Fallen die Tiefs? Eine Serie schlechter Nachrichten überschattet die Amtseinführung von Obama, dem 44. Präsidenten der USA. Die Zahl der Erstanträge auf US-Arbeitslosenhilfe ist um 62.000 auf 589.000 gestiegen. Analysten hatten einen Anstieg um 26.000 erwartet. Der gleitende Vierwochenschnitt beläuft sich auf 519.250. Die Zahl der Arbeitslosen ist in den USA um 97.000 auf 4,61 Millionen gestiegen. Die Zahl der Baubeginne in den USA ist im Dezember um 15,5 Prozent auf annualisiert 550.000 gefallen. Analysten hatten lediglich einen Rückgang um 4,0 Prozent prognostiziert. Das ist der sechste Rückgang in Folge. Auf Jahressicht liegen die Baubeginne 45 Prozent unter dem Vorjahresniveau. Die Zahl der erteilten Baugenehmigungen ist um 10,7 Prozent gegenüber dem Vormonat auf 549.000 zurückgegangen. Analysten hatten mit einem Minus von 0,8 Prozent gerechnet. Bei beiden Datenreihen ist das der tiefste Stand seit 1959, als die Zeitreihe aufgelegt wurde. Damit befindet sich der US-Immobilienmarkt weiterhin in freiem Fall. Schaut man sich den Case-Shiller CSXR-Hauspreis-Index an, so lag das Niveau im November 2008 25 Prozent unter dem Hoch aus 2006. Aufgrund der Dynamik des Abschwungs und aufgrund der fundamentalen Hintergründe ist kaum damit zu rechnen, dass sich die Entwicklung an diesem Punkt stabilisiert. Das legt auch die Entwicklung der Baubeginne nahe, die der Calculated Risk Blog dargestellt hat (siehe Chart!). Ob der Index bei 33 Prozent unter dem Hoch aus 2006 Halt macht, erscheint mir ebenfalls recht unwahrscheinlich; zumindest sollte man mit einem Unterschwinger bis 40 Prozent unter das Hoch aus 2006 rechnen. Vom aktuellen Niveau aus wäre daher noch ein Abwärtspotenzial von weiteren gut 20 Prozent (siehe Chart!) in Betracht zu ziehen. Immer mehr Beobachter erwarten jetzt, dass der Teufelskreis zwischen Job-Verlust und Hauspreisen neu beflügelt wird und damit die Gesamtwirtschaft weiter nach unten zieht. Immer mehr glauben auch, dass die Abwärtsbewegung der Wirtschaft erst dann ausläuft, wenn sich der Hausmarkt stabilisiert. Nouriel Roubini kommt in einer aktuellen Schätzung zu der Ansicht, dass sich die gesamten Verluste im Finanzsystem der USA auf 3,6 Bill. Dollar summiert (Original-Text im Diskussions-Bereich auf der Web-Seite der TimePattern). Das machte den US-Finanzsektor bei einem Kapital von lediglich 1,4 Bill. Dollar insolvent. Der Calculated Risk Blog hält die Schätzung von Roubini für zu hoch – er geht von Kreditverlusten im Hausbausektor von 1 bis 1,5 Bill. Dollar und anderen Kreditverlusten in Höhe von 1 Bill. Dollar aus. Das ändert an der faktischen Insolvenz des Bankensystems in den USA allerdings nichts. Ich hatte mich u.a. im Artikel „Quartalssaison – die Hoffnung stirbt zuletzt“ am 10. April 2008 mit der Frage des Zusammenhangs zwischen Hauspreisentwicklung und Verlusten im Bankensystem befasst. Die damalige Spekulation kam auf rund 4 Bill. Dollar an Verlusten. In Europa ist es nicht besser: Alleine in Deutschland sollen noch faule Assets im Volumen von bis zu 300 Mrd. Euro in den Bilanzen der Banken liegen. Die Kapitalinjektionen von großen europäischen Ländern in den Bankensektor betragen seit Herbst 2008 110 Mrd. Euro. Das ist noch viel zu tun! Man muss sich den ganzen Wahnsinn noch einmal vor Augen führen: Nach 2000 wurde mit komplizierter Finanzarithmetik ausgerechnet, dass kleinere Sicherheitspuffer für die Banken reichen. Kredite und Wertpapiere ohne Ausfallrisiko (mit besten Ratings der Agenturen) bräuchten kein Eigenkapital zur Absicherung, so die Argumentation. Relevant sei nur das Verhältnis von Eigenkapital zu riskanteren Engagements, also grob gesagt die Kernkapitalquote (value at risk). Die Bankregulierung zog mit und verständigte sich mit den Banken