Spekulationsblasen
"Die Karawane zieht weiter"
Das Spiel wiederholt sich seit dem großen Tulpenwahn im 17. Jahrhundert: Ist ein Spekulationsobjekt ausgereizt, suchen Milliardensummen neue Anlageziele. Von FOCUS-MONEY-Redakteur Ferdinand Bertram
Das Tempo ist rekordverdächtig. Binnen vier Monaten erhöhte sich der Preis für ein Fass WTI-Rohöl um 65 Prozent auf 135 Dollar. Das ist nicht das Ende der Fahnenstange, wenn die Ölexperten der US-Investmentbank Goldman Sachs richtig liegen. Sie halten in den nächsten zwei Jahren einen Höhenflug bis an die Marke von 200 Dollar für möglich ? Gift für die globale Konjunktur. Andere malen ebenfalls schwarz, in die andere Richtung: Die lebende Börsenlegende George Soros sagte jüngst, dass die Art, wie Investoren derzeit Geld in Anlagen mit Öl pumpen, die Form einer Spekulationsblase annimmt. ?An der Börse wird immer das gleiche Theater gespielt, nur mit verschiedenen Darstellern?, umschrieb der 1999 verstorbene Börsenaltmeister André Kostolany das sich immer wiederholende gierige Treiben an den Märkten. Im 17. Jahrhundert spekulierten sich vor allem Niederländer mit Tulpenzwiebeln um Kopf und Kragen und nicht selten ins Armenhaus. Später wiederholte sich das Theater, etwa mit Eisenbahnaktien, Silber, japanischen Aktien, Neue-Markt-Aktien, US-Immobilien und jetzt vielleicht beim Rohöl. Ist ein Spekulationsobjekt ausgereizt und der Markt zusammengebrochen, suchen Milliarden Dollar und Euro ein neues, viel Profit versprechendes Objekt. Getreu dem Lied der Kölner Kultband De Höhner: ?Die Karawane zieht weiter, dä Sultan hätt Doosch.?
Der große Tulpenwahn
Sie gilt als die Mutter aller Spekulationsblasen: die Tulpomanie, der große Tulpenwahn, in den Niederlanden des 17. Jahrhunderts. Aus dem Osmanischen Reich über Wien nach Holland eingeführt, faszinierte die Schönheit der Tulpe vor allem begüterte Kreise. Züchter schufen immer neue Varianten in unterschiedlichen Farben und Mustern. Bald wurden die Zwiebeln auf Auktionen versteigert, später wurden Optionsscheine auf Zwiebeln gehandelt. Die Preise schossen exorbitant in die Höhe. In Amsterdam wurde ein komplettes Haus für drei Zwiebeln verkauft. Die Blase platzte im Februar 1637. Bei einer Auktion traute sich keiner mehr, zu Wahnsinnspreisen zu bieten. Der Markt brach zusammen, die Preise fielen um 95 Prozent.
Silber-Wahn in den 70er-Jahren
Rückblende in die 70er-Jahre: Nelson Bunker Hunt und sein jüngerer Bruder Herbert William Hunt, Sprösslinge des Ölmilliardärs H. L. Hunt, kamen auf den Trichter, dass teuer wird, was knapp wird. Zusammen mit einigen wohlhabenden arabischen Geschäftsmännern kauften sie im großen Stil Silber, sowohl physisch als auch in der Form von Kontrakten an der New York Commodities Exchange (Comex) und wollten so den Preis künstlich in die Höhe treiben. Aus Angst, der amerikanische Staat könne die Silberbarren konfiszieren, ließen sie ihre Schätze nach Zürich und London bringen. Sie brachten es auf etwa 5000 Tonnen (circa 150 Millionen Unzen) physisches Silber und 200 Millionen Unzen an der Comex. Die Spekulation schien aufzugehen. Der Silberpreis schoss von gut 500 Cent je Unze binnen wenigen Monaten auf den Höchststand von 4948,11 Cent. Dann stellte sich heraus, die Hunts hatten die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Über Nacht änderte die Börsenaufsicht die Regeln an der Comex. Es durften keine neuen Käufe getätigt werden, nur noch die Liquidation war erlaubt. Tausende Kleinanleger versilberten panikartig ihr Silber, die Hunts mussten Verluste ihrer Long-Positionen in bar ausgleichen. Bald waren Milliarden Dollar verloren, die Hunts bankrott. Die Karawane zog weiter ...
