Mir persönlich erscheint dies eine Technologie zu sein, die langfristiag eine Gefahr für das Geschäftsmodell der HP darstellen könnte.
MITTWOCH, 04. JANUAR 2017 FINANZMARKT aus der FAZ
Blockchain: Verpassen wir eine Disruption?
von Volker Brühl
Nahezu alle Branchen beschäftigen sich mit den Herausforderungen durch die Digitalisierung. Dies gilt auch und gerade für die Finanzbranche. Etliche Großbanken investieren dreistellige Millionenbeträge in die Modernisierung ihrer IT-Infrastruktur. Interne Prozesse müssen verschlankt, Kundenschnittstellen digitalisiert und in eine Multikanalstrategie eingebettet werden. Nur so kann man den jungen Fintechs Paroli bieten, die mit kostengünstigen und innovativen Alternativen etablierte Geschäftskonzepte unter Druck setzen. Doch reicht das?
Seit einiger Zeit rückt mit der Blockchain-Technologie eine neue Entwicklung immer stärker in den Vordergrund, von der disruptive Effekte in zahlreichen Industrien ausgehen können. Die Blockchain-Technologie wurde ursprünglich als Plattform für die Einführung von sogenannten virtuellen Währungen entwickelt. Bei Bitcoins oder anderen Kryptowährungen handelt es sich nicht um Geld, sondern um Verrechnungseinheiten, die aufgrund privatrechtlicher Vereinbarungen als Zahlungsmittel in multilateralen Verrechnungskreisen eingesetzt werden können. Zahlungen können bei Kryptowährungen anonymisiert direkt zwischen Sendern und Empfängern abgewickelt werden, ohne dass es einer Bank bedarf.
Dabei ist die Blockchain nur eine Variante der Distributed Ledger-Technologie. Grundsätzlich versteht man darunter verteilte Kontoführungssysteme, bei denen digitale Daten über mehrere Standorte gemeinsam genutzt und kontinuierlich synchronisiert werden. Transaktionen können mit Hilfe kryptographischer Verfahren fälschungssicher in verteilten Rechnernetzwerken abgebildet werden. Es entsteht ein verteiltes Transaktionsregister, das eine lückenlose, unveränderliche Historie von Eigentums- und Übertragungsbeziehungen enthält. Werden die Transaktionen in miteinander verbundenen Blöcken abgebildet, spricht man von einer Blockchain.
Mit Hilfe der Distributed Ledger-Technologie können vollkommen neue Abwicklungsplattformen für Transaktionen entstehen. Die Folge sind disruptive Veränderungen in transaktionsbasierten Branchen wie der Finanzbranche. Finanzinstitute werden sich neu erfinden müssen, da durch nahtlose Prozesse viele Arbeitsschritte entfallen werden.
Gerade der Zahlungsverkehr ist prädestiniert für die Anwendung dieser Technologie. Bislang benötigen selbst webbasierte Zahlungsverkehrssysteme wie PayPal noch Banken oder Kreditkartenunternehmen als Dienstleister. Durch den Einsatz von Distributed Ledgers können künftig auch Zahlungen in klassischen Währungen grenzüberschreitend in Echtzeit direkt zwischen den Vertragsparteien durchgeführt werden, ohne dass es weiterer Intermediäre bedarf. Banken müssen ihre Rolle im Zahlungsverkehr komplett neu definieren, um nicht redundant zu werden.
Die Technologie kann bei den Wertpapierdienstleistungen vor allem die Nachhandelsaktivitäten revolutionieren, zu denen insbesondere Clearing und Settlement gehören. In der Eurozone wurden bereits erhebliche Effizienzgewinne mit der Einführung des Target 2-Securities (T2S) erzielt, das eine zentrale Wertpapierabwicklung in Zentralbankgeld ermöglicht. Wesentlich komplizierter bleiben grenzüberschreitende Wertpapierabwicklungen, wenn mindestens ein Transaktionspartner außerhalb der Eurozone sitzt. Dann vervielfachen sich die Schnittstellen und damit die Abwicklungszeiten zwischen den beteiligten Banken, Brokern und Zentralverwahrern.
