VON LUKAS WALLRAFF 1. Hören Sie auf zu träumen! Ein Zuwanderungsgesetz, das auch nur annährend Ihren Zielen und Wahlversprechungen entspricht, wird es mit der Union nicht geben. Gestehen Sie sich ein, was bisher passiert ist: Sie haben der Union ein Gesetz angeboten, das zu 90 Prozent dem CDU-Programm aus dem Jahr 2001 entspricht. Trotzdem wurde es abgelehnt. Trotzdem haben Sie weiter verhandelt. Nun arbeitet die Union erfolgreich daran, auch noch die letzten 10 Prozent rot-grüner Ideen zu streichen - und dafür weitere Verschärfungen durchzusetzen. Um ihr "Gesamtpaket" zu retten, haben Sie ein Zugeständnis nach dem anderen gemacht - und die Verknüpfung des Zuwanderungsgesetzes mit Sicherheitsmaßnahmen zugelassen. Glauben Sie nicht, dass Sie das als notwendigen Kompromiss verkaufen können. Das Ergebnis wird als das verstanden, was es ist: eine Niederlage. Eine Unterwerfung. Nichts weniger. Schon jetzt gibt der grüne Verhandlungsführer zu, eine Modernisierung im Zuwanderungsrecht könne man nur noch "mit der Lupe" finden. Wollen Sie warten, bis Sie ein Mikroskop benötigen? Wenn nicht, hören Sie auf zu verhandeln - und tun Sie das, was Sie allein erreichen können. Wenn Sie wirklich wollen, werden Sie sehen: Es ist gar nicht so wenig. Denn für viele sinnvolle Projekte brauchen Sie den Bundesrat nicht.
2. Denken Sie langfristig! Sie haben Recht: Deutschland braucht in Zukunft mehr Einwanderung aus demografischen Gründen. Alle Experten stimmen Ihnen zu. Irgendwann wird es auch die Union begreifen. Das Gesetz, das Sie jetzt bekommen können, leistet aber keinen Beitrag dazu, sich auf die Zukunft einzustellen. Im Gegenteil. Der innovative Teil Ihres Gesetzentwurfs, das Punktesystem für Neueinwanderer, ist längst perdu. Damit hätte man eine Steuerung der Zuwanderung testen können. Abgelehnt und abgehakt. Dafür ist der Anwerbestopp zurückgekommen. Wenn Sie ein solches Pseudozuwanderungsgesetz mittragen, richten Sie mehr Schaden an als Nutzen. Nicht nur wegen der Verschärfungen, die es mit sich bringt. So ein Gesetz erweckt den falschen Eindruck, als sei alles fein geregelt und Deutschland auf die Zuwanderungszukunft vorbereitet. Echte Reformen anzupacken wird dann noch schwerer.
3. Gehen Sie Schritt für Schritt vor! Sie müssen nicht alle Probleme der Migrationspolitik auf einmal lösen. Deutschland braucht mehr Einwanderung aus demografischen Gründen - aber nicht sofort. Einzelne Probleme schnell zu lösen ist eher von Erfolg gekrönt. Einiges, etwa im Flüchtlingsschutz, können Sie allein machen. Für anderes, etwa bessere Integration, werden Sie eine Mehrheit finden. Denken Sie an die Green Card. Damals haben auch unionsregierte Länder zugestimmt, weil ihnen keine Gegenargumente einfielen. Das kann auch bei anderen Projekten funktionieren. Wenn Sie alles in einem "Gesamtpaket" beschließen wollen, machen Sie sich nur erpressbar.
4. Setzen Sie auf Europa! Vieles von dem, was mit der Union nicht geht, können Sie über die EU erreichen. Schon jetzt gibt es moderne EU-Richtlinien zum Asyl- und Flüchtlingsrecht, die ausgerechnet das rot-grüne Deutschland blockiert: Weil die Union etwas dagegen hat. Befreien Sie sich von diesem selbst auferlegten Veto aus falsch verstandener Rücksichtnahme. Nutzen Sie Ihre Kompetenzen. Lassen Sie die Union nicht auch noch in Europa mitregieren. Ohne diesen unsichtbaren Geist am Verhandlungstisch in Brüssel könnte sich die EU möglicherweise auch auf Regeln einigen, die neue Einwanderungsmöglichkeiten schaffen. Das wird nicht leicht? Sicher, aber schwieriger als mit der Union wohl kaum. Versuchen Sie es wenigstens. Schlagen Sie das Punktesystem in Brüssel vor. Sie sitzen doch am längeren Hebel: Ist eine EU-Richtlinie erst einmal beschlossen, muss sie früher oder später in nationales Recht umgesetzt werden. So können Sie ganz nebenbei auch Europa stärken.
