Edmund Stoiber gilt nach einem Wahlsieg der Union als Kandidat für diverse Ministerposten in Berlin. Jetzt soll er sich festlegen von Hans Jürgen Leersch
Edmund Stoiber steht in dem Ruf, Entscheidungen detailversessen und gründlich vorzubereiten Foto: rtr Es gebe "kein schöneres Amt als das des bayerischen Ministerpräsidenten", ließ Edmund Stoiber wissen. Das war 2001, und schon wenige Monate später mußte sich der Ober-Bayer korrigieren und trat als Kanzlerkandidat der Union für die Bundestagswahl an. Der "Marsch auf Berlin" war befohlen, aber Stoiber kam nicht an. Jetzt muß er sich wieder entscheiden, ob es in Berlin nach einem Wahlsieg der Union Alternativen zum "schönsten Amt" gibt.
Entscheidungen gründlich vorzubereiten, dafür steht Stoibers Name. Der 63jährige Jurist gilt als detailversessen, Hauptaufgabe seiner zahlreichen Begleiter scheint der Transport von Pilotenkoffern zu sein, in denen sich leicht mehrere Din-A-4-Ordner versenken lassen, die Stoiber dann aus dem Koffer holt. Lesen, studieren, rückfragen, noch eine Stellungnahme anfordern, und erst nach Ausleuchtung des letzten Winkels und Berücksichtigung des kleinsten Einwands eine Entscheidung treffen, die das Musterland Bayern weiterbringt - das ist Stoibers Welt.
Genauso schwer tut er sich bei personellen Entscheidungen. Wenn es schmerzhafte Ereignisse in Stoibers politischem Leben gab und gibt, dann sind das Kabinettsumbildungen. Irgendwann wächst der Druck im Kessel so sehr, daß der CSU-Chef nicht mehr abwarten kann. "Der Edmund leidet", weiß ein ehemaliger Mitarbeiter der CSU-Führungsebene, "wie ein Hund, wenn er einen rauswerfen muß." Gerecht will er sein, geduldig wie ein Familienvater, aber das wird ihm von seinen Gegnern oft als Führungsschwäche ausgelegt. Die Affäre um Kultusministerin Monika Hohlmeier beispielsweise zog sich über Gebühr in die Länge. Stoiber gab der Ministerin eine "zweite Chance", und das Elend ging weiter. Der Sozialwiderständler Horst Seehofer bekam Gesprächstermine und Bedenkzeiten, bis der Parteitag, auf dem es um die lang erwartete Einigung mit der CDU über die Gesundheitsreform ging, beinahe gescheitert wäre. Lange vorbei sind die Zeiten, als man Stoiber "das blonde Fallbeil" nannte.
Der guten Rat suchende Ministerpräsident hat sich mit einer Truppe von emsigen Mitarbeitern umgeben, überwiegend Juristen aus der bayerischen Verwaltung. Die schreiben unablässig Vermerke und Stellungnahmen, aber der Chef ist schneller - er liest alles, und das auch noch gründlich. Das Wahlvolk im Freistaat jedenfalls schätzt den Arbeiter in der Staatskanzlei: "Mir san gsund, und Stoiber schafft für uns".
Seit 1993 im Ministerpräsidentenamt, regiert Stoiber nach dem Grundsatz, daß das Bessere der Feind des Guten ist. Platz zwei reicht ihm nicht. So wurde der Freistaat in seiner Regierungszeit das Bundesland mit der niedrigsten Kriminalität, dem besten Schulsystem, dem höchsten Wirtschaftswachstum, der niedrigsten Arbeitslosigkeit und der geringsten Neuverschuldung. Und 2006 soll Bayern ganz ohne Neuverschuldung auskommen - das wäre ein absolutes Alleinstellungsmerkmal in Deutschland. Die Wähler dankten es ihrem "Edi" zuletzt mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit für die CSU im Landtag, und als Kanzlerkandidat holte Stoiber in Bayern mit 58,6 Prozent ein an Zeiten seines großen Vorbilds Franz Josef Strauß erinnerndes Ergebnis.
Stoibers Vorzüge und die Erfolgsbilanzen aber sind zugleich sein Problem. Kanzler Schröder stoppte den Marsch des fachlich versierten Kanzlerkandidaten auf Berlin mit emotionalen Themen wie Kriegsangst und Fluthilfe. Stoibers Erfolge in Bayern aber sind kaum noch zu steigern. Im Gegenteil. Es mehren sich Zeichen für erstarrende Strukturen und beginnende Diadochenkämpfe. Da läge es nahe, die Strukturen durch einen Wechsel nach Berlin aufzubrechen. "I will was bewegen", hat Stoiber selbst einmal gesagt. Im wie geölt laufenden CSU-Land Bayern ist das kaum noch möglich, in Berlin dagegen wartete ein Augias-Stall auf Stoiber. Doch er zögert.