auf eben jene risikogewichtete Kapitalquote. Das erforderliche Eigenkapital, das „unproduktiv“ herumliegt, weil sein Gegenwert nicht ausgeliehen werden kann, um damit Geld zu verdienen, wurde herabgesetzt. So hatte z.B. die Deutsche Bank 1995 eine Eigenkapitalquote von 3,9 %, 2008 aber nur noch eine von 1,7 %. In der Finanzkrise zeigte sich, dass das Risiko letztlich viel größer war als angenommen. Abschreibungen führten zu Buchverlusten, das (ohnehin reduzierte) Eigenkapital schmolz schnell dahin. Neues Eigenkapital wird benötigt, das die Banken mittlerweile nur noch beim Staat finden. Das reicht aber nicht, Wertpapiere müssen verkauft werden. Das drückt deren Preise weiter, eine neue Runde in der Abwertungsspirale verschärft die Situation. Apropos Finanzarithmetik: Die meisten mathematischen Modelle, mit denen die Banken ihr Risiko abschätzen, basieren auf unzureichenden Annahmen. Oft kommt irgendwo an entscheidender Stelle eine Gaußsche Glockenkurve zum Einsatz. Die Normalverteilung ist eine schöne Idee, sie kann in vielen Zusammenhängen z.B. in der Natur nachgewiesen werden. Aber sie basiert auf Voraussetzungen, die im Finanzgeschäft nicht gegeben sind. Ginge es nach der „Glocke“, dürfte eine Änderung des Dow Jones-Index von 7 Prozent an einem Tag nur einmal in 300.000 Jahren vorkommen, tatsächlich gab es im 20. Jahrhundert 48 solcher Tage. Zurzeit fokussieren alle Beobachter die großen Banken, die Märkte für Kreditkarten. Subprime-Hypotheken und Credit-Default-Swaps. Man sollte aber auch die mittleren und kleineren Banken nicht aus dem Auge verlieren. Hier geht es nicht um komplexe Finanzderivate, sie machen ihr Geschäft mit Beleihungen von Geschäftsimmobilien und Ausleihungen an kleinere und mittlere Unternehmen. Mit fortschreitender Rezession werden sich auch hier die Verluste häufen. So erwartet Gerard Cassidy, ein Veteran in der Analyse der Banken, dass 2009 200 bis 300 solcher Institutionen bankrott gehen oder in Merger gezwungen werden. 2008 gab es in den USA 25 Bank-Pleiten, im laufenden Jahr dürfte die Zahl also sprunghaft ansteigen. Dasselbe dürfte auch für Europa und insbesondere Deutschland zu erwarten sein. In diesen Tagen wird das Thema „Bad Bank“ viel diskutiert. Der diesjährige Wirtschafts-Nobel-Preisträger Krugman geißelt in einem Beitrag für die New York Times eine solche Idee als Aberglauben über die Allmacht von Finanzgeschenken an faktisch tote Banken und als Anmaßung des Staates, da wo es keine auskömmlichen Marktpreise gibt, könne er mit trickreichen mathematischen Modelle den „fair Value“ fauler Assets bestimmen. Wenn man die faulen Assets herauskaufe, sei das vor allem eine Rettung der Anteilseigner und ermutige das Management nur zu weiterem Risiko. Statt dessen sei es sinnvoll, schreibt Krugman weiter, dass der Staat die Aktionäre eliminiere und sich die tote Bank aneigne, dann die faulen Assets an eine Art neuen RTC der 1980er Jahre übertrage, bevor die Bank schließlich an neue Eigner verkauft wird. Was jetzt versucht werde (auch Obama denkt in diese Richtung), bedeute nur, die Anteilseigner herauszuhauen auf Kosten des Steuerzahlers. Das sei modernes Finanz-Voodoo. Eine tote Bank sei sowieso vom Steuerzahler abhängig, insofern de facto bereits nationalisiert, aber de jure blieben bei einer Bad Bank die Anteilseigner weiter am Drücker. Die deutsche Bundes-Regierung schließt eine staatliche Bad Bank aus. Mal abgesehen davon, dass Merkel und Steinbrück in dieser Krise schon viel gesagt haben, scheinen sie statt dessen die Idee von privaten Bad Banks zu favorisieren – die WestLB soll entsprechende Pläne haben, heißt es heute morgen, und bis zu 100 Mrd. Euro an faulen Assets auslagern. In diesem Zusammenhang wird ein Bad-Bank-Modell diskutiert, wie es in