Stoibers Niedergang
Früher war Edmund Stoiber der unbestrittene Star der CSU. Seit er überstürzt den Rückzug aus Berlin angetreten hat, ist in der Partei nichts mehr wie zuvor. Aus anfänglicher Wut ist inzwischen tiefsitzender Groll geworden. Doch der Betroffene hat den Ernst der Lage offenbar noch nicht begriffen. Ein Kommentar von Peter Fahrenholz Wenn Franz Josef Strauß jemanden als politisches Leichtgewicht lächerlich machen wollte, hat er dafür gern ein Bild aus dem Schwimmbad verwendet. Das sei wie bei einem, der aufs Zehn-Meter-Brett steige, dort ein wenig herumwippe, aber statt zu springen wieder herunterklettere. Genau so hat sich sein einstiger Musterschüler Edmund Stoiber verhalten. Seit er vom Berliner Sprungturm gestiegen ist, nachdem er das Publikum zuvor lange mit seinen Posen genervt hatte, ist in der CSU nichts mehr wie zuvor. Aus der ersten Wut ist tiefsitzender Groll geworden.
Mit seiner ruhmlosen Flucht vor der Verantwortung hat Stoiber den emotionalen Draht zur eigenen Partei gekappt. Der war ohnehin stets dünner, als die Jubelarien auf Parteitagen suggeriert haben. Stoiber war nie der vitale Charismatiker wie Strauß, dem die Herzen der Partei zugeflogen wären und erst recht nicht der ehrfürchtig verehrte Patriarch wie Brandt in der SPD. Der Vorsitzende Stoiber wurde in der CSU allenfalls respektiert wegen seines Fleißes, seiner Einsatzbereitschaft, seiner Kompetenz und natürlich wegen seiner Wahlerfolge. Sein Vertrauenskapital hat er sich in langen Jahren mühsam erarbeiten müssen – und in wenigen Wochen verspielt.
Stoibers Absturz ist atemberaubend. Im vergangenen Jahr noch hätte er Bundespräsident werden können oder Chef der EU-Kommission. Jetzt hat er sein Ansehen auf allen Ebenen verloren, in der politischen Klasse, in der CDU, in der eigenen Partei, bei seinen Wählern. Und das ist für den CSU-Chef das Allerschlimmste. Die Parteifunktionäre kann man irgendwann wieder einfangen. Notfalls gibt es eben so viele Aussprachen, bis alle vom Diskutieren ganz ermattet sind. Und wenn das nicht reicht, hilft eine Geldspritze für die Infrastruktur in den Wahlkreisen rechtzeitig vor den nächsten Wahlen. Aber der Glaubwürdigkeitsverlust bei den eigenen Anhängern ist kaum reparabel.
Die Rolle als bundesdeutscher Musterknabe Stoibers gewundene Begründungen haben die Sache noch verschlimmert – sie gelten als billige Ausflüchte. Sein Abgang wurde als das gesehen, was er auch war: Eine Fahnenflucht aus persönlicher Frustration. Als es ernst wurde, stellte Stoiber seine eigene Befindlichkeit über das Wohl von Land und Partei. Der Mann, der sich immer in der Champions League wähnte, erwies sich am Ende noch nicht einmal als bundesligatauglich – das ist das Bild, das haften bleibt.
Die Wurzeln des Zorns über Stoiber reichen jedoch tiefer. Die Probleme begannen im Moment seines größten Triumphes: Mit der Zweidrittel-Mehrheit bei der bayerischen Landtagswahl 2003 tilgte Stoiber zwar die Schmach seiner knappen Niederlage gegen Gerhard Schröder ein Jahr zuvor, gleichzeitig verlor er aber den Blick für die Realitäten. Die CSU hat das Ergebnis immer überschätzt, es war vor allem der Schwäche der politischen Konkurrenz zu verdanken.
Stoiber aber glaubte nach dem fulminanten Sieg, er allein garantiere das Wohl der CSU und wollte mit einem hektisch konzipierten Reformprogramm seine Rolle als bundesdeutscher Musterknabe festigen. Damit sollte der Anspruch auf eine erneute Kanzlerkandidatur wach gehalten werden. Die CSU fügte sich murrend, aber es war eine brutal abgepresste Loyalität, mit der auch unsinnige Dinge durchgezogen wurden: die Abschaffung des angesehenen Bayerischen Obersten Landesgerichtes etwa oder die überhastete Einführung des achtjährigen Gymnasiums.
Die Nachfolger blockieren sich gegenseitig Stoibers selbstherrlicher Führungsstil rächt sich jetzt bitter. Wer keine Rücksicht nimmt, kann auch keine Rücksicht erwarten, wenn er selbst in Not gerät. Zumal für Stoiber Loyalität stets eine Einbahnstraße war: Er forderte sie ein, zahlte sie aber nur zurück, so lange es ihm nützlich erschien. Das müssen seine Getreuen Erwin Huber und Günther Beckstein erleben, die durch Stoibers Manöver beide gedemütigt worden sind. Der CSU, die sich in Bayern bereits auf eine Zukunft ohne Stoiber eingerichtet (und auch gefreut) hatte, geht es jetzt wie der Kriegerwitwe, deren vermeintlich verschollener Mann plötzlich wieder vor der Tür steht, obwohl sich die ganze Familie schon an den neuen Freund gewöhnt hat.
Vor einem raschen Sturz schützt Stoiber allein die Konstellation. In Bayern blockieren sich die beiden möglichen Nachfolger Beckstein und Huber gegenseitig. Und der an der Parteibasis äußerst beliebte, beim CSU-Establishment aber als Quertreiber in Verruf geratene Horst Seehofer muss sich erst mal in seinem Berliner Ministeramt bewähren, ehe er davon träumen kann, Nachfolger Stoibers als CSU-Chef zu werden.
Doch dass Stoiber im Jahr 2008 seine Partei noch einmal als Spitzenkandidat in die Landtagswahl führen wird, glaubt in der CSU kaum noch jemand. Schon gibt es Ortsverbände, die sich gegen seine Kandidatur aussprechen. Wenn sich diese Stimmung verfestigt, wird die Diskussion um den richtigen Zeitpunkt für einen Wechsel aufflammen. Die CSU ist da immer unsentimental gewesen. Aber Stoiber macht nicht den Eindruck, als habe er den Ernst der Lage wirklich begriffen. Er flüchtet sich in seinen üblichen Aktionismus und hofft ansonsten auf den Faktor Zeit. In Wahrheit aber hat sein politisches Ende längst begonnen.
(SZ vom 09.12.05) |