23.07.2012 Reisebranche Eine weite Reise Die deutsche Urlaubsbranche eilt von Bestmarke zu Bestmarke. Doch statt Jubelarien kommen von Touristikern nachdenkliche Signale. Nicht ohne Grund. Von TIMO KOTOWSKI
Foto: NORA KLEIN Die Laune der Rekordhalter könnte besser sein. Insgesamt eilt die deutsche Urlaubsbranche von Bestmarke zu Bestmarke, weil die Bundesbürger unverändert gern reisen, mehr Wert auf Qualität legen und mehr für erholsame Wochen ausgeben. Auch 2012 wird die Branche die Höchstwerte des Vorjahres übertreffen - obwohl das Geschäft mit Griechenlandreisen über Monate desaströs verlaufen ist und obwohl Ziele am Nil und am Roten Meer nur schleppend Gäste zurückgewinnen, die sie während der Nordafrika-Unruhen verloren haben. Die starke Nachfrage nach Reisen in Richtung Spanien und Türkei sowie über längere Strecken nach Thailand und auf die Malediven macht diese Makel mehr als wett. Doch statt Jubelarien kommen von Touristikern nachdenkliche Signale, nicht ohne Grund.
Die traditionelle Reisewelt war einfach: Zwischen dem Kunden am Ausgangspunkt der Reise und dem Hotelier am Urlaubsort standen bloß die Veranstalter-Konzerne als Organisatoren von Reisen und die Reisebüros als Vermittler und Verkäufer. Die Reisewelt der Zukunft ist komplexer: Eine ganze Reihe neuer Mitspieler buhlt darum, die Urlaubswilligen mit den Erholungs-Anbietern zusammenzubringen. Online-Verkäufer, Datenbankbetreiber und Vertriebsdienstleister für Hotels sind dazu gekommen. Jeder trachtet danach, sein Geschäft auszudehnen und Kontakt zum Endkunden zu bekommen. Doch - abgesehen von den Ländern Osteuropas - gilt für den gesamten Kontinent, dass die Zahl der Urlauber langfristig nicht wachsen, sondern schrumpfen wird.
Nicht mehr erste Adresse für schöne Ferien Die aktuellen Sonnenscheinwerte für die deutsche Branche verdecken, dass keineswegs überall in der Reisewelt bestes Klima herrscht. Wie geschmiert lief der Wachstumsmotor zuletzt vor allem auf Kreuzfahrtschiffen. Bei Hochseereisen haben die Deutschen im internationalen Vergleich Nachholbedarf, den sie aktuell und wohl auch in den kommenden Jahren befriedigen. Mit Familien- und Clubhotels an den Küsten des Mittelmeers sind sie hingegen überversorgt.
Noch können sich die alteingesessenen Reiseveranstalter glücklich schätzen, dass langjährige Kunden verlässlich ihre Pauschalreise buchen. Mehr Geld bekommen die Veranstalter vor allem von nur zwei Gruppen: von aktiven Senioren und von Paaren, die wieder Urlaubswochen zu zweit planen können, nachdem die Kinder aus dem Elternhaus ausgezogen sind. In den Köpfen vieler jüngerer Reisewilliger gelten die etablierten Urlaubsorganisatoren nicht mehr als erste Adresse für schöne Ferien - ein Versäumnis, das spätestens dann auf die Branche zurückschlägt, wenn in der alternden Gesellschaft die bislang besten Kunden auf große Reisen verzichten.
Schon während der vergangenen zehn Jahre haben die großen Anbieter Federn gelassen, weil sie sich nur zögerlich auf Veränderungen einließen. Der Marktanteil des Branchenführers TUI ist unter 20 Prozent gerutscht. Thomas Cook ergattert heute einen geringeren Anteil der Reiseausgaben als vor fünf Jahren, obwohl man sich zwischenzeitlich den Türkeireisespezialisten Öger Tours einverleibte.
Die Veranstalter müssen in den Spagat gehen Lange haben die Branchengrößen zugesehen, wie kleinere, wendigere Herausforderer ihnen Marktanteile entrissen. Stolze Mitteilungen, man habe das eigene Hotelangebot durchforstet, belegen bloß, dass in der Vergangenheit nicht alles so schön war, wie es auf den Fotos schien. Auch die neuen Online-Konkurrenten ließen die Etablierten zunächst gewähren. Die Neulinge kauften auf dem von Überkapazitäten geprägten Flugmarkt günstig freie Sitzplätze zusammen, um dann komplette Urlaubsreisen billiger anzubieten. Die Gegenwehr bestand schließlich darin, das Geschäftsmodell der Herausforderer zu kopieren. Das gelang immerhin erfolgreich.
Das Internet verändert die Touristik wie schon den Einzelhandel. Doch damit ist die Herausforderung für die Reiseveranstalter zu simpel beschrieben. Langfristig geht es darum, wie Urlauber und Hoteliers neu zueinander finden und welche Rolle die alteingesessenen Reiseorganisatoren dabei überhaupt spielen. Wer diesmal zu lange zögert, läuft Gefahr, gar keine Rolle abzubekommen. In der einfacheren, traditionellen Urlaubswelt hatten sie Bettenkontingente und Flugkapazitäten gebündelt, Massenprodukte für Kunden geschaffen und Skalenerträge erzielt. Heute finden Reisewillige Offerten für Herbergen auch bei Google, Hoteliers füllen ihre vielen Räume in Urlaubsburgen mit tausend und mehr Betten, indem sie selbst Kontakte zu den sogenannten „Bettenbanken“ pflegen.
Die Veranstalter müssen in den Spagat gehen, an Produkten und Buchungstechnik zugleich arbeiten. Sie müssen potentielle Kunden in der Heimat besser ansprechen und ebenso näher an die Hoteliers in den Urlaubsorten heranrücken. Nur mit Konzepten und Marken für Urlaubserlebnisse, die sie allein anbieten, können sie dem permanenten Preisvergleich der Sparfüchse entfliehen. Nur wer schneller als bislang Angebote und Konditionen der Herbergen in seine Systeme einspeist, bleibt für Hoteliers ein hilfreicher Partner, der preisbewusste Gäste herbeikarrt, wenn Zimmer frei sind. Um das alles zu verwirklichen, ist es aber für die Urlaubsgestalter noch eine weite Reise. |