Journalisten ausgeholfen. AP-Chefredakteur Michael Oreskes vergleicht die Lage seiner Leute mit Reportern, die in Kriegsgebieten wie Afghanistan beim Militär "embedded" sind, eingebettet. "Es herrschen ständige Anstrengungen, den Zugang zu kontrollieren", klagte er in der "New York Times". In der Tat offeriert die Küstenwache besagte Flüge in ihren offiziellen E-Mails als "embedded flights". Trotz dieser Probleme sickern mittlerweile erschreckende Bilder und Berichte aus der Krisenzone durch. Die Reporter schaffen das oft nur mit riskanten Tricks. Matthew Lysiak von den New Yorker "Daily News" scheiterte zunächst, als er Grand Isle besichtigen wollte, eine gesperrte Düneninsel vor Louisiana. Schließlich habe ihm ein über das Verhalten der eigenen Firma "empörter" BP-Arbeiter eine heimliche Führung gegeben. Das Ergebnis sei grausig gewesen. Ein Foto eines toten Delfins illustriert den Report Lysiaks. "Als wir diesen Delfin fanden, war er mit Öl gefüllt", zitiert der Reporter den Arbeiter. "Öl floss nur so aus ihm heraus. Es war ein verdammt trauriger Anblick." Der Mann selbst sei entsetzt gewesen: "Es wird viel vertuscht. Sie haben uns spezifisch angewiesen, dass sie keine Bilder von den toten Tieren wollten. Sie wissen, dass der Ozean die meisten Beweise wegspülen wird." "Als ich abtauche, ist Öl das einzige, was ich sehe" Lysiak berichtet von Stränden, die "von geteerten Meereslebewesen übersät" gewesen seien, "einige tot und andere, die sich unter einer dicken Schicht Rohöl abkämpften". Als er einen zweiten Strand habe begehen wollen, so Lysiak, hätten ihn Polizisten forteskortiert. "Sie sagten, sie handelten auf Befehl von BP." Andere setzen sogar ihre Gesundheit aufs Spiel, um die Zerstörung zu dokumentieren. AP-Reporter Rich Matthews schlüpfte in einen Neoprenanzug und stieg ins ölverseuchte Meer vor Louisiana. "Als ich abtauche, ist Öl das einzige, was ich sehe", erzählte er. "Zur Linken, rechts, oben und unten. Unter dem Schlick lebt nichts mehr, aber ich sehe tote Quallen." Auch er hält das auf Video fest (siehe Kasten). |