Eisige Abfuhr für Stoiber
Von Severin Weiland, Leipzig
Das saß. Die Delegierten des CDU-Parteitags haben CSU-Chef Stoiber regelrecht auflaufen lassen. Spürbarer Unmut und dürftiger Applaus schlugen Bayerns Ministerpräsidenten nach seiner Rede entgegen. Der beschwor nach dem jüngsten Gezänk die Gemeinsamkeiten der Union. Doch die Mitglieder der Schwesterpartei nahmen ihm das nicht ab.
Leipzig - Peter Hintze steht nicht auf. Er klatscht, immerhin. Es sieht nicht begeistert aus. Andere Delegierte ebenso wenig. Auf dem Podium steht Edmund Stoiber und reckt einen Arm in die Höhe. Einige Delegierte im Saal blicken sich zögernd um, stehen auf, klatschen. Aber die meisten halten es wie Hintze, der ehemalige CDU-Generalsekretär. Sie bleiben sitzen. Es ist unüberseh- und hörbar in Leipzig: Das war nicht der Tag des CSU-Vorsitzenden.
Dementsprechend verkniffen wirkte Stoiber, als er neben Angela Merkel wieder Platz nahm. Die lobte seinen Vortrag, doch die wirklich herzlichen Worte wollten auch ihr nicht einfallen. Es gebe zwar auch unterschiedliche Positionen. Ihre Zusammenarbeit mit Stoiber sei aber besser und vertrauensvoller "als manches, was die Geschichte von CDU und CSU schon erlebt hat". Merkel warnte mit Blick auf die Reformverhandlungen im Vermittlungsausschuss, in den nächsten Wochen werde sich erweisen, wie wichtig es sei, dass die beiden Schwesterparteien "einig sind".
Es hat andere Parteitage gegeben im vergangenen Jahr, in Frankfurt am Main, in Hannover, da wurde der Bayer bejubelt. Sicherlich war darin auch das Kalkül der Delegierten, den damaligen Kanzlerkandidaten medial gut in Szene zu setzen. Nun scheint es so, als wollten sie ihn in Leipzig möglichst schlecht aussehen lassen. Schon seine Begrüßung geht fast unter, weil noch über Anträge beraten wird. Und beim Abschied wird gerade einmal knapp über eine Minute applaudiert.
Stoibers Versuch, die Wogen zu glätten
Tief sitzt der Verdruss in den Reihen der Partei über die Art und Weise, wie Stoiber und die CSU sich mit seinen Vorschlägen zur Rente von der CDU abgesetzt, wie der CSU-Gesundheitsexperte Horst Seehofer die Schwesterpartei wegen ihrer Entscheidung für die Einführung einer Kopfprämie im Gesundheitssystem attackiert hat. Manche in der CDU sind ratlos, warum Stoiber sich nach seinem fulminanten Wahlsieg in Bayern bundespolitisch in der programmatischen Debatte gegen die CDU in Stellung gebracht hat. Solidarisch sei ihm die CDU im Wahlkampf zur Seite gestanden, heißt es. Und nun das.
Stoiber versucht, die Streitpunkte mit allgemeinen Formeln zu überspielen. In zwei zentralen gesellschaftlichen Weichenstellungen stimmten CDU und CSU doch völlig überein, sagt er. Sozial sei, was Arbeit schaffe, Familien und Kindern müsse Priorität eingeräumt werden. Es sei doch "selbstverständlich", dass über Konzepte gestritten werde, versucht er die Schärfe aus dem Streit zu nehmen. Doch erst als er sich klar vom Konzept der Bürgerversicherung distanziert - für die sein Parteifreund Seehofer weiterhin Sympathien hegt, auch wenn er das Projekt vorerst nicht weiter verfolgt - und dieses einen "Irrweg" nennt, da kommt für einen Augenblick kräftige Zustimmung im Saal auf.
Ansonsten verfolgen die Delegierten seinen Vortrag weitgehend in einer für Verhältnisse der CDU fast gespenstischen anmutenden Ruhe. Es ist, als sei da eine Wand hochgezogen worden im Saal. Delegierten haben nur beschränkte Möglichkeiten, ihren Unmut zu äußern - hier in der Halle nutzen sie eine davon und blättern in Zeitungen, heben kaum die Hände, wenn sich Stoiber durch sein Manuskript kämpft. Der bayerische Ministerpräsident erinnert daran, dass beide Parteien sich im Bundestagswahlprogramm für eine verstärkte Anrechnung von Kinderzeiten ausgesprochen hatten. Darin sei man sich auch heute völlig einig: "Wir diskutieren allein den Weg der Finanzierung", ruft Stoiber. Angesichts der Tatsache, dass die CSU Kinderlose bei der Rentenberechnung und bei der Auszahlung später schlechter stellen will und dafür massive Kritik von CDU-Mitgliedern erfahren hat, ist das eine Untertreibung.
Stoiber sucht nach gemeinsamer Lösung
Der Finanzierungsweg, das sagt der CSU-Chef natürlich nicht, ist auch eine Grundsatzfrage, die erst noch zu klären sein wird im Verhältnis beider Parteien. Im Januar wollen CDU und CSU ihre Vorschläge miteinander abgleichen. Auch das Einkommensteuermodell von Friedrich Merz, das die CDU verabschiedet hat, wird mit im Korb sein. Wie das alles zusammen passen soll, Kopfprämie, Renten- und Steuerreform, das ist noch nicht endgültig geklärt in der Union. Stoiber mahnt, am Ende "müssen Sozialreformen und Steuerreform gut zusammenpassen." Fast beschwörend sagt er: "Das wird noch sehr schwierig werden, aber wir müssen eine gemeinsame Lösung finden."
Auch beim Thema Steuerreform beschwört der Bayer - abweichend vom Redemanuskript - Geschlossenheit: Weil das Thema so wichtig sei für das Land, deshalb lege er "so großen Wert darauf, dass wir hier beieinander bleiben". Lange und sehr ausführlich spricht er über die Steuerreform, ruft in den Saal, dass Schuldenabbau und die Rückkehr zu soliden Finanzen "die Mutter aller Reformen in Deutschland" sei. Das Vorziehen der dritten Stufe der Steuerreform, über die im Vermittlungsausschuss zu entscheiden sein wird, ist sein Thema - ein eher unverfängliches Thema angesichts des Konflikts zwischen CDU und CSU auf anderen Politikfeldern.
Manchmal klingt es, als wende sich der Mann aus Bayern indirekt an CDU-Ministerpräsidenten, die für den Koalitionsvorschlag sind. Bei "aller Wertschätzung" für Persönlichkeiten, die für das Vorziehen der Steuerreform seien, sagt Stoiber, sie bringe nur etwas in der Kombination mit Einsparungen, "aber nicht mit Schulden". Am 10. Dezember tagt der Vermittlungsausschuss wieder. Ob es dann eine Einigung gibt oder erst am 17. Dezember oder vielleicht gar nicht - das ist offen.
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