Ich finde einen solchen Einwand wie hier
"Jericho halten weiterhin eine LV-Posi von 3,15-3,5 %. Denkt ihr sie sind völlig dämlich? ... Ich bin stark davon überzeugt, dass wir den größten Trumpf seitens den LV noch nicht gesehen haben."
interessant und möchte darlegen, wieso er unbegründet ist.
1) Es gibt mit Bofi, Wirecard, Ströer und z.B. Lufthansa Unternehmen, deren Aktienkurse selbst bei zweistelligen LV-Quoten gestiegen sind.
Diese LV-Quoten wurden zudem eingegangen, um eine Verleumdungskampagne erst so richtig durchschlagend zu machen. Mit den Fundamentals der zugrunde liegenden Unternehmen hatte dies wenig bis gar nichts zutun.
2) LVs sind eventgetrieben. Ein Event könnte eine Shortattacke sein, ein Marktcrash, ein massiver Mitarbeiterstreik oder was Politisches. Nicht selten positionieren/präparieren sich die HFs vor bzw. wegen wichtigen Wahlen, geldpolitischen Entscheide, etc. mit Leerverkäufe für etwaige Markteinbrüche. Mit den Unternehmen hat das ebenfalls wenig bis nichts zu tun!
3) Da das marktwirtschaftliche- wie kapitalistische System auf Steigerung (Umsatz, Gewinn, Produktivität, etc) ausgelegt ist, ist das originäre Geschäftsmodell der Börse ja auf steigende Aktienkurse zu setzen. Da Aktienkurse aber auch runter gehen, verdient man ja kein Geld mit diesem originären Ansatz. Also hat man sich Leerverkäufe ausgedacht, um an fallenden Kursen Geld zu verdienen bzw. fallende Kurse zu verursachen.
Hierbei verhält es sich genauso, wie bei steigenden Kursen: Wer massiv Aktien kauft, der lässt einen Kurs ansteigen - durchaus so stark, dass er quasi den Fundamentals hinwegläuft. Oft folgt diesem Anstieg eine Konsolidierung, die seitwärts oder sinkend verläuft und sich der Kurs somit wieder den Fundamentals annähert. Dieses Prinzip, nur eben von unten nach oben, gilt auch bei massiven Kurseinbrüchen (egal ob durch Short-Attacke oder begründet). Aktien, die massiv und zweistellig gefallen sind, stellen eine Übertreibung nach unten dar und werden früher oder später nach oben hin korrigiert. Das kann ganz schnell gehen (V-Form), oder eben eher schrittweise über einen längeren Zeitraum.
Kurzum: Ein Kursverlauf gibt Leerverkäufern, genauso wie uns, nur bedingt Recht in unserem Investitionsentscheid und hat auf mehrmonatige Sicht wenig bis gar keinem Einfluss. Man darf nur nicht ungeduldig sein!
4) HFs verkaufen Aktien von Unternehmen leer, die ohnehin schon angezählt sind bzw. bei denen die Wahrscheinlichkeit, dass sich ihre Performance eintrübt bzw. trüb bleibt, sehr hoch ist. Es ist aber nicht der Fall, dass bei deutsche Unternehmen wirklich mal Dreck herauskam, nachdem LVs ihre Positionen eingingen. Die spekulieren genauso wie wir und wer bei ca. 10 Firmen short geht, dem ist schon nach der Normalverteilung einige Male das Glück gewogen. Dieser Diversifikationseffekt ist ja bei uns auch gegeben.
5) Hinzu kommen Hedginggründe sowie Nebenerlös-Motive als Erklärung für den Aufbau von LV-Positionen zum Tragen. Und dies sind ja per se unternehmensunabhängige Gründe!
Blackrock ist ein gutes Beispiel, denn die sind als größter Vermögensverwalter der Welt an quasi jedem Börsenunternehmen beteiligt und werden diese Anteile auch länger halten, als wir vermutlich leben werden! Mit einem solchen Anlagevolumen und -horizont ist es ihnen egal, ob leerverkauft wird. Im Langfrist-Chart sehen selbst -30% nach einer kleinen Delle aus. Indem Blackrock (z.B. bei Freenet machen die das oft) an eigene Tochterfirmen ihre Aktien verleiht für Leerverkäufe, schützen sie ihre Aktien vor einer Überhitzung, können ggf. verbilligen, lassen sich eine Leihgebühr bezahlen und stocken diesen Nebenverdienst im besten Fall noch durch den erfolgreichen Abschluss ihrer Leerverkäufe weiter auf.
Kurzum: Leerverkäufe sind in den seltensten Fällen dafür da, um (vom Markt noch nicht erfasste) Missstände aufzudecken, sondern um mit jeder Kursbewegung Geld zu verdienen.
Als Longie, an dessen Beteiligung sich keine wirklich besorgniserregenden und nachhaltigen operativen Schwächen zeigen, kann man LVs als ein notwendiges Übel und ohne besonderen Argwohn akzeptieren, aber man braucht sie nicht als Rächer im Namen der Gerechtigkeit/Aufklärung fürchten oder gar verteufeln.
Seht Ihr das anders? |