Sein physischer Anblick war jedoch nicht so schockierend wie sein geistiger Verfall. Als er gebeten wurde, seinen Namen und sein Geburtsdatum zu nennen, kämpfte er sichtlich mehrere Sekunden lang darum sich beides ins Gedächtnis zu rufen. Auf den wichtigen Inhalt seiner Aussage am Ende des Verfahrens werde ich später zurückkommen, aber wieviel Schwierigkeiten es ihm bereitete, diese zu machen, war offensichtlich; es war ein richtiger Kampf für ihn, die Worte zu artikulieren und sich auf seinen Gedankengang zu konzentrieren.
Bis gestern war ich immer etwas skeptisch gewesen jenen gegenüber, die behaupteten, dass Julians Behandlung als Folter betrachtet werden müsse – sogar Nils Melzer2, dem UN-Sonderberichterstatter über Folter gegenüber; ebenso skeptisch war ich jenen gegenüber, die nahelegten, er sei möglicherweise beeinträchtigenden medikamentösen Behandlungen ausgesetzt. Da ich jedoch in Usbekistan den Prozessen von mehreren Opfern extremer Folter beigewohnt habe und auch mit Überlebenden aus Sierra Leone und andern Ländern gearbeitet habe, kann ich sagen, dass ich aufgrund des gestrigen Erlebnisses meine Ansicht gänzlich geändert habe und feststellen musste, dass Julian genau die Symptome eines Folteropfers zeigte, das mit blinzelnden Augen ans Licht geführt wird – besonders auch in Bezug auf seine Desorientierung, Verwirrung und den echten Kampf, seinen freien Willen durch den Nebel erfahrener Machtlosigkeit hindurch zu behaupten. Noch skeptischer war ich jenen gegenüber gewesen, die – wie ein führendes Mitglied seines Rechtsteams es mir gegenüber am Sonntagabend tat –, behaupteten, in Sorge zu sein, ob Julian das Ende des Auslieferungsverfahrens überleben werde. Jetzt glaube ich es nicht nur, sondern der Gedanke verfolgt mich. Jeder in diesem Gerichtssaal gestern sah, dass einer der größten Journalisten und wichtigsten Dissidenten unserer Zeit vor unseren Augen vom Staat zu Tode gefoltert wird. Es war unerträglich, meinen Freund, den redegewandtesten Menschen und schnellsten Denker, den ich je gekannt habe, in ein schlurfendes, inkohärentes Wrack verwandelt zu sehen. Die Vertreter des Staates, besonders die gefühllose Richterin, Vanessa Baraitser, waren jedoch nicht nur bereit, sondern begierig, an dieser Hetzjagd teilzunehmen. In der Tat sagte sie ihm, falls er unfähig sei, dem Verfahren zu folgen, dann wäre es Sache seiner Anwälte, ihm später zu erklären, was geschehen ist. Die Frage, wie es dazu gekommen ist, dass ein Mann, bei dem geradezu aus der Anklage gegen ihn hervorgeht, dass er hochintelligent und fachkundig ist, vom Staat zu einer Person reduziert worden ist, die unfähig ist, dem Gerichtsverfahren zu folgen, scherte sie keinen Deut. ........... Danke, Charly ! |