HANDELSBLATT, Dienstag, 26. Juli 2005, 08:56 Uhr
Alstom-Tochter liefert S-Bahnen und Doppeldecker nach Schweden Deutsche Züge rollen ins Ausland Von Eberhard Krummheuer Die deutsche Bahnindustrie sucht mit Erfolg das Wachstum im Ausland. Ein neues Beispiel dafür liefert die Stockholmer S-Bahn, die künftig Züge aus Deutschland nutzt. Anfang August geht in der schwedischen Hauptstadt die erste von 55 Einheiten nach einer Testphase in den fahrplanmäßigen Betrieb. Den Auftrag über 400 Mill. Euro hat sich das Werk Salzgitter der Alstom Transport Deutschland im internationalen Wettbewerb geholt. STOCKHOLM. Für die traditionsreiche, ehemalige Waggonbauschmiede Linke-Hofmann-Busch (LHB) ist dies kein Einzelfall. Vor einigen Jahren bereits stattete das Werk die S-Bahn Kopenhagen mit einem neuen Zugtyp aus, und seine Dieseltriebwagen für den Nahverkehr rollen schon durch Dänemark und Norwegen. Neben der 160 km/h schnellen, klimatisierten S-Bahn wird im Großraum Stockholm bald ein weiteres Alstom-Produkt eingesetzt, das unter der Führung der deutschen Tochter entsteht: ein elektrischer Doppelstock-Triebzug für den Pendlerverkehr. Er soll eine Region bedienen, in der drei Millionen Menschen, ein Drittel aller Schweden, leben. 43 Zugeinheiten werden derzeit ausgeliefert. Alstom liefert ein Beispiel dafür, dass Züge aus Deutschland zum Exportschlager werden. Jahrzehntelang lebten die Hersteller gut von der alten Bundesbahn und der Deutschen Bahn. Doch der Konzern will auf seinem Weg in Richtung Börse sparen und bestellt kaum neue Schienenfahrzeuge. Die Branche forciert deshalb den Export, der bereits bei mehr als 50 Prozent der produktion liegt, und dieser Wert wird nach Einschätzung des Verbandes der Bahnindustrie in Deutschland weiter steigen. "Nach dem starken Auftragsrückgang in Deutschland haben wir uns stärker den Ländern in Nordeuropa und besonders Schweden zugewendet", sagt Andreas Knitter, Chef der Alstom LHB in Deutschland. "Wir sehen weitere Chancen für hochentwickelte S-Bahnen, Regionaltriebwagen und Regionalstadtbahnen." Alle zwei Wochen wollen die Waggonbauer aus Salzgitter bis Februar 2007 je eine S-Bahn-Einheit ausliefern. Der für den schwedischen Markt konzipierte Fahrzeugtyp basiert auf dem "Lirex", dem "leichten, innovativen Regionalexpress", den das Unternehmen vor einigen Jahren entwickelt und gemeinsam mit der Deutschen Bahn getestet hat, aber noch nicht in Deutschland verkaufen konnte. Zu den technischen Errungenschaften gehört neben der energiesparenden Leichtbauweise, dass die Antriebstechnik auf dem Dach angeordnet ist. Das vereinfacht Instandhaltung und Wartung im modernen Betriebswerk, das im Norden von Stockholm eigens für den neuen Zug gebaut wird. Zufrieden ist der Auftraggeber, die Stockholmer Verkehrsbetriebe. Vorstandschef Lennart Jangälv lobt, dass die Fahrzeuge ohne Kinderkrankheiten ausgeliefert werden. Und wenn etwas nicht funktioniert, "diskutiert Alstom mit uns nicht über Vertragsdetails, sondern wie wir die Inbetriebnahme der Fahrzeuge pünktlich hinbekommen". Auch der schnelle Doppeldecker für den Regionalverkehr bekommt gute Noten von seinem Käufer, der Schwedischen Staatsbahn SJ. Bahnchef Jan Forsberg: "Unser großer Wettbewerber ist das Auto. Dieser Zug wird unsere Chancen wachsen lassen." Ausgestattet mit Laptop-Steckdosen und Mobilfunkantennen sollen die kurzen, kuppelbaren Zugeinheiten die zahlreichen Fernpendler dazu animieren, ihre Schienentouren als Arbeitszeit zu nutzen. Während sich Alstom Deutschland beim Doppeldecker vorerst für vier Jahre auch den Wartungsauftrag holte, ist das bei der S-Bahn noch offen. Die Verkehrsbetriebe haben Zugbetrieb und Instandhaltung europaweit ausgeschrieben. Zu den Bewerbern gehört die Deutsche Bahn. Ihre Tochter DB Regio würde gerne in Stockholm S-Bahn-Betreiber werden. Das Unternehmen hat sich in dem Bieterverfahren bereits vorab qualifiziert.
Erfolg im Ausland Neue Gleise: Die Bahnindustrie baut auf Exporte. Alstom Deutschland hat einen Auftragsbestand von 1,1 Mrd. Euro, 800 Mill. Euro davon sind Export. Siemens Transportation beziffert den Exportanteil der deutschen Standorte auf 70 Prozent des Umsatzes. Neue Wagen: Die Unternehmensberatung SCI Verkehr schätzt, dass der Weltmarkt für Reisezugwagen für Nah- und Fernverkehrszüge in den kommenden Jahren bei jährlich 2,5 Mrd. Euro liegt. Besonders gefragt sind weltweit moderne Doppelstockwagen. |