Die Japan-Blase in den 80er-Jahren
Das weckt weitere Erinnerungen. Etwa an die Aktien- und Immobilienblase in Japan in der zweiten Hälfte der 80er-Jahre. Im sogenannten Plaza-Abkommen kamen die Industrienationen USA, Deutschland, Japan, Großbritannien und Frankreich überein, den Dollar gegenüber den Währungen der vier anderen Länder abzuwerten, parallel dazu wertete in den folgenden zwei Jahren der Yen zum Dollar um rund 100 Prozent auf. Internationale Investoren und die Japaner selbst kauften alles, was seinen Wert in Yen hatte, spekulierten im Yen selbst und kauften japanische Aktien und Immobilien, um von der Wertsteigerung zu profitieren. Im Rausch ging jegliches Augenmaß verloren. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis des japanischen Aktienmarkts schnellte von 20 auf mehr als 70, ohne dass sich irgendjemand daran störte. Aktien wurden zu jedem Kurs gekauft. Die Immobilienpreise auf den japanischen Inseln erreichten Mondpreise. So soll auf dem Höhepunkt der Blase der Park des Kaiserpalasts im Herzen Tokios genauso viel wert gewesen sein wie alles Land des US-Bundesstaats Kalifornien. Banken vergaben Milliardenkredite und akzeptierten die zu Fantasiepreisen bewerteten Immobilien als Sicherheit ? bis Anfang 1990 die Blase platzte. Der Wert vieler Immobilien reduzierte sich um 70 bis 80 Prozent, der Aktienmarkt implodierte. Vom Schock hat sich der japanische Aktienmarkt bis heute nicht erholt. Hartgesottene Investoren, die ihre Schäfchen frühzeitig vor dem Crash ins Trockene brachten, machten sich auf die Suche nach neuen Chancen. Die Karawane zog weiter ...
Web-Fantasien, US-Immobilien, Ölpreis-Szenarien
Ein neues Ziel war bald gefunden. Erst fluteten die Investoren die Standardwerte im Euro- und Dollar-Raum mit Liquidität ? Dax und Dow-Jones stiegen von 1990 bis 2000 um 250 bzw. 280 Prozent. Dann trieb die Online-Fantasie Spekulationen auf die Spitze. Internet-Anschlüsse zogen in Büros und Privathaushalte ein. Rund um den Globus wurden Tausende auf die neue Technik bauende Unternehmen gegründet, denen die Börsen zum Teil eigene Segmente einrichteten. Die Deutsche Börse beispielsweise schuf das Segment des Neuen Markts, in dem sie junge, angeblich zukunftsweisende, stark wachsende Unternehmen listete.
In den USA prosperierte die Nasdaq dank der neuen Geschäftsmodelle. Kräftig anziehende Kurse lockten zunehmend Anleger an die Börse, die kaum wussten, was sie da eigentlich kauften. Gewinnerwartungen spielten keine Rolle. Im Gegenteil: Je schneller Geld verbrannt wurde, desto heißer wurden die Kursfantasien. Kleine Internet-Klitschen mit wenigen Beschäftigten und Minibüros erreichten nicht selten den Börsenwert mancher Dax-Unternehmen. Der Nemax, Index des Neuen Markts, legte binnen 27 Monaten um knapp 870 Prozent zu, bis die ersten Investoren ihre satten Gewinne realisierten und eine Lawine in Gang setzten. Vom Hoch am 10. März 2000 stürzte der Index bis zum 21. September 2001 um 93 Prozent ab. Betroffen waren in erster Linie Kleinanleger. In den Kassen derer, die rechtzeitig ausstiegen, blieben Milliarden von Dollar und Euro Spekulationsgewinn hängen. Die sollten neu und profitabel angelegt werden. Die Karawane zog weiter ...
