26. Januar 2011, 06:17 Uhr
WM-Flop in Schweden
Waterloo für Deutschlands Handball
Aus Jönköping berichtet Erik Eggers
Die Spieler ringen um Fassung, der Trainer resigniert - die WM-Blamage gegen Norwegen hat dem deutschen Handball zugesetzt. Doch eine Diskussion um die Person Heiner Brand verbittet sich die DHB-Spitze. Der Coach kann nur durchhalten. Oder sich selbst feuern.
Seit 14 Jahren ist Heiner Brand nun Bundestrainer. Er hat in dieser Zeit so ziemlich alles erlebt: Den Weltmeistertitel im eigenen Land (2007), einen EM-Titel (2004), eine olympische Silbermedaille (2004). Natürlich gab es auch schwere Rückschläge, sportliche Krisen, Verletzungspech.
Doch was sich an diesem 25. Januar 2011 in der WM-Arena von Jönköping abgespielt hatte, war einzigartig in Brand Laufbahn. "So etwas habe ich noch nie erlebt. Da war kein Kampf, kein Aufbäumen", sagte der 58-Jährige nach dem Spiel. "Der Ruf des deutschen Handballs hat in den letzten beiden Spielen gelitten", legte Brand nach. Und flüchtete sich in Sarkasmus. Auf die Frage, was ihn nach der 25:35 (13:17)-Blamage gegen Norwegen noch motivieren könne, kam seine Antwort wie aus der Pistole geschossen: "Der Olympiasieg 2016."
Es war schwarzer Humor, der die verheerende Situation des deutschen Handballs aber anschaulich beschreibt - und die neuen Ziele. Denn die Qualifikation für das olympische Turnier 2012 in London ist nun in weite Ferne gerückt. Nur noch bei der EM 2012 in Serbien bietet sich eine weitere Möglichkeit. Doch selbst die Qualifikation für die Kontinentalmeisterschaft scheint in der aktuellen Verfassung utopisch. Zunächst muss die Auswahl des Deutschen Handballbundes (DHB) bei der 22. WM zur Strafe am Donnerstag (18 Uhr) das Spiel um Platz elf gegen Argentinien bestreiten.
Brand hatte gelitten an der Seitenlinie. Erst hob er noch verzweifelt die Arme, irgendwann ergab er sich in die Niederlage. Er musste mit ansehen, wie sich sein Team nicht nur besiegen, sondern demütigen ließ. "Das war das schlechteste Spiel, das ich je von einer deutschen Nationalmannschaft gesehen habe", sagte Michael Kraus, der wieder einmal mit der Regie des deutschen Spiels überfordert war. "Eine große Leere", verspürte Holger Glandorf nach dem Schlusspfiff.
Der Auftritt provoziert die Frage, ob Brand noch der richtige Trainer sei. "Wir dürfen jetzt keine Schnellschüsse machen", warnte Dominik Klein, Linksaußen vom THW Kiel.
Dabei hat Brand selbst die Debatte entfacht. Vor ein paar Tagen gab er zu, sich Gedanken darüber gemacht zu haben, ob er seinen bis 2013 laufenden Vertrag erfüllen wolle. Er setze sich mit seiner Situation schon länger auseinander. Die Niederlag gegen Norwegen dürfte neuen Grund zum Grübeln geben.
"Ich werde sicher einiges analysieren. Natürlich betrifft das auch personelle Dinge", sagte er nach dem Spiel. "Ich werde das mit dem Präsidenten besprechen, und irgendwann wird die Öffentlichkeit über die Zukunft informiert werden", so Brand. Zunächst jedoch brauche er vor allem Abstand.
Es dürfte ein interessanter Entscheidungsprozess werden. Denn Brand ist wohl der einzige Handballtrainer Deutschlands, der sich nur selbst entlassen kann. DHB-Präsident Uli Strombach ist schließlich, wie Brand, ein Gummersbacher, den seit den 70er Jahren eine Freundschaft mit dem Coach verbindet. Strombach wird Brand um seine Vertragserfüllung bitten, weil er ihn als den bestmöglichen aller Trainer ansieht.
"Es gibt keine Trainerdiskussion"
Auch Horst Bredemeier, der als DHB-Vizepräsident für Leistungssport die deutsche Delegation in Schweden leitet, gehört zu Brands Freundeskreis. Kein Wunder, dass er nach dem Norwegen-Desaster umgehend feststellte, dass schon eine Debatte über die Zukunft Brands unwürdig sei: "Das hat so ein Mann nicht verdient." Deshalb gebe es "keine Trainerdiskussion". Das Turnier habe lediglich den falschen Verlauf genommen, so der Funktionär. "Der Sport ist schnelllebig. Spanien ist vor zwei Jahren 13. geworden, jetzt stehen sie im Halbfinale."
Da klang schon wieder viel Optimismus mit. Fast so als habe das Team just ein Spiel unglücklich mit einem Tor verloren, und sich nicht eine der größten Blamagen der deutschen Handballgeschichte geleistet.
Die Frage ist nun, ob dieser Freundeskreis einen solchen Auftritt bei einer WM einfach so wegwischen kann. Und ob persönliche Verbindungen weiter darüber entscheiden, wohin der Weg der deutschen Handballnationalmannschaft in den nächsten Jahren führen soll.
Die Öffentlichkeit dürfte das nicht kommentarlos hinnehmen. Auch einige Funktionäre in den Landes- und Regionalverbänden des Deutschen Handballbundes sind willens, der autokratischen Herrschaft Strombachs beim nächsten DHB-Bundestag im Herbst ein Ende zu bereiten. Ein Gegenkandidat soll bereits die Truppen hinter sich scharen.
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http://www.spiegel.de/sport/sonst/0,1518,741643,00.html