die Welt
Es ist ein Tabubruch, wie ihn die bundesdeutsche Wirtschaftsgeschichte nicht kennt. Ein Regierungsmitglied lässt die Bedingungen entwerfen, zu denen Aktionäre für den Bund möglichst billig um ihre Eigentumsrechte gebracht werden können.
Auch wenn diese Ansicht viele Banker teilen: Dieses Ziel ließe sich auch erreichen, ohne mit den Eigentumsrechten die Grundfesten der Marktwirtschaft zu opfern. Statt ein Enteignungsgesetz mit geringen Entschädigungen zu planen, könnte die Regierung jenen Passus im Finanzmarktstabilisierungsgesetz ändern, der es ihr verbietet, bei einer Kapitalerhöhung zur Rettung des Geldhauses mehr als 33 Prozent der Anteile zu übernehmen. Warum man aber lieber auf Konfrontation setzt, kann in Berlin keiner überzeugend erklären.
In Bankenkreisen wird den Sozialdemokraten bereits Populismus vorgeworfen. Möglicherweise hofft die SPD darauf, dass der Gesetzentwurf am Widerstand der Union scheitert. Dann müsste Steinbrück seinen Worten keine Taten folgen lassen, könnte mit den Plänen aber dennoch in den Wahlkampf ziehen. Bei der Bevölkerung, die die Rettungsaktionen für Banken und deren Aktionäre ohnehin nicht goutiert, würde er damit wohl punkten.
Dass Steinbrück auf Krawall gebürstet ist, beweist unter anderem eine Tatsache. „Bislang verweigert sich der Finanzminister und sein Haus anders als in Berlin behauptet allen Gesprächen mit HRE-Großaktionär "J.C. Flowers“, heißt es in dessen Umfeld. „Beim ersten Rettungspaket im Oktober wäre er bereit gewesen, selbst Kapital nachzuschießen – nur hat niemand mit ihm geredet.“ Daran hat sich bis heute nichts geändert. „Für Steinbrück und die SPD aber ist Flowers nicht verhandlungsfähig“, heißt es in Koalitionskreisen. Deshalb versuchten sie es lieber per Enteignung. „Wir rätseln hier, was der Finanzminister mit seiner Enteignungsdebatte bezweckt“, heißt es. „Wir dachten, die schwingen diese Keule nur, um Flowers an den Verhandlungstisch zu bringen. Aber offensichtlich ist der längst gesprächsbereit.“ Steinbrück wähle einen Weg, den keiner bislang so beschreiten wollte.
„Aber um das zu vermeiden, muss man nicht gleich die Aktionäre enteignen“, sagt ein Banker. Dass man in Berlin die radikale Lösung derart in den Vordergrund spiele, lasse kaum einen anderen Schluss zu, als dass es um politische Profilierung gehe.
Wobei die Debatte einen harten ökonomischen Nebeneffekt hat: Seit sie rund um die HRE tobt, hat sich deren Börsenwert noch einmal fast halbiert. Je länger sie dauert, desto billiger bekommt der Finanzminister den gewünschten Einfluss auf das Haus. Zumal der Entwurf des Enteignungsgesetzes vorsieht, dass sich die Entschädigung für die Aktionäre im Extremfall nur am Börsenwert der letzten drei Tage orientieren muss. „Das öffnet der Regierung Tür und Tor, den Kurs so weit in den Keller zu reden, dass sie die HRE-Aktien für ein paar Cent bekommt“, heißt es in Bankkreisen.
Umso teurer dürften allerdings die politischen Nebenwirkungen werden. Ganz genau beobachtet das Ausland, wie Deutschland mit Aktionären umgeht: „Bereits die Debatte um eine Enteignung ramponiert das Vertrauen in den Finanzplatz erheblich“, sagt Banken-Professor Alexander Kempf von der Universität Köln. Selbst wenn letztlich niemand enteignet werde, bleibe ein Schaden zurück. „Das Gespenst der Enteignung ist nun schon aus der Ecke geholt.“
Was das für den Standort Deutschland heißt, ließ sich zu Wochenbeginn am Verlauf der Bank-Aktien sehen. Deutsche-Bank- und Commerzbank-Anteilsscheine verloren zwischen sechs und sieben Prozent. Warum auch sollte noch jemand sein Kapital in deutsche Finanzwerte stecken, wenn er damit rechnen muss, es morgen gegen eine geringe Entschädigung zu verlieren? „Was würde man denn in Deutschland sagen, wenn ausländische Investoren Gazprom-Aktien hielten und plötzlich von der russischen Regierung enteignet würden?“, fragt Kempf. „Das gäbe einen internationalen Aufschrei.“
Banken Verstaatlichung Finanzmarkt Finanzministerium HRE Gesetzentwurf Berlin Peer Steinbrück Deshalb wollen es viele Banker und Koalitionäre noch nicht glauben, dass Steinbrück seine Enteignungspläne tatsächlich in die Tat umsetzt. Aber schon die Idee an sich, so spekuliert ein Banker, könnte ja ordentlich Rückwind geben für Wahlkampfduelle mit Linkspopulisten wie Oskar Lafontaine. |