18. Januar 2011, 09:40 Uhr Handball-Pleite gegen Spanien Kraus und Rüben Aus Kristianstad berichtet Erik Eggers
Die deutschen Handballer haben bei der WM die Chance auf das Halbfinale fast schon verspielt. Als Verantwortlichen für die Niederlage gegen Spanien hat Bundestrainer Heiner Brand vor allem einen Akteur ausgemacht: Spielmacher Michael Kraus blieb alles schuldig.
Vor gut einer Woche strahlte Michael Kraus noch maximales Selbstbewusstsein aus. Jederzeit lächelnd, stolz der Blick - seine ganze Körpersprache signalisierte Angriffslust, Freude am Handball, Gier nach Toren. Bei den letzten Testspielen auf Island demonstrierte er sein Weltklasse-Niveau und führte den Gegner regelrecht vor. Kraus war der Hoffnungsträger für die 22. Handball-WM.
Doch die ersten drei Partien der deutschen Handball-Nationalmannschaft in Schweden scheinen Kraus in einen anderen Menschen verwandelt zu haben. Nach der 24:26-Niederlage gegen Spanien schlich der 27-Jährige gesenkten Hauptes durch die Mixed Zone der Kristianstad-Arena. In der entscheidenden Phase, als Deutschland nach 21:18-Führung (48.) mit 21:23 (55.) in Rückstand geriet, hatte Bundestrainer Brand ihm nicht vertraut. Fragen nach seinem unerklärlichen Leistungseinbruch beantwortet er mit einer müden Gegenfrage: "Was soll ich dazu sagen?"
Dabei hatte vieles gestimmt im deutschen Spiel, etwa lange Zeit die Abwehr und die Torhüterleistung. Die spektakulären 20 Paraden, die der Hamburger Torhüter Johannes Bitter hinlegte, reichen für gewöhnlich für einen Sieg. Es war die Offensive, die plötzlich kollabierte, als Spanien die 6:0-Abwehr erwartungsgemäß zu einer 5:1-Formation umstellte. "Wir haben nicht die nötige Courage gezeigt", haderte Bitter nach der Partie. Der Einzug in das Halbfinale erscheint nun in weiter Ferne, geht es doch am Mittwoch (18.15 Uhr, Liveticker SPIEGEL ONLINE) gegen Titelverteidiger Frankreich, die überragende Mannschaft der letzten Jahre.
Die Führungsspieler sind abgetaucht
In diesen Spielen, in denen es um alles geht, um Triumph oder Untergang, kommt es zumeist auf die erfahrenen Rückraumspieler an. Im Fall der deutschen Mannschaft in Schweden also auf Kapitän Pascal Hens (HSV, 178 Länderspiele), Holger Glandorf (Lemgo, 132 Länderspiele), und auf den Regisseur: Michael Kraus (HSV, 105 Länderspiele). Niemand aus diesem Trio war in den entscheidenden Momenten präsent. Am Unergründlichsten war der Aufritt von Kraus.
Ein Bild des Jammers gab der Profi vom HSV Hamburg ab. Als er in der ersten Halbzeit erstmals kam, verwarf er überhastet, trotz Überzahl. "Spiel' doch die Überzahl aus", tobte Brand danach. Es wurde nicht besser. Kraus erzielte kein einziges Tor aus dem Feld. Als er sich zu Beginn der zweiten Halbzeit erneut einen technischen Fehler leistete, verbannte Bundestrainer Heiner Brand ihn mit bösen Blicken auf die Bank.
Einmal kam Kraus noch wieder. Als die Spanier zehn Minuten vor Schluss versuchten, mit einem vorgezogenen Verteidiger die deutschen Konzepte zu zerstören, da sollte Kraus seine individuellen Fähigkeiten und seine Schnelligkeit ausspielen. Er scheiterte grandios. Er verwarf, wirkte hektisch und gehemmt, und er war ratlos danach: "Ich weiß auch nicht, an was es liegt."
Brand übte Einzelkritik - an Kraus
Brand tobte auf der Bank - und hielt sich, ganz gegen die Gewohnheit, im Falle Kraus nach Abpfiff auch mit öffentlicher Einzelkritik nicht zurück. Dass Profis wie der Berliner Sven-Sören Christophersen, der Göppinger Lars Kaufmann oder WM-Debütant Adrian Pfahl aus Gummersbach in kritischen Situationen die Übersicht verlieren, verzeiht der 58-Jährige. Weil sie Leute aus der zweiten Reihe sind. Aber von Kraus verlangt er, dann ein Vorbild zu sein.
Diese Chance ließ Kraus nicht zum ersten Mal ungenutzt. "Er hat sich nicht gerade als Führungsspieler geoutet", kritisierte Brand und monierte, dass der Hamburger alle taktischen Vorgaben ignoriert habe. "Wir haben in der Pause abgesprochen, wie wir uns bei der Umstellung der spanischen Deckung zu verhalten haben", berichtete Brand. Auch Kraus dürfe Fehler machen, wie jeder andere Spieler im Kader. Es hänge indes bei Kraus nicht an handballerischen Fähigkeiten, brummte Brand missmutig, sondern "an der Frage, konzentriert ins Spiel zu gehen".
Es droht ein ähnliches Szenario wie bei der EM im vergangenen Jahr, als Kraus das Versprechen, das der deutsche Handball in ihm sieht, nicht erfüllen konnte. Damals plagten ihn Verletzungen. Daran liegt es diesmal nicht. "Ich bin eigentlich fit", sagt Kraus. Womöglich hat er sein zuvor überbordendes Selbstvertrauen verloren, weil nicht er, sondern der Göppinger Michael Haaß in der Startsieben den Spielgestalter gibt - auch weil Brand derzeit Wert darauf legt, den Übergang von Angriff zur Abwehr ohne Wechsel zu bestreiten.
Aber nicht nur Kraus blieb in diesem Schlüsselspiel hinter den Erwartungen zurück, sondern, bis auf Haaß, der gesamte erste deutsche Rückraum. Pascal Hens rannte sich immer wieder in der spanischen Deckung fest und sah ab der 20. Minute zu. Es schien in den letzten Minuten so, als forderten einige Kollegen die Rückkehr des Kapitäns und erfahrensten Profis, aber Brand gestattete dem 30-Jährigen nur noch einen Kurzeinsatz, als alles zu spät war. Kurzum: Der Mann, an dem sich alle aufrichten sollten, sah zu, als die deutsche Mannschaft trotz vieler guter Ansätze in nur wenigen Minuten alles verlor. Sein patziger Kommentar: "Ich habe jetzt keine Lust, etwas dazu zu sagen."
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