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Gesundheit – Donnerstag, 19. Januar 2006
«Es gibt noch eine Menge zu tun» Mark Fishman: «Die Chinesen sind ein riesiges Volk mit starkem Interesse an der Gesundheit.»
Bei Novartis geht der Leiter des Forschungsinstituts neue Wege. Er führt zum Beispiel Studien an Patienten mit sehr seltenen Erkrankungen durch.
Mit Mark Fishman* sprach Martina Frei
Obwohl Zehntausende von Forschern in der Pharmaindustrie nach neuen Wirkstoffen suchen, werden pro Jahr in den USA nur etwa zwei Dutzend chemisch neue Substanzen als Medikamente zugelassen. Wie wollen Sie das ändern?
Die Wissenschaft, Medikamente zu entwickeln, ist nicht auf dem Level, das nötig wäre. Dazu müssten wir das Genom voll ausschöpfen können. Aber es ist noch nicht ganz klar, wie man es am besten zerlegt, um neue Medikamente abzuleiten. Eines meiner Ziele ist, es so zu entschlüsseln, dass man es gezielt für die Entwicklung von Medikamenten einsetzen kann.
Es gibt an die 25 000 Gene. Untersuchen Sie nun Gen für Gen?
Nein. Die funktionellen Einheiten in der Molekularbiologie sind nicht einzelne Gene, sondern die Signalwege, die in den Zellen ablaufen, und wie sie zusammenspielen. Was bei Krankheiten nicht mehr funktioniert, das sind die Signalwege.
Aber die sind sehr komplex. Wie können Sie sicher sein, dass ein Medikament nicht zu Wirkungen führt, die Sie gar nicht wollen?
Auch die Medikamente heutzutage wirken gleichzeitig auf verschiedenste Signalwege ein. Digitalis zum Beispiel, eines der ältesten Medikamente, wirkt auf die Natrium-Kalium-Pumpe, die in jeder Zelle vorhanden ist. Dennoch hat es in der richtigen Dosis eine spezifische Wirkung auf das Herz. Dass solche Wirkstoffe spezifische Effekte haben, obwohl sie Proteine stören, die in vielen Zellen wichtig sind, ist eigentlich überraschend. Jetzt geht es darum, Wirkstoffe zu finden, die sehr einheitlich und spezifisch wirken. Ausserdem soll das Medikament am Ende nicht auf einen Signalweg einwirken, sondern auf ein Protein. Das ist machbar.
Pharmafirmen haben sich früher kaum für Menschen mit seltenen Krankheiten interessiert. Nun machen Sie klinische Versuche an Menschen mit dem raren Muckle-Wells-Syndrom (eine Erbkrankheit, die mit Gelenkschmerzen, Fieberschüben und Hautausschlägen einhergeht).
Wir suchen wenige, sehr speziell ausgewählte Patienten, die höchstwahrscheinlich auf eine neue Substanz ansprechen werden. So sehen wir rasch, ob sie wirkt oder nicht. Es muss sich aber nicht notwendigerweise um eine seltene Erkrankung handeln. Sie muss nur sehr klar definiert sein, das heisst, wir müssen präzise wissen, welche Gene und Signalwege die Beschwerden verursachen.
Was wollten Sie mit Hilfe der Patienten mit Muckle-Wells-Syndrom herausfinden?
Eigentlich suchen wir nach Therapien gegen Entzündungskrankheiten wie rheumatoide Arthritis. Diese Krankheit kommt häufig vor, und sie verläuft sehr unterschiedlich. Beim Muckle-Wells-Syndrom stört eine Genmutation die Reaktionen auf Interleukin-1. Wir waren ziemlich sicher, dass bestimmte Antikörper gegen Interleukin-1 bei diesen Patienten wirken müssten. Binnen Stunden nachdem wir der ersten Patientin, einer 33-jährigen Frau, die erste Spritze gegeben hatten, verschwanden ihre Beschwerden.
Wenn sie zurückkehren würden, wollten wir ihr eine zweite Spritze geben. Wir haben gewartet und gewartet. Erst sechs Monate später war es so weit. So wussten wir nach nur vier Patienten, dass die Substanz wirkt. Interleukin-1 spielt bei der rheumatoiden Arthritis und bei vielen Entzündungsreaktionen eine wichtige Rolle. Wir sind jetzt ziemlich sicher, dass ein Teil der Patienten mit Rheuma ebenfalls darauf ansprechen wird. Bis jetzt sieht es so aus, dass der Antikörper gegen die rheumatoide Arthritis hilft, ohne dass wir bisher irgendwelche dramatischen Nebenwirkungen beobachten konnten. Wir müssen das jetzt aber noch in Studien an einer grösseren Patientengruppe überprüfen. (Anmerkung: Kann kein MOR-AK sein, da bereits erste Patientenversuche, aber krasses Beispiel welche medizinischen " Wunder" noch der Entdeckung harren))
Welches sind die Krankheiten, gegen die wir am nötigsten wirksamere Medikamente brauchen?
