Treffen Biden und Putin sich in Genf...
Von Peter Schink 02.06.2021, 08:02 Uhr
.... Das Florett der Diplomatie
Diplomatische Initiativen kündigen sich meist leise und uneindeutig an. So muss man wohl deuten, was vor wenigen Tagen in Washington verkündet wurde. Die US-Regierung werde keine weiteren Sanktionen gegen Nord Stream 2 verhängen, sagte US-Präsident Joe Biden. Sie seien angesichts des fortgeschrittenen Baustadiums "kontraproduktiv". Das klang wie ein Einknicken vor dem Faktischen. Doch das Gegenteil ist der Fall.
Die Lage ist verfahren und komplex. Die Arbeiten an der Pipeline sind weit fortgeschritten, der Bau ist fast fertiggestellt. Nach Angaben der Betreiber wurden bislang acht Milliarden Euro in die beiden Röhren und drei Milliarden in die weitere Infrastruktur investiert. Und weil alles ordentlich genehmigt wurde und mehr als 1.000 Firmen an dem Projekt mitgewirkt haben, wäre der vielfach geforderte Baustopp ein Milliardengrab mit unabsehbaren Schadensersatzforderungen.
Der öffentliche Widerstand gegen das Projekt ist seit Beginn groß. Vor wenigen Tagen erst sprachen sich 80 prominente Politiker aus aller Welt für ein Moratorium aus, nahezu zeitgleich forderte die grüne Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock einen Baustopp. Sie begründete ihre Forderung damit, das Projekt sei "von geostrategischer Bedeutung".
In der Tat. Die Pipeline ändert vor allem eines: Für den Export seines Gases braucht Russland den Transit durch die ungeliebten Transitländer Polen und Ukraine kaum noch. Russlands Exporteinnahmen stammen nach wie vor zu 60 Prozent aus dem Öl- und Gasgeschäft. Unsicherheiten beim Export wie 2009 und 2019 will Putin unbedingt vermeiden.
Aus diplomatischer Sicht für den Westen eine großartige Chance. Putin braucht die Pipeline, wir nur bedingt. Sie ist also bestens als Druckmittel geeignet.
Der von Baerbock geforderte Baustopp könnte allerdings das Gegenteil bewirken. Putin hat in der Vergangenheit auf politischen Druck nicht mit Einlenken reagiert.
Das Hamburger Matthiae-Mahl: im großen Festsaal des Hamburger Rathauses sorgte Wladimir Putin 1994 für einen Eklat. (Quelle: imago images)Das Hamburger Matthiae-Mahl: im großen Festsaal des Hamburger Rathauses sorgte Wladimir Putin 1994 für einen Eklat. (Quelle: imago images)
Die diplomatische Herausforderung liegt im Charakter und im Politikstil des russischen Präsidenten. Der Mann regiert wie ein Zar und verhält sich entsprechend, wenn er den Eindruck hat, sein Gegenüber überschreitet "eine rote Linie" (eine Formulierung, die er selbst schon öfter gewählt hat).
Der frühere Hamburger Bürgermeister Henning Voscherau hat das im Februar 1994 erleben dürfen. Putin, damals noch Vizebürgermeister in St. Petersburg, war zu einem Festbankett in die Hansestadt eingeladen. Die Festrede hielt der damalige Staatspräsident Estlands, Lennart Meri. Er beschuldigte die russische Staatsführung vor Hunderten Gästen, sie wolle wieder die Vorherrschaft im Osten an sich ziehen. Putin warf daraufhin seine Serviette auf die Festtafel und marschierte laut hörbar über das knarzende Parkett aus dem Saal. Voscherau warf er dabei noch einen verächtlichen Blick zu, schilderten Augenzeugen.
Die Reaktion ist eine Mischung aus Putins Persönlichkeit und russischem Nationalstolz. Wenn er sich geschwächt oder unter Druck sieht, reagiert er mit Aktion und Gegendruck.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat während ihrer Amtszeit abgeleitet, man müsse immer versuchen, im Dialog zu bleiben. Putin dankte das Angebot im Gegenzug mit ständigen Grenzüberschreitungen, auch sehr realen. Der Einmarsch in der Ukraine, die Beeinflussung der US-Präsidentschaftswahl 2016, der Mord im Tiergarten, die versuchte Ermordung von Alexej Nawalny – die Liste ist lang und unerträglich. Es wird also Zeit für eine Antwort, die von Putin verstanden werden kann.
Sie muss lauten: Wir können Partner sein, wenn wir uns auf gemeinsame Spielregeln einigen. Eine Verletzung dieser Regeln hat unmittelbare Folgen.
Es macht den Anschein, dass die Biden-Regierung in diesen Tagen an so einer Mechanik zu arbeiten versucht. Am 16. Juni treffen sich beide Präsidenten in Genf zu einem Gipfeltreffen, davor tourt Biden durch Europa. Im Vorfeld seiner Reise kommen am heutigen Mittwoch hochrangige deutsche Regierungsvertreter zu Gesprächen in Washington an, unter der Leitung von Merkels außenpolitischem Berater Jan Hecker und ihrem Wirtschaftsberater Lars-Hendrik Röller. Weil Washington auf Sanktionen verzichtet hat, erwartet man von den deutschen Emissären nun ein substanzielles Entgegenkommen beim Thema Nord Stream 2. Das könnte so aussehen: Die Pipeline wird zu Ende gebaut. Sie wird aber erst in Betrieb genommen, wenn Putin in noch zu definierenden Punkten seine Politik ändert.
Letztlich wird Putin auf so einen Deal nur eingehen, wenn er sich davon einen Vorteil für seinen eigenen Machterhalt verspricht. Dem Florett der Diplomatie muss gelingen, dass Putin gestärkt hervorgeht (oder sich so fühlt) und im Gegenzug den Eindruck hat, er habe dafür nicht zu viel geben müssen. Das gilt in der Diplomatie für beide Seiten, also auch den Westen. Leicht wird uns das nicht fallen.
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