Dafür hat er gute Gründe: Die Ankündigung eines Wechsels würde sofort Nachfolgekämpfe in München ausbrechen lassen, Kraft im bevorstehenden Wahlkampf kosten. Kronprinzen sind Staatskanzleichef Erwin Huber und Innenminister Günther Beckstein. Beckstein soll aber auf einen der ersten Listenplätze für die Bundestagswahl und in Berlin nach dem Wahlsieg Innenminister werden, falls die Konstellationen es zulassen. Und Huber käme dann zum Zuge, wenn Stoiber nach Berlin ginge.
Aber geht er? Er selbst sei unentschlossen, mit Tendenz zum Ablehnen, heißt es. Seine Frau Karin hat wenig Neigung, das schöne Haus in Wolfratshausen mit einer Villa in Grunewald zu tauschen. Als CSU-Chef sei Stoiber immer in der Regierung, sagt Generalsekretär Markus Söder. "Es bleibt dabei, es wird nach der Wahl entscheiden, und nicht vorher."
Aber der Druck nimmt zu. "Herr Stoiber sollte sich noch vor der Wahl äußern, wo er seine Zukunft sieht", sagte Sachsens Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) zur WELT, und ähnlich wie Milbradt hatten sich zuvor der Finanzexperte Friedrich Merz und Unions-Fraktionsvize Michael Meister (beide CDU) geäußert. Sachsen-Anhalts Regierungschef Wolfgang Böhmer dagegen läßt die Frage offen: "Da kann ich Herrn Stoiber nicht raten, diese Entscheidung muß er allein treffen", so Böhmer zu dieser Zeitung. Ein weiterer CDU-Ministerpräsident, der ungenannt bleiben will, fügt hinzu: "Wir müssen mit Stoiber leben, egal ob er nun in München oder Berlin sitzt." Doch es sind Sätze wie die von Böhmer, die Stoiber bevorzugt. Es ist nicht nur die Sorge vor Nachfolgekämpfen in München, die ihm Zurückhaltung aufzwingt: Erst das Wahlergebnis entscheidet, ob die Union regieren kann. Und dann hängt es von der Stärke der CSU ab, welche Positionen sie bekommt. Ganz frei wäre Stoiber nach einem Wahlsieg in seinen Entscheidungen also nicht mehr. Wie bei der Kanzlerkandidatur haben auch andere ein Wort mitzureden, zum Beispiel der mächtige Landesgruppenchef Michael Glos. Der wiederum würde sich wünschen, "daß Stoiber nach Berlin kommt", denn Glos will, daß die CSU in einer Berliner Regierung das größtmöglichste Gewicht hat. Das wiederum geht nur mit Stoiber, der dann ein wirkliches gutes oder besonders wichtiges Ressort bekommen müßte. Zum Außenministerium raten ihm einige Berater. Ihm selbst sage das jedoch nicht übermäßig zu, heißt es. Vom Finanzressort aber wird ihm inzwischen abgeraten: Zu groß droht der Ärger wegen Staatsdefizit und Steuererhöhungen zu werden. Als neue Variante kommt nun ein Superministerium aus Wirtschaft und Verkehr ins Gespräch.
Viel hängt auch von CDU-Chefin Angela Merkel ab. Sie will Stoiber gern im Kabinett, um ihn einzubinden, und Poltereien aus München gegen "die in Berlin" zu unterbinden. Ein schwieriges Ministerium wie Finanzen wäre aus CDU-Sicht für Stoiber geradezu ideal. Der Ärger bliebe an der CSU kleben, und Merkel-Gegner Merz, der schon auf den Ruf wartet, wäre ausgebremst.
Das alles weiß Stoiber. Er erinnert sich auch an das Schicksal seines Vorgängers im Parteiamt, Theo Waigel, der in Bonn als Minister die Staatsfinanzen in den Griff zu bekommen versuchte und sich starkem Beschuß aus München ausgesetzt sah. Eine Wiederholung der Situation aber ist ausgeschlossen: Waigels Widersacher hieß Stoiber. Der Weg nach Berlin ist also frei.
Artikel erschienen am Do, 9. Juni 2005 Welt.de |