Ich habe eben folgende Email an IR geschrieben:
Sehr geehrte Frau Koch,
trotz Ihrer Nachricht vom 9. Mai, in der Sie mir versicherten, dass Sie inhaltlich "ganz bei mir" seien, was das Nichtzahlen einer Dividende angeht, stelle ich heute leicht konsterniert fest, dass AT&S doch entschieden hat, wieder mehrere Mio. EUR an Dividende auszuzahlen.
Diese Entscheidung reiht sich leider ein in eine mittlerweile längere Historie unglücklicher Kapitalallokation, die spürbar zu der schwierigen Situation bei AT&S beiträgt. Die Aktie des Unternehmenes hat in einem Bullenmarkt in den letzten zwei Jahren mehr als 40% an Wert verloren--trotz bereits damals sehr bescheidener Bewertung. Mittlerweile notiert sie erheblich unter Buchwert--eine für ein Technologieunternehmen mit Hauptkunden Apple und Intel wohl einmalige Situation. Offensichtlich hat der Markt auch den letzten Rest Vertrauen in das Management verloren, das ihm anvertraute Kapital verlustfrei einzusetzen. Denn bei einem Kurs weit unter Buchwert wäre es (theoretisch) für uns Eigentümer mittlerweile profitabler, das Unternehmen einfach in Einzelteile zu zerschlagen und die Assets an chinesische Bieter zu verkaufen, als den Betrieb als Going Concern in Österreich weiterzuführen.
Warum man in einer so brenzligen Situation mit der Kapitalallokation so leichtsinnig umgeht, und es versucht, allen gleichzeitig recht zu machen, ist mir nicht ganz klar. Eigentlich sollte es bei einem Unternehmen Ihrer Größe keiner Erklärung bedürfen, warum eine Dividendenzahlung in der jetzigen Situation unangemessen ist. Angesichts der Umstände möchte es aber dennoch tun (in der Hoffnung, dass man in Ihrer Finanzabteilung irgendwann zu Sinnen kommt):
1. AT&S hat eine Nettoverschuldung, die im aktuellen Geschäftsjahr rund 50% oberhalb des Börsenwertes der gesamten Firma liegt. Das Net-Debt/EBITDA wird bei weit über 3 stehen, bei einem Unternehmen, das durch hohe CAPEX-Belastungen geprägt ist (und wo daher das EBITDA ohnehin schon ein sehr nachsichtiges Maß für den Verschuldungsgrad ist). Dieses Verschuldungsniveau ist trotz der derzeit niedrigen FK-Kosten betriebswirtschaftlich zu hoch für AT&S. Wenn man hierzu noch bedenkt, dass AT&S erhebliche Klumpenrisiken hat (z.B. mit dem Kernkunden Intel, dessen technologische Position derzeit selbst stark unter Beschuss steht), so wird klar, dass Schuldenabbau eine Priorität für AT&S haben muss. AT&S kann sich eine Dividende derzeit einfach nicht leisten. Auch keine "kleine" Dividende!
2. AT&S hat derzeit in Chongqing zwei halbfertige Werke stehen. Angesichts der kaufmännisch angespannten Lage will AT&S es offenbar momentan nicht riskieren, diese Werke in einer Phase II fertigzubauen. Dass halbfertige Werke jahrelang halbleer in der Gegend herumstehen werden, sagt an sich auch schon etwas über die Qualität früherer Entscheidungen zur Kapitalallokation aus (wobei das zum Teil sicher auch Pech war). Es ist aber dennoch anzunehmen, dass man irgendwann auch diese Werke zu Ende bauen wird. Auch hierfür wird der Kapitalabfluss aus der Dividendenzahlung dann leider fehlen.
3. Wenn AT&S ernst nimmt, was man heute im Geschäftsbericht zur zukünftigen Profitabilität schreibt (ROCE-Ziel von 12%), dann müsste AT&S angesichts einer Aktienbewertung weit unter Buchwert eigentlich schleunigst damit beginnen, eigene Aktien zurückzukaufen. Ihre neue CFO wird die Finanzmathematik gut beherrschen. Somit wird es ihr nicht schwerfallen auszurechnen, wie hoch der erwartete ROI von Aktienrückkäufen derzeit liegt, wenn AT&S den operativen ROCE auf 12% stiegern kann: erheblich höher als die interne Rendite der operativen Investionen selbst! Allerdings: aufgrund der angespannten Finanzlage hat AT&S leider keinen finanziellen Spielraum, diese profitablen Aktienrückkäufe durchzuführen. Warum man angesichts einer solchen Situation dann jetzt 5 Mio. EUR in Dividendenabflüsse steckt, anstatt deutlich höher rentierende Aktienrückkäufe zu ermöglichen, ist unklar. Solange AT&S der Meinung ist, dass man sich finanziell keine Aktienrückkäufe leisten kann, so kann man sich schon gar keine Dividende leisten! 4. Auch aufgrund der Auszahlung von Dividenden wird in Zukunft weiterhin das Damoklesschwert einer Kapitalerhöhung (bzw. hybriden Kapitals oder Wandelschuldverschreibung) über AT&S hängen. Während man bei ausbleibenden Aktienrückkäufen, wie oben beschrieben, eine interne Rendite im zweistelligen Bereich liegen lässt, passiert bei einer Kapitalerhöhung im Prinzip das Umgekehrte: man bürdet die zweistellige Rendite dann als Opportunitätskosten den bestehenden Aktionären auf, die entsprechend verwässert werden. Zudem entstehen bei einer Kapitalerhöhung erhebliche Transaktionskosten für das Unternehmen selbst, während bei einer Dividendenzahlung Steuerkosten für die Aktionäre anfallen. Wenn man also z.B. 5 Mio. EUR an Dividende an die Aktionäre auszahlt und dann später diese 5 Mio. EUR wieder durch eine Kapitalerhöhung hereinholen muss, so kommen beim Aktionär nach Steuern bestenfalls 4 Mio. an, während das Unternehmen wohl eher 6 Mio. an Aufwand hat. Der Nettoeffekt ist also im wesentlichen, dass 2 Mio. an Kapital vernichtet werden. Sonst hat sich weder für das Unternehmen noch für die Aktionäre etwas geändert.
Ich finde die angekündigte Dividendenzahlung daher extrem bedauerlich (auch wenn sie "klein" sein mag). Dass man Ihren Vorgesetzten diese Umstände im einzelnen erklären muss, ist leider auch kein wirklich gutes Zeichen. Mit dieser Vorgehensweise ist es nicht überraschend, dass viele professionelle Investoren AT&S derzeit eher scheuen. Warum machen Sie sich das Leben selbst so schwer?
Mit besten Grüßen |