Euphorie am US-Immobilienmarkt
Und entdeckte ab 2003 das Geschäft mit verbrieften Krediten. Hauptakteur des neuen Stücks war und ist der US-Immobilienmarkt. Dank der von der US-Notenbank Fed praktizierten Politik des billigen Geldes schien sich fast jeder Amerikaner eine Immobilie leisten zu können. Die Hauspreise legten über Jahre zu, die Amerikaner wurden immer reicher und nahmen bereitwillig neue Hypotheken auf ihre Behausungen auf. Der Konsum brummte, der Aktienmarkt haussierte, und die Bürger jenseits des Großen Teichs wähnten sich im Paradies. Im Rausch der Euphorie erhielten nun auch diejenigen Kredite, die sich das gar nicht leisten konnten. Die Kredite wurden gebündelt und an Investoren in aller Welt weiterverkauft. Dann kam, was kommen musste: Ab Sommer 2007 häuften sich die Kreditausfälle, Häuser kamen zuhauf auf den Markt, die Preise für Immobilien brachen zusammen und zogen die Aktienmärkte mit nach unten. Wieder endete eine Übertreibung mit dem Platzen der Blase. Und wieder zieht die Karawane weiter.
Ängste ob versiegender Ölreserven
Mit dem Argument, Öl sei heute und zukünftig knapp, begründen derzeit manche Rohstoffexperten den Preisauftrieb. Derweil gibt es handfeste Gründe, das Argument anzuzweifeln. Der weltweite Ölverbrauch stieg von 1980 bis einschließlich 2006 nach Angaben des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI) von 21,81 Milliarden Barrel (ein Barrel ? Fass ? entspricht 159 Litern) um 31 Prozent auf 28,51 Milliarden Barrel. Im selben Zeitraum wuchsen die bekannten Reserven um 81 Prozent auf 1,2 Billionen Barrel. ?Dadurch?, so Michael Bräuninger, Geschäftsführer und Leiter des Kompetenzbereichs Wirtschaftliche Trends beim HWWI, ?stieg die statische Reichweite der Ölreserven von rund 30 Jahren in 1980 auf mehr als 42 Jahre im Jahr 2006.?
Die Reichweite wird eher wachsen als abnehmen, erwartet Bräuninger und verweist als Beispiel auf den neuen Ölfund vor der brasilianischen Küste vor einigen Wochen. ?Wie viel Öl noch unter der Arktis liegt, ist umstritten. Nach Schätzungen des Geologischen Dienstes der USA (USGS) befinden sich unter dem Eis der Arktis ein Viertel aller noch nicht entdeckten Öl- und Gasvorkommen der Erde?, erklärt Bräuninger. Dass dort etwas zu holen ist, zeigen schon die Bemühungen Russlands. 2007 erreichten drei Russen an Bord eines Mini-U-Boots den Meeresboden am Nordpol. In mehr als vier Kilometer Tiefe hinterließen sie eine russische Flagge aus unverwüstlichem Titan ? damals Symbol für Moskaus umstrittenen Anspruch auf das Gebiet und die Bodenschätze unter dem Polarmeer. Vergangene Woche berieten die Arktis-Anrainerstaaten Russland, USA, Kanada, Norwegen und Dänemark über ihre Gebietsansprüche. Eine schnelle Klärung wäre für die Welt vorteilhaft. Denn durch die Klimaerwärmung schmelzen riesige Eismassen weg, was die Förderung der Bodenschätze leichter und billiger machen dürfte. Was also treibt den Ölpreis, wenn von einer akuten Knappheit nicht die Rede sein kann? ?Der Ölpreis steigt, weil er steigt?, kommentierte vor einigen Tagen der Rohstoffexperte Eugen Weinberg von der Commerzbank das Geschehen. |