Außenminister Frank-Walter Steinmeierbefürchtet, dass die Lage im Südosten der Ukraine außer Kontrolle geraten könnte. In der Hafenstadt Mariupol am Asowschen Meer bereiten sich die Ukrainer auf einen Ansturm der Separatisten vor. Das Interesse der Rebellen an dieser Region des Landes hängt laut Steinmeier mit der bereits annektierten Krim zusammen: "Offenbar hat Russland Versorgungsschwierigkeiten auf der Krim", sagte er der "Märkischen Allgemeinen". Schließlich sei die völkerrechtswidrig annektierte Halbinsel für Russland nur aus der Luft oder über das Meer zu erreichen.
"Es scheint also nicht ausgeschlossen, dass Russland versucht, Landverbindungen zu schaffen, mit denen die Versorgung der Bevölkerung auf der Krim von russischer Seite aus organisiert werden soll", so Steinmeier. Solche Schritte wären "ebenso völkerrechtswidrig und zu verurteilen wie die Annexion der Krim".
Der Minister warnte, es drohe eine "unmittelbare militärische Konfrontation zwischen der Ukraine und Russland". Die EU sei deshalb entschlossen, "neben Verhandlungsmarathons auch den wirtschaftlichen und politischen Druck" auf Russland weiter zu erhöhen.
Am Sonntag hatten prorussische Separatisten ein ukrainisches Kriegsschiff auf dem Asowschen Meer beschossen. Der Angriff erfolgte von Land aus mit Artilleriegranaten. Nach Angaben eines ukrainischen Militärsprechers handelt es sich bei dem Schiff um einen Marinekutter, eine Rettungsmission sei unterwegs. Über mögliche Opfer machte er keine Angaben.
US-Senator will Waffenlieferungen
Seit rund fünf Monaten liefern sich in der Ukraine prorussische Separatisten und Regierungstruppen erbitterte Kämpfe. Nachdem die Soldaten aus Kiew viele Städte zurückerobern konnten,starteten die Separatisten vor einer Woche eine Gegenoffensive. "Wir können sie aufhalten, aber wie lange?", sagte ein Kämpfer des "Asow-Bataillons" in der Hafenstadt Mariupol. In Erwartung des Angriffs wurden Gräben ausgehoben und Stacheldrahtbarrieren errichtet. Mariupol sei "die letzte große Stadt der Region unter ukrainischer Kontrolle", sagte ein Kommandeur des Bataillons, das aus freiwilligen Kämpfern besteht. Als Reaktion auf den Vormarsch der Separatisten hat der Vorsitzende des Außenausschusses im US-Senat, der demokratische Senator Robert Menendez, die USA, die Europäische Union und die Nato aufgefordert, die Ukraine mit Waffen zu unterstützen. An dem Konflikt in der Ostukraine seien nicht mehr nur Separatisten beteiligt, sondern es gebe dort "eine direkte russische Invasion", sagte Menendez am Sonntag dem Fernsehsender CNN während eines Besuchs in der ukrainischen Hauptstadt Kiew.
Die USA, die EU und die Nato müssten "berücksichtigen", dass sich die Situation dort "radikal" verändert habe. Die ukrainische Regierung und der Westen werfen Russland vor, die Separatisten mit Waffen und mit eigenen Soldaten zu unterstützen - was Russland bestreitet. "Wir müssen der Ukraine die Möglichkeit geben, sich zu verteidigen", sagte Menendez. Die Entsendung von US- und Nato-Truppen in die Ukraine schloss er jedoch aus.
Verhandlungen in Minsk
Angesichts der Eskalation des Konflikts im Osten des Landes hatte die Ukraine zuletzt um Unterstützung durch die Nato gebeten. "Was wir brauchen, ist mehr Hilfe, auch militärisch", sagte der ukrainische Nato-Botschafter Ihor Dolhov in Brüssel. Ihm sei klar, dass die Nato keine Soldaten schicken könne, die Ukraine bitte aber um Waffen. Die Nato steht in dem Konflikt des Landes mit Russland und den Separatisten in der Ostukraine hinter der Regierung in Kiew, sieht aber bislang von einer militärischen Unterstützung ab.
Die Hoffnungen liegen jetzt auf dem für Montag angesetzten Treffen der sogenannten Kontaktgruppe in Minsk, der Vertreter der russischen und der ukrainischen Regierung sowie der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) angehören. Der stellvertretende Anführer der Separatisten in der ostukrainischen Region Donezk hat seine Teilnahme an den Gesprächen in der weißrussischen Hauptstadt zugesagt. Er rechne aber nicht mit einem Durchbruch, zitierte die russische Nachrichtenagentur Itar-Tass am Sonntag Andrej Purgin, Vizeministerpräsident der von den prorussischen Separatisten ausgerufenen Volksrepublik Donezk.
Die Präsidenten der Ukraine und Russlands, Petro Poroschenko und Wladimir Putin, hatten sich auf das Treffen der Kontaktgruppe am vergangenen Dienstag geeinigt. Ziel ist es, ein Ende des Konflikts zu erreichen, in dem bislang etwa 2600 Menschen getötet wurden. Für die Ukraine soll deren ehemaliger Präsident Leonid Kutschma nach Minsk reisen. Russland wird vertreten durch seinen Botschafter in der Ukraine, Michail Surabow.
ric/mxw/AFP/Reuters |