Schweden erfolgreich zur Lösung der dortigen Immobilienkrise in den 1990er Jahren eingesetzt wurde. Damals ging es jedoch um physisch vorhandene Immobilien mit Wert, heute geht es großteils um faule Assets ohne Wert. Wie Brad Setser schreibt, ist die globale Nachfrage nach langfristigen US-Assets drastisch zurückgegangen (siehe Chart). Private gebe es so gut wie keine mehr, die der öffentlichen Institutionen verschiebt sich von lang- zu kurzfristigen Assets. Die Frage stellt sich, wie so das immer noch große Handelsbilanzdefizit weiter finanziert werden soll (siehe Chart). Tim Geithner, Präsident der New Yorker Fed, wurde gestern als Finanzminister unter Obama bestätigt. Er sagte, er glaubt an den starken Dollar. Ob er das ernst meint? Das Problem ist folgendes: Wenn der Kapitalimport in die USA nachhaltig sinkt, kann das Handelsbilanzdefizit (siehe Chart!) nicht mehr „finanziert“ werden, es sei denn, die Exporte nehmen zu. Das aber dürfte zusammen mit einem festen Dollar kaum möglich sein. Bei dauerhaft niedrigem Kapitalimport bleibt dann als Ausweg nur nachlassender Import. Ceteri paribus wäre das gleichbedeutend mit anhaltender Kapitulation des US-Konsumenten und zeigt die weitere Verschärfung der güterwirtschaftlichen Krise an. Möglicherweise will Geithner mit seinem starken Dollar wieder für mehr Kapitalimport werben – es würde seinen künftigen Job etwas erleichtern. Einstweilen festigt sich der Dollar gegen Euro, das Währungspaar Euro/Dollar hat mittlerweile den wichtigen Pegel bei 1,29 unterschritten. Das liegt wohl vor allem an schlechten Nachrichten aus dem Euro-Raum. Die fünf-jährigen CDS-Spreads einiger südlicher EU-Mitglieder liegen 120 bis 250 Basispunkte über denen von Deutschland und Frankreich. Letztere liegen aktuell bei 50 bis 70 – auch schon mehr als eine Verdopplung gegenüber dem Spätsommer 2008. Einerseits ist es also sicher die Schwäche einzelner Mitgliedsstaaten der EU, andererseits belastet auch die erkennbare Uneinigkeit untereinander. Z.B. lehnt Steinbrück den Vorschlag eines gemeinsamen EU-Bonds ab, der notleidenden Ländern wie Italien und Griechenland helfen soll, sich billiger zu finanzieren. Solche Bonds würden 100 Basispunkte über den gegenwärtigen deutschen Renditen liegen, das sei für die Finanzierung deutscher Staatsschulden nicht akzeptabel, weil zusätzliche Finanzierungskosten in Höhe von rund 3 Mrd. Euro entstünden. Belasten dürfte schließlich auch, dass der IWF minus 2,5 Prozent BIP-Wachstum für Deutschland in 2009 voraussagt – und Null-Wachstum in 2010. Der Stimulus der deutschen Regierung liege gegenwärtig bei ungenügenden 1,2 Prozent vom BIP, wird ausgerechnet. Minimal seien 2 Prozent erforderlich. Angemerkt wird auch die starke Exportabhängigkeit, die dazu führen werde, dass Deutschland die Krise besonders zu spüren bekommen werde, heißt es. Aktuell entkoppeln sich Gold und Euro/Dollar. Das war auch im Oktober und November 2008 so und dürfte darauf hindeuten, dass sich die Krise erneut verschärft. Gleichzeitig laufen in der Intermarket-Korrelation SPX und Euro/Dollar synchron, ein stärkerer Dollar gegen Euro würde somit steigenden Aktienkursen eher entgegenstehen (siehe Chart) – und siehe oben zum Thema „Kapitulation des US-Konsumenten“. In der aktuellen Situation ist an den Aktienmärkten ein Härtetest der zuletzt erreichten Tiefpunkte unausweichlich. Momentan erscheint es mir allerdings weniger wahrscheinlich, dass etwa die Zone bei 800 im S&P 500 nachhaltig unterschritten wird, von Panik-Attacken einmal abgesehen. Auf längere Sicht allerdings dürfte ein tragfähiger Boden erst unterhalb von 600 zustande kommen. http://www.timepatternanalysis.de/ ----------- Die einzig wichtige Frage ist: Welche Alternative gibt es und wie sieht sie aus? |