Nun will ich doch endlich mal mit dem Klischee aufräumen, die Hamburger seien trocken und distanziert *gg* Nahverkehr An den Wochenenden werden die Züge in der Innenstadt zur Partymeile In der S-Bahn nachts um halb eins . . .Ein älteres Paar tanzt, junge Mädchen holen die Sektgläser hervor, ein Biertrinker singt, und sie alle flirten - Szenen einer Nacht in den S- und U-Bahnen der Stadt.Von Jule Bleyer Tagsüber, unter der Woche, wenn die U-Bahnen alle fünf und die S-Bahnen alle zehn Minuten fahren, steigen die Menschen ein und einige Stationen später wieder aus. Was dazwischen passiert, ist nicht wichtig, die Bahn ist nur die Verbindung von A nach B. Und das Leben spielt sich eben in A und in B ab, nicht dazwischen. Nachts, an den Wochenenden, sind die Bahnen auch die Verbindung zwischen zwei Orten, doch was dazwischen passiert, ist alles andere als unwichtig. Denn auf einmal spielt sich auch zwischen A und B das Leben ab. Sonnabendnacht, 23.20 Uhr, Linie S 1 zwischen Altona und Hauptbahnhof. Die Wagen des Kurzzugs sind voll. Beim Einsteigen riecht es nach Alkohol und Zigaretten. An der Wand klebt ein Schild, auf dem steht, dass das Konsumieren alkoholischer Getränke in der Bahn untersagt ist. Darunter sitzen die Freundinnen Barbara und Katharina aus Itzehoe und trinken Prosecco. Aus echten Sektgläsern. Ein Bekannter schenkt den