„Stets Gegrummel gegen Ypsilanti“
Von Claus Peter Müller, Kassel
Plante schon den Umbau „seines” Ministeriums: Ypsilantis Schatten-Umweltminister Hermann Scheer
05. November 2008 Der designierte Wirtschaftsminister Scheer hatte die Räume im Ministerium, in die er einziehen wollte, schon in Augenschein genommen. Als wären es bereits die seinen, gab er Anweisungen, dass er in das Zimmer des Staatssekretärs einziehen wolle und einen Schlafraum mit Dusche für sich reklamiere. Der Umbau bleibt wohl aus. Die Wut über das Scheitern Andrea Ypsilantis und über die Umstände, unter denen die von den Sozialdemokraten so lange erhoffte Abwahl Ministerpräsident Roland Kochs (CDU) scheiterte, entlädt sich auch in Nordhessen, wo die Pläne des avisierten rot-rot-grünen Bündnisses stets auf Skepsis und Ablehnung gestoßen waren.
Nicht Dagmar Metzger, aber die anderen drei, die einen Tag vor der geplanten Abstimmung bekanntgemacht hatten, sie würden Andrea Ypsilanti ihr Stimme verweigern, sollten aus der SPD entfernt werden, fordern die Jusos in Waldeck-Frankenberg. „Im Höchstmaß unanständig“, sagt der designierte und nunmehr verhinderte Finanzminister Reinhard Kahl, Sozialdemokrat aus dem Waldeckschen, sei das Verhalten der Abweichler.
„Nach der Wahl fanatisch geworden“
Ein Kasseler Sozialdemokrat wird mit den Worten zitiert: „Das ist eine Sauerei, da läuft mir die Galle über“. Der stellvertretende SPD-Vorsitzende in Nordhessen, der Marburger Norbert Schüren, sagt, der Landesvorstand habe zwar lediglich beraten und noch keine Beschlüsse gefasst. Aber wer solche Mehrheiten wie auf dem Parteitag am Wochenende in Fulda ignoriere, wo 95 Prozent der Delegierten für den Koalitionsvertrag stimmten, müsse sein Landtagsmandat zurückgeben.
Jene, die nicht so eindeutige Aussagen treffen, wollen ihren Namen nicht in der Zeitung lesen. Der Druck muss groß gewesen sein. So sagen die, die lieber nichts sagen wollen, hinter vorgehaltener Hand und hinter verschlossenen Türen: Nach der Wahl im Januar seien die, die zu der Zeit das Sagen hatten, fanatisch geworden. „Und der Fanatismus hat sie blind gemacht“. Es habe stets „Gegrummel“ gegeben in der Partei gegen Frau Ypsilanti. Die regionalen Vorrunden vor dem Parteitag, auf dem sie 2006 als Spitzenkandidatin nominiert wurde, hätten die wahre Stimmungslage in der Partei wiedergegeben. In den damaligen Regionalkonferenzen hatten sich die Sozialdemokraten im konservativen Fulda zu mehr als 70 Prozent für Jürgen Walter ausgesprochen, aber auch im eher linken Marburg-Biedenkopf errang der Rivale Frau Ypsilantis damals in geheimer Abstimmung eine Mehrheit.
Keiner spricht mehr offen
Ein Sozialdemokrat, der aus seiner Skepsis gegenüber einer Zusammenarbeit mit der Linkspartei nie einen Hehl gemacht hatte, berichtet nun: „Viele Genossen sagen, Du hast ja Recht gehabt, aber sag' es nicht, dass ich es auch so sehe.“ Ein „unangenehmer Zwang“ sei aufgebaut worden, heißt es. Keiner spreche mehr offen. Frau Ypsilanti habe einen hervorragenden Wahlkampf gemacht, sei aber nach der Wahl in eine Glaubwürdigkeitskrise geraten, sagt ein erfahrener Sozialdemokrat. Es habe etwas mit Moral und Verlässlichkeit zu tun, wenn Frau Ypsilanti ihr Versprechen, nicht mit der Linkspartei zusammenzuarbeiten, einfach übergehe, sagt ein anderer: „Das ist unehrenhaft und hat der Glaubwürdigkeit der SPD nachhaltig geschadet.“ Der Mann ist den Tränen nahe.