Wenn es gelingt, Wertpapiertransaktionen in einer verteilten Datenbank mit Hilfe kryptographischer Verfahren fälschungssicher zu übertragen, können die heute zeitintensiven Prozesse so weit verschmelzen, dass Handel und Abwicklung nahezu in Echtzeit erfolgen können. Dies kann das heutige Geschäftsmodell der Börsen und das Verwahrgeschäft der Banken fundamental in Frage stellen.
Smart Contracts stellen die digitale Abbildung vertraglicher Vereinbarungen dar. Diese ermöglichen die automatische Auslösung von Aktivitäten, wenn diese an den Eintritt bestimmter vertraglicher Bedingungen geknüpft sind. Dies kann Zins- und Tilgungszahlungen ebenso betreffen wie Kaufpreisnachlässe, Gutschriften oder die automatische Anpassung von Versicherungsprämien in Abhängigkeit von der Schadenshistorie. Im Kapitalmarktgeschäft zeichnen sich erste Anwendungen im Bereich Handelsfinanzierung, syndizierte Kredite und im Emissionsgeschäft ab. Hier bieten sich für Innovatoren Chancen, bestehende Marktstrukturen zu ihren Gunsten aufzubrechen.
In der Finanzbranche bilden sich derzeit Konsortien heraus wie das 2015 in New York gegründete Konsortium R3, dem derzeit mehr als 50 Finanzinstitute angehören und das sich zum Ziel gesetzt hat, den weltweiten Standard im Transaction Banking zu setzen. Ähnliche Ziele verfolgt das Unternehmen Digital Asset Holdings, ebenfalls mit Sitz in New York, an dem sich die Deutsche Börse beteiligt hat. Die Zukunftstechnologie für die Branche entsteht also einmal mehr in den Vereinigten Staaten.
Aber die neue Technologie wird nicht nur die Finanzbranche der Zukunft prägen. Denn deren Prinzipien lassen sich auch auf materielle Transaktionsobjekte wie beispielsweise Immobilien und Maschinen oder immaterielle Vermögensgegenstände wie geistige Eigentumsrechte übertragen. Sofern diese Vermögensgegenstände etwa über Sensoren, RFID-Systeme, einen QR-Code oder eine IP-Adresse elektronisch erfasst werden, können Übertragungsvorgänge digital zum Beispiel in einer Blockchain abgebildet und nachverfolgt werden.
Distributed Ledgers können sich also zum zentralen Nervensystem vieler Transaktionsplattformen entwickeln. Wer hier die Nase vorn hat, kann sich zum Google des industriellen Internets entwickeln. Mit Ethereum, Ripple Labs, Provenance oder Enigma haben sich schon einige Kandidaten positioniert. Was passiert in Deutschland? Auch hier gibt es durchaus interessante neue Unternehmen wie Slock.it. Aber bislang sieht es so aus, als ob der Standort Deutschland trotz bester technologischer Voraussetzungen auch auf dem Gebiet der Distributed Ledgers künftig eher als gern gesehener Kunde und weniger als Innovationsführer in Erscheinung treten wird.
Wie oft wird die Frage gestellt, warum Google, Facebook, Twitter oder Amazon in den Vereinigten Staaten gegründet worden sind und nicht in Deutschland oder in einem anderen europäischen Land. Am technischen Wissen liegt es ganz sicher nicht, auch nicht am Unternehmergeist junger Menschen. Was fehlt, ist der Mut rechtzeitig auf neue Trends zu setzen und viel Kapital für die Forschung und Entwicklung zu investieren. Da es hierzulande immer noch an privatem Risikokapital fehlt, sollte die öffentliche Forschungsförderung einspringen. Noch ist es nicht zu spät, im Bereich des industriellen Internets eine weltweit führende Position zu erreichen.
Professor Dr. Volker Brühl ist Geschäftsführer des Center for Financial Studies an der Goethe-Universität in Frankfurt.
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