UMWELT Falscher Klima-Alarm Ein Film darf mit der Katastrophe spielen, Umweltpolitik muss ehrlich sein Von Gero von Randow
Herbstwetter im Mai, eine Berliner Mammutkonferenz über erneuerbare Energien – und im Kino The Day After Tomorrow. Die Blitz-Eiszeit über Amerika wird uns unterhalten wie seinerzeit der Angriff der Aliens in Independence Day oder die Wiederkehr der Raubsaurier in Jurassic Park. Doch diesmal ist der Spaß nicht unpolitisch. Amerikas Beinahe-Präsident Al Gore und Deutschlands Dosenpfand-Minister Jürgen Trittin lassen sich mit dem deutschen Hollywood-Regisseur Roland Emmerich fotografieren. Sie machen Reklame für den Klimaschutz. Gut.
Weniger gut hingegen, was Trittins Umweltministerium verzapft: Zwar übertreibe der Ökothriller, aber die Szenen seien von tiefer umweltpolitischer Bedeutung. Das ist gewagt. Emmerichs Schocker hat mit Klimawissen ungefähr so viel zu tun wie Astrologie mit Astronomie. Zwar gibt es einen weitreichenden, wenn auch in Gremien herbeibeschlossenen Konsens der Klimaforscher, dass der Mensch zur weltweiten Erwärmung beitrage und diese mehr Unglück denn Glück sei. Aber das im Film dramatisierte Stehenbleiben des wärmenden Golfstroms mit anschließender Vereisung der Welt gilt unter Ozeanografen als Phantasmagorie. Wozu die Aufregung, ließe sich einwenden, es ist doch bloß Kino? Nicht nur. Auch die Klima-Aktivisten lassen uns lustvoll vor der Eiszapfenzeit zittern, und das wirft ein Problem auf: Darf man für eine gute Sache übertreiben bis zum Schwindeln?
Ein paar Beispiele. Hat es der Bioethik gut getan, dass Philosophen und Theologen die Ankündigung einer Ufo-Sekte, sie werde Menschen klonen, als Hiroshima der Menschenwürde darstellten? Die Umweltschutzbewegung hat ebenso wenig von alarmistischen Ausschweifungen profitiert. Man erinnere sich an die übersteigerten Berichte vom „Waldsterben“ oder die verfälschten Messergebnisse der Kampagne gegen die Versenkung der Ölplattform Brent Spar: Haben sie die Glaubwürdigkeit der Umweltschützer gefestigt? Alarmismus nützt der Umwelt nicht. Er lässt keinen Raum für das Abwägen unterschiedlicher Umweltziele. Rachel Carsons Buch Stummer Frühling von 1961, das die Gefahren durch Pestizide überzeichnete, löste das Verbot von DDT aus – zulasten der Dritten Welt, in der bis heute die Malaria wütet. Zeitweilig erfolgreich ist auch die Strategie gewesen, den Deutschen eine heillose Angst vor der Kernkraft einzujagen – zulasten des Klimaschutzes, schließlich lassen Atomkraftwerke die Atmosphäre in Frieden.
Es gibt ein noch stärkeres Argument zugunsten der Wahrhaftigkeit. Heißt nicht Umweltschutz, das Wissen ernst zu nehmen? Er setzt einen scharfen, unterscheidungsfähigen Sinn für das Wirkliche voraus: dafür, was es in der realen Welt bedeutet, dass die Menschen Tag für Tag und milliardenfach ihre Lebensbedingungen schädigen. Doch wem Science und Science-Fiction eh einerlei sind, der pfeift auf Genauigkeit und Ernsthaftigkeit; stattdessen schwimmt er mit dem Strom einer medialen Kultur, die den Realitätssinn des Publikums allenthalben zersetzt: mit Ego-Shootern, Doku-Soaps, Scripted-Reality-Formaten und wie diese mentalen Schwefelsäuren alle heißen.
Korrekte Unwahrheiten
Hinzu kommt ein ethisches und demokratietheoretisches Argument. Wer die Dinge bewusst anders darstellt, als sie sind, der verweigert nicht nur der Sache, sondern auch dem Adressaten den Respekt: dem Mitbürger und dem Mitmenschen. Von dieser Respektlosigkeit wird auch das Gegenargument getragen, das lautet: Anders würden die Leute ja nichts begreifen. Dann heiligt der Zweck also die Mittel? So denken Stalinisten. Die Vorstellung, man sei im Besitze der Wahrheit und dürfe ihr zuliebe Übertriebenes, also Unwahres verbreiten, verachtet das Wissen und die Demokratie gleichermaßen. Gore, Trittin, Emmerich und Greenpeace haben in einem Punkt leider Recht: Die amerikanische Regierung hintertreibt den Klimaschutz. Die Begründung lautet, die Wissenschaft sei ungewiss. Als wäre Ungewissheit nicht vielmehr ein Grund zur Vorsicht und Vorsorge. Doch wer Schreckensfantasien als klimawissenschaftliche Gewissheiten ausgibt, verhält sich keinen Deut besser. Er schadet der eigenen Sache, die doch der Aufklärung dienen soll.
Quelle: http://www.zeit.de/2004/23/01__leit_2_23 |