„Im Höchstmaß unanständig“: Der verhinderte hessische Finanzminister Reinhard Kahl kritisiert die vier "Abweichler"
Die Bevölkerung, heißt es unter nordhessischen Sozialdemokraten, sei all die Zeit schon unzufrieden gewesen und habe gesagt: „Bitte nicht die Ypsilanti“. Eine andere nordhessische Genossin sagt: „Es hieß doch nur noch: Koch muss weg, und das ist mir zu blass. Da muss man doch sagen können, warum er weg muss. Aber da kamen nur Luftblasen.“ Ein anderer stimmt zu: „Ja, das Feindbild Koch hat die Partei zusammengehalten, aber den Verstand ausgeschaltet.“
„Um sie war immer nur Jubel“
Ein weiterer Kritiker Frau Ypsilantis sucht nach einer Erklärung für die Haltung der Landesvorsitzenden. „Woher sollte sie wissen, dass große Teile der Partei meine Argumente teilten, wenn immer Jubel um sie war und die nachdenklichen unter uns nicht mehr zu den Parteiveranstaltungen gingen?“ Das Verhalten der drei, die sich so spät gegen die Kandidatin und ihren Linkskurs stellten, können indes auch die nordhessischen Kritiker Frau Ypsilantis nicht verstehen. Das sei „parteischädigend und ausgesprochen traurig.“
Doch in mancher sozialdemokratischen Familie in Nordhessen herrscht ob der Entscheidung der vier Landtagsabgeordneten durchaus Erleichterung. Alle großen Infrastrukturprojekte, zu denen sich auch die Sozialdemokraten bis zuletzt bekannt hatten, waren mit dem Koalitionsvertrag in Frage gestellt worden. Der Ausbau des Flughafens Kassel-Calden, die Verbindung zwischen den Autobahnen Kassel-Eisenach (A 44) und Kassel-Gießen (A 49) sowie der Bau einer guten Straßenverbindung als Ersatz für die fehlende A 4 zwischen Hersfeld und Krombach waren faktisch nichtig geworden.
„Von den Grünen nichts eingefordert“
Ein Genosse fordert, nicht nur die drei oder vier Abweichler zur Rede zu stellen: „Ich habe unsere nordhessischen Abgeordneten gefragt, was ist euer Preis in Wiesbaden für eure Stimme für Ypsilanti, und es herrschte immer Stille. Die haben nie was gesagt und unsere Infrastrukturprojekte in den Verhandlungen mit den Grünen politisch eingefordert. Ich bin tief enttäuscht.“ Er kann es nicht fassen, dass 95 Prozent der Delegierten am vorigen Wochenende dem Koalitionsvertrag zustimmten, obwohl er Nordhessens gute Entwicklung doch mit einem Mal beendet hätte.
Die CDU hatte in den vergangenen Tagen zu zwei Veranstaltungen wider den „Wortbruch“ Frau Ypsilantis eingeladen. Auch Sozialdemokraten gingen dorthin und klatschten Beifall. Letztere lieben Ministerpräsident Roland Koch (CDU) mit Sicherheit nicht, aber vor allem sozialdemokratische Kommunalpolitiker aus Nordhessen finden lobende Worte für die Infrastrukturpolitik der CDU-Regierung. Der Bürgermeister von Hessisch-Lichtenau, Jürgen Herwig (SPD), will zwar nicht behaupten, dass sich die Bürger in seiner Stadt nun freuten. Herwig ist seiner Partei gegenüber loyal. Aber er sagt das, was er schon immer sagte: Der Bau der Autobahn 44 Kassel-Eisenach, die an seiner Stadt vorbeiführt, habe für ihn oberste Priorität. Er kämpfe für die Straße auch gegen die eigene Partei. Bürgermeister Herwig will das Verhalten seiner Partei nicht bewerten, aber „ich wünsche mir, dass Hessen wieder regierbar wird“, sagt er.
Eine große Koalition, denken die Konservativen unter den Sozialdemokraten, sei nun das Beste. Aber viele sind pessimistisch, was die nähere Zukunft der Partei angeht. „Egal was die SPD nun macht, die ist sowieso kaputt für eine Generation“, sagt eine nordhessische Sozialdemokratin. „Hessen hat wieder eine Chance, die SPD aber nicht“, sagt ein anderer.
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