Weisheiten mit Vorsicht genießen Börsenregeln, die sich auf Kurzfristtrends beziehen, sind bei vielen Händlern und Anlegern beliebt. Doch die Praxis zeigt: Auf lange Sicht ist die Börse eine logische Veranstaltung.
"Sell in May and go away", "Verluste begrenzen, Gewinne laufen lassen", "Never catch a falling knife", "Der Gewinn liegt im billigen Einkauf" - jeder Börsianer kennt solche Weisheiten, werden sie ihm doch ständig unter die Nase gerieben.
Die Frage ist allerdings, ob sich diese Regeln in der Praxis tatsächlich bewähren oder sich überhaupt in die Praxis umsetzen lassen. Denn es gibt ja auch ernstzunehmende Theoretiker, die die Lehre vom effizienten Markt vertreten und sagen, mit keiner Strategie lasse sich auf Dauer eine überdurchschnittliche Rendite erwirtschaften, weil zu jedem Zeitpunkt alle verfügbaren Informationen eingepreist seien.
Hinzu kommt, dass diese Regeln oft genug recht schwammig daherkommen. Ob man wirklich billig eingekauft hat, erfährt man erst im Nachhinein, oft genug erweist sich ein Verlustbringer später als Kursrakete, und auch gegen die These, dass man im Mai verkaufen sollte, lässt sich einiges vorbringen. Zwar trifft es zu, dass die folgenden Monate im langjährigen Vergleich die bei Weitem schwächste Kursentwicklung gebracht haben.
Binsenweisheiten und Blödsinns
Andererseits gibt es zwei gewichtige Gegenargumente. So erlebte man in den Sommermonaten schon ausgeprägte Rallys - wenn auch nur in Ausnahmejahren. Und zudem konnte, wer sich an diese Regel hielt, logischerweise noch nie einen steuerfreien Kursgewinn verbuchen.
Für deutsche Anleger war und ist das ja nur dann möglich, wenn zwischen Kauf und Verkauf mindestens ein Jahr und ein Tag liegen. Dieses Argument allerdings wird in Zukunft nicht mehr ins Gewicht fallen, weil ja die Spekulationsfrist abgeschafft werden soll und somit alle Börsengewinne unabhängig vom Investitionszeitraum steuerpflichtig werden.
Es gibt Börsenregeln, die über den Rang von Binsenweisheiten nicht hinauskommen, solche, hinter denen so etwas wie Logik steckt, und auch solche, die man getrost in den Bereich des blühenden Blödsinns einordnen kann.
Falsche Zusammenhänge
Berühmtestes Beispiel hierfür ist die Super-Bowl-Theorie: Gewinnt ein Team aus der National Football Conference (NFC) die wichtigste Trophäe in diesem Sport, dann soll an der Wall Street ein freundliches Börsenjahr bevorstehen. Siegt der Vertreter der konkurrierenden American Football Conference (AFC), dann sieht es übel aus. Seltsamerweise erwies sich diese Theorie bis zur Jahrtausendwende als erstaunlich treffsicher.
Das lag aber hauptsächlich daran, dass an der Börse die längste Hausse des Jahrhunderts stattfand, während gleichzeitig in der NFC bei Weitem bessere Teams spielten als in der AFC und die Endspiele daher in der Regel haushoch gewannen. Man könnte das mit der Entwicklung der Geburtenrate und der Storchenpopulation in Deutschland vergleichen: Zwei Trends, die zeitgleich stattfinden, aber absolut nichts miteinander zu tun haben.
Es gibt auch Regeln, die völlig logisch klingen, bei deren Befolgung man aber dennoch in böse Fallen tappen kann. So wird den Anlegern immer wieder empfohlen, in Länder mit starkem Wirtschaftswachstum zu investieren und lahmende Volkswirtschaften zu meiden. Von Jeremy Siegel, Professor an der Wharton School of Economics, stammt eine Langzeituntersuchung, die daran zweifeln lässt.
Er untersuchte die Entwicklung zweier Aktienmärkte, die auch derzeit wieder sehr en vogue sind, nämlich Brasilien und China, im Zeitraum von 1992 bis 2003. In diesem Zeitraum wuchs die brasilianische Wirtschaft, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, um 22 Prozent, die chinesische aber um 166 Prozent. Dennoch verloren Anleger mit chinesischen Aktien 68 Prozent, während sie mit brasilianischen Titeln 380 Prozent Gewinn erreichten.
Wie ist dieses scheinbare Paradoxon zu erklären? Ganz einfach: 1992 war Brasilien politisch wie wirtschaftlich ein einziges Chaos, während man von China ein ökonomisches Wunder erwartete. Entsprechend teuer waren chinesische Aktien, während in Brasilien niemand investieren wollte und die Aktien zu Schleuderpreisen zu haben waren. Zwar trat die erwartete Entwicklung ein, aber das half nichts. Wenn Wunderdinge erwartet werden, kann schon die kleinste Enttäuschung zum Absturz führen.
Vernünftige Regeln
Gibt es also gar keine Börsenregeln, auf die man sich wirklich verlassen kann? Doch, die gibt es, aber nicht jeder Börsianer wird sich nach ihnen richten wollen. Absolut logisch ist zum Beispiel die Regel, dass man sein Depot sinnvoll diversifizieren muss, um nicht durch eine einzige Fehlentscheidung einen irreparablen Vermögensschaden zu erleiden.
Die beeindruckendsten Resultate liefert aber die Regel, dass man sich ein Depot aus soliden, dividendenstarken Aktien zusammenstellen und die Dividenden nicht verfrühstücken, sondern reinvestieren sollte. Auf diese Weise kommt man bequem durch jede Baisse. Auf lange Sicht entfallen nämlich mehr als 80 Prozent der Gesamtrendite von Aktienengagements nicht auf Kursgewinne, sondern auf Dividenden und die Erträge aus deren Reinvestition.
Ohne Strategie geht gar nichts
Zugegeben, hinterher ist man immer schlauer. Dennoch machen viele Privatinvestoren immer dieselben Fehler. Das fängt schon bei der richtigen Anlagestrategie an: Die meisten haben nämlich gar keine.
Es ist ein häufiger Fehler, dass Investoren sich vorher keinen genauen Plan zurechtlegen, was sie mit ihrer Investition erreichen wollen. Anleger sollten deshalb vor der Investition eine Anlagestrategie entwerfen, die als Grundlage für alle weiteren Entscheidungen dient. Eine gut geplante Strategie berücksichtigt Faktoren wie etwa Zeithorizont, Risikotoleranz, verfügbaren Anlagebetrag und künftig geplante Einzahlungen.
Eine alte Börsenweisheit sagt zwar "The trend is your friend", doch das besagt nicht, dass man beispielsweise in Chinafonds investieren sollte, nur weil man mit ihnen im Vorjahr exorbitante Gewinne erzielen konnte. An der Börse geht es vielmehr darum, zu niedrigen Kursen zu kaufen und zu hohen Kursen zu verkaufen. Bei vielen Anlegern läuft es genau umgekehrt.
Für den langfristigen Erfolg hinderlich ist außerdem die Tatsache, dass Investoren selten bereit sind, ihre Anlagefehler einzugestehen. "Hat man mit einer Aktie einen schönen Kursgewinn erzielt, sollte man sich ruhig einmal von einem Papier trennen. Nur realisierte Gewinne sind echte Gewinne", rät das Deutsche Aktieninstitut .
Heino Reents
Von Horst Fugger
Quelle: Financial Times Deutschland Servus, J.B. -------------------------------------------------- "If any man seeks for greatness, let him forget greatness and ask for truth, and he will find both." (Horace Mann) |