5. Fördern Sie Integration! Nehmen Sie die Union beim Wort, die immer sagt, das Wichtigste sei die Integration der Migranten, die schon hier sind. Bieten Sie gleich nach dem Scheitern des Pseudozuwanderungsgesetzes an, über ein Picobello-Integrationsgesetz zu verhandeln. Mit einem Rechtsanspruch auf Integration und einem echten Angebot zur Sprachförderung für alle, Kostenteilung zwischen Bund und Ländern fifty-fifty. Auch das wird schwierig, keine Frage. Keiner möchte was bezahlen. Um davon abzulenken, wird die Union sinnlose Zwangskurse unter Strafandrohung fordern. Halten Sie mit einem Belohnungsmodell dagegen. Sagt die Union auch dazu Nein, bleibt Ihnen nichts anderes übrig, als allein anzufangen. Eigentlich müssten Sie schon jetzt mit gutem Beispiel vorangehen und Geld aus dem Bundeshaushalt für Integration frei machen. Daran kann Sie niemand hindern - außer Hans Eichel. Aber nur mit der Bereitschaft zum Geldausgeben bleiben Sie glaubwürdig - falls Sie sich noch an dieses Wort erinnern.
6. Tun Sie etwas gegen Diskriminierung! Zur Integration gehört der Schutz vor Diskriminierung. Seit vier Jahren gibt es deshalb EU-Richtlinien zur Gleichstellung von Minderheiten. Diese hätten Sie schon bis 2003 umsetzen müssen. Passiert ist: nichts. Verabschieden Sie endlich das Antidiskriminierungsgesetz. Das geht ohne Bundesrat. Damit könnten Sie Migranten helfen - gegen Benachteiligungen bei der Wohnungssuche, auf dem Arbeitsmarkt und - ja, auch das haben Sie einmal versprochen - gegen rassistische Disko-Türsteher.
7. Schützen Sie Flüchtlinge! Tun Sie nicht so, als könnten Sie Fortschritte im Flüchtlingsschutz nicht ohne die Union durchsetzen. Die so lang umstrittene Anerkennung nichtstaatlicher und geschlechtsspezifischer Verfolgung könnte ohne weiteres in das geltende Flüchtlingsrecht integriert werden. Hierzu bedürfte es nur einer Änderung im Ausländergesetz, die nicht zustimmungspflichtig wäre.
8. Lassen Sie Studenten da arbeiten und leben, wo sie studiert haben - in Deutschland! Beenden Sie eine der absurdesten Abschottungsmechanismen, die es gibt. Deutschland lässt 230.000 Ausländer an seinen staatlichen Unis studieren. Danach gilt für die meisten: Ab nach Hause. Die meisten Regeln, die ausländische Absolventen zur Rückkehr zwingen, könnten unterhalb des Gesetzes beseitigt werden - mit Erlassen und Verordnungen. Eine Aufenthaltserlaubnis nach Abschluss des Studiums könnte zustimmungsfrei beschlossen werden.
9. Machen Sie Deutschland attraktiv! Sie wollen Arbeitsplätze schaffen? Bitte sehr: Die Süssmuth-Kommission hat schon vor drei Jahren bessere Zuwanderungsangebote für Existenzgründer dringend empfohlen. Der Bundestag könnte eine Regelung beschließen, die Arbeitsmigration zur Aufnahme selbstständiger Erwerbstätigkeit erleichtert. Sie wollen kluge Köpfe ins Land locken? Bitte sehr: Die Niederlassungserlaubnis für Höchstqualifizierte ist ohne Bundesrat machbar.
10. Fangen Sie an zu träumen! Erinnern Sie sich an Ihre Ziele. Stehen Sie zu Ihren Zielen. Seien Sie mutig. Sparen Sie sich faule Ausreden und überflüssige Kompromisse. Nein, Sie müssen deshalb nicht zur Politik der offenen Grenzen zurückkehren. Ja, Sie müssen sich um Prävention von Terrorismus kümmern. Aber es zwingt Sie niemand, ein Zuwanderungsgesetz zu beschließen, dessen modernste Neuerungen erleichterte Abschiebungen sind. Falls Sie glauben, Sie bekämen dafür die Wähler der Union, werden Sie sich täuschen. Die bleiben beim Original. Sie sind immer noch an der Regierung! Machen Sie was draus!