Das ist sehr emotional. Wenn Verwandte von Ihnen an Brustkrebs erkrankt sind, dann steht das bei Ihnen wohl ganz oben auf der Liste. Wenn ich es objektiver betrachte, sind es die Krankheiten, gegen die wir kaum eine wirksame Therapie haben. Das reicht von Cystischer Fibrose bei Kindern bis zu Verletzungen des Rückenmarks mit Querschnittslähmung oder schwerem Herzversagen. Bisher kann man solche Krankheiten oder Verletzungen, die den Patienten und ihren Familien viel abverlangen, nur schlecht therapieren. Global betrachtet, spielen die Infektionskrankheiten eine wichtige Rolle.
Novartis wird vermutlich bald ein Forschungslabor in China eröffnen, Roche ist bereits da. Auf Grund der grossen Bevölkerung kann man dort schnell viele Studienpatienten rekrutieren. Manche Forscher im Westen befürchten, dass die chinesischen Kollegen sie links überholen werden.
Wir sollten besorgt sein für unsere Patienten und dankbar um jede Information, die ihnen weiterhilft – woher sie auch immer kommt. Wenn wir Medikamente schneller entwickeln können, sollten wir das tun. Ich meine, wir sollten global in einem gesunden Wettstreit miteinander stehen. Die Chinesen sind ein riesiges Volk mit grossem Talent und einem starken Interesse an der Gesundheit.
Ihr ursprüngliches Forschungsgebiet war der Zebrafisch. Woher wollen Sie wissen, dass sich Ergebnisse, die Sie an diesem Fisch oder an der Fruchtfliege gewonnen haben, auf den Menschen übertragen lassen?
Es ist erstaunlich, wie konservativ die Natur ist. Sie behält die Systeme bei, die sich bewährt haben. In den verschiedenen Spezies werden dieselben Signalwege und Interaktionen wieder und wieder benützt, und zwar auf dieselbe Art. Und es ist bemerkenswert, wie die gleichen Gene für dieselben Zwecke gebraucht werden, zum Beispiel für die Augen der Fruchtfliege, die so anders sind als Augen von Wirbeltieren. Trotzdem scheinen da die gleichen Gene beteiligt zu sein. Anzunehmen, wir könnten das Wissen aber eins zu eins übertragen, wäre jedoch allzu simpel.
Wozu also die Zebrafisch-Forschung?
Wir haben dort zum Beispiel eine Genmutation entdeckt, die beim Fisch zum Herzversagen führt. Fast dieselbe Mutation ist bei einer japanischen Familie gefunden worden, deren Mitglieder an Herzversagen leiden.
Sie arbeiten nun seit gut drei Jahren für Novartis. Was hat sich seither geändert?
Alles. In jeder Phase der präklinischen Pipeline haben wir mehr und bessere Substanzen. Ausserdem haben wir Biopharmazeutika, speziell Antikörper, hinzugefügt. In der Führung gab es einen unglaublichen Wandel: Es ist familiär, es weht der Geist des Abenteuers, die Diskussionen sind offen ...
... verglichen mit anderen hat Novartis mit den Antikörpern aber recht spät begonnen.
Wir haben diesen Ansatz nicht erfunden, das haben andere auf wunderbare Weise seit zwei Dekaden gemacht. Aber: Es gibt immer noch eine Menge zu tun. Wir sind da und machen es gut.
Das klingt ziemlich selbstbewusst.
(lacht) Ja, das bin ich. Aber das Verdienst gebührt vor allem unseren sehr talentierten Wissenschaftlern.
* Seit Herbst 2002 leitet Mark C. Fishman (55) das Novartis-Institut für Biomedizinische Forschung in Cambridge, USA. Davor war er Professor an der Harvard Medical School sowie Chefkardiologe und Leiter der Herz-Kreislauf-Forschung am Massachusetts General Hospital. [TA | 19.01.2006]
xxxxxxxxxxxxxxxxxx Für mich hört sich das sehr nach Vollintegration der HUCAL-Technologie am NIBR an.
Grüße ecki |