Raffinerien werden zum Rettungsanker Autor: Regine Palm•Hans-Peter Siebenhaar• Datum: 20.05.2015 17:20 Uhr•
Der niedrige Ölpreis rückt für die großen Konzerne das Raffineriegeschäft wieder in den Blickpunkt. Nicht nur BP Europa freut sich über starke Margen dort. Trotzdem hat die Entwicklung für die Multis eine Schattenseite. Das lange vernachlässigte Downstream-Geschäft wird für die Ölkonzerne wieder attraktiver.
Düsseldorf/Wien. Über viele Jahre galt der Ausbau der Öl- und Gasförderung als die allein glücklich machende Strategie für die Ölkonzerne. Das hat sich durch den Preisverfall der Rohölpreise seit Sommer vergangenen Jahres grundlegend geändert. Das Raffinerie- und Tankstellengeschäft – in der Branche Downstream genannt – ist für viele Konzerne zum Rettungsanker geworden.
„Im Gegensatz zum Upstream-Bereich, also der Öl- und Gasförderung, sind die Auswirkungen des Ölpreissturzes für den Downstreambereich im operativen Geschäft eher positiv", unterstreicht Michael Schmidt, Vorstandsvorsitzender von BP Europa, mit Blick auf die Halbierung der Rohölpreise im zweiten Halbjahr 2014. Der Preisrückgang schlage sich in niedrigeren Einkaufspreisen für das Öl nieder, das auch die europäische Tochter des britischen Ölkonzerns BP am Weltmarkt für ihre Anlagen kaufen muss. Die Raffinerien hätten im Vergleich zum Vorjahr daher einen höheren Ergebnisbeitrag geliefert; die Margen erreichten dank einer gestiegenen Nachfrage im vierten Quartal sogar ein Fünfjahreshoch.
Gleichwohl gebe es eine Schattenseite des Preisrückgangs: Den Wert der hohen Lagerbestände von Rohöl und Mineralölprodukten in den Raffinerien musste BP Europa zum Jahresende auf Basis der tiefen Preise bewerten, also deutlich nach unten anpassen. Das habe sich negativ auf das Gesamtergebnis ausgewirkt. Ein weiterer negativer Sondereffekt seien höhere Rückstellungen für Pensionen wegen der anhaltend niedrigen Zinsen. Die BP Europa SE weist daher für 2014 einen Fehlbetrag von 864 Millionen Euro aus. Im Vorjahr hat das Unternehmen noch einen Jahresüberschuss von 67 Millionen Euro erwirtschaftet.
In das laufende Jahr ist BP Europa aber positiv gestartet. Der Absatz liege etwas über dem des Vorjahres. „Mit dem deutlich niedrigeren Kraftstoffpreis wird erst einmal mehr gefahren“, sagte Schmidt. Dazu kommen auch hier Sonderfaktoren wie der aktuelle Bahnstreik. Es sind eben mehr Busse und Lastkraftwagen auf der Straße. Zurzeit kostet der Liter Benzin zwischen 1,40 und 1,50 Euro. Zu Jahresbeginn musste dafür weniger als 1,30 Euro bezahlt werden.
Anderen Ölunternehmen hat das Raffineriegeschäft ebenfalls kräftig geholfen. Beim ungarischen Ölkonzern MOL sorgten die verbesserten Gewinnmargen für das beste Ergebnis in der Konzerngeschichte. Der Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) verdreifachte sich im ersten Quartal im Vergleich zum Vorjahreszeitraum auf 270 Millionen Dollar. Konzernchef Zsolt Hernádi jubelte: „Das beste Downstream-Ergebnis in einem ersten Quartal überhaupt beleuchtet, dass wir gut positioniert sind, um von günstigeren Markbedingungen zu profitieren.“ Das Ergebnis des größten ungarischen Konzerns ist umso überraschender, als üblicherweise im ersten Quartal die Nachfrage traditionell eher schwach ist.
Auch beim österreichischen Öl- und Gaskonzern OMV ist das Downstream-Geschäft zum Stabilitätsanker geworden. Österreichs größtes Unternehmen betreibt drei Ölraffinerien und 4.100 Tankstellen in elf Ländern. „Das Geschäft hat sich erholt. Das ist branchentypisch“, sagt ein OMV-Sprecher. „Die hohen Margen verbunden mit dem Niedergang des Ölpreises werden nicht bleiben“, schränkt er ein. Noch 2014 hatte die OMV ihren 45-prozentigen Anteil der Ingolstädter Bayernoil verkauft.
Indirekt hat der scheidende OMV-Chef Gerhard Roiss Fehler bei der Öl- und Gasförderung zugegeben. Gegenüber „Forbes Austria“ kündigte der Vorstandschef an, sich aus kleineren Märkten zurückziehen zu wollen. Roiss wird Ende Juni den Chefsessel an Wintershall-Chef Rainer Seele abgeben. „Parallel zum Ausbau der großen Förderungen wie eben Norwegen oder Rumänien wird es zu einer Konsolidierung kommen, also zum Rückzug aus kleinen Märkten, die weniger als 20.000 Fass produzieren“, sagte Roiss, der bei OMV in Unfrieden ausscheidet. Die Österreicher bereiten sich seit Ende des vergangenen Jahres auf einen Preis von 50 Dollar pro Fass Öl vor. Insider erwarten, dass die OMV ihre Einschätzung in den nächsten Wochen nicht grundlegend ändert.
Mittlerweile sind die meisten der internationalen Ölkonzerne heilfroh um ihr Raffineriegeschäft. Auch bei der britischen Muttergesellschaft BP hatte das Downstream-Geschäft den Gewinnrückgang zwar nicht verhindert, aber doch gebremst. So hat BP im ersten Quartal mit 2,58 Milliarden Dollar zwar rund ein Fünftel weniger verdient als im Vorjahr, das war aber mehr als erwartet. Auch die Konkurrenz hat besser abgeschnitten als erwartet.
Der britische Konzern Royal Dutch Shell verbuchte zum Jahresauftakt nur ein ganz leichtes Minus und schnitt mit einem Gewinn von 3,2 Milliarden Dollar ebenfalls besser ab als erwartet. Auch federte das Raffineriegeschäft die Verluste ab. „Unsere Ergebnisse spiegeln die Stärke unseres integrierten Geschäfts vor dem Hintergrund niedrigerer Ölpreise wider“, unterstrich Shell-Chef Ben van Beurden.
Wie lange sich die Konzerne über die hohen Raffineriemargen freuen können, ist indes fraglich. BP-Europa-Chef Schmidt wertet die letztjährige Entwicklung nur als ein Strohfeuer. „Es ist keine Trendwende“, warnt er. „Aufgrund der bestehenden Überkapazitäten in Europa werden sich die Margen fast zwangsläufig wieder nach unten entwickeln.“ Zudem stünden die europäischen Raffinerien in einem harten Wettbewerb mit kapazitätstarken und hochmodernen Anlagen in anderen Regionen der Welt, insbesondere in Asien und im Mittleren Osten. Auch in den USA hätten die Raffinerien aufgrund der starken Schiefergas- und Schieferölförderung eine Renaissance erlebt. Selbst für die Stilllegung vorgesehene Anlagen an der Ostküste produzierten weiter. Wegen der niedrigen Rohstoff- und Energiekosten dort seien sie bei hohen Margen voll ausgelastet.
Jeden Freitag erreicht Sie mit unserem Newsletter ein Überblick über Neuigkeiten aus Bereichen wie Energiepolitik, Nachhaltigkeit und Mobilität. mehr… Gerade die stark wachsende Produktion in den USA hatte die Ölpreise Mitte vergangenen Jahres zeitweise auf weniger als 50 Dollar je Barrel (159 Liter) fallen lassen. Zuletzt kostete Öl wieder rund 63,50 Dollar. „Der kräftige Rückgang der Bohraktivität in den USA war ein wesentlicher Grund für die Preiserholung in den letzten drei Monaten“, resümierten vor kurzem die Rohstoffexperten der Commerzbank. Doch das kann sich auch schnell wieder ändern. Eine Reihe amerikanischer Ölproduzenten hat bereits angekündigt, bei höheren Preisen ihre Ölbohrungen wieder auszuweiten.
Das wäre für den Markt angesichts der Überkapazitäten fatal. Wegen ihrer steigenden Schieferölproduktion mit Hilfe des Fracking-Verfahrens sind die Amerikaner am Weltmarkt als Nachfrager quasi ausgefallen. Dies spiegelt sich in einem kräftigen Anstieg der US-Lagerbestände wider. Zuletzt lagen sie mit über 490 Millionen Barrel (je 159 Liter) so hoch wie nie zuvor. Mit Spannung wird daher erwartet, die das Ölkartell Opec bei seinem Treffen in Wien auf die Preissituation reagiert. Zuletzt hatte das Opec-Schwergewicht Saudi-Arabien dafür gesorgt, dass der Ölhahn weit aufgedreht bleibt und somit dem Raffineriegeschäft unerwarteten Rückenwind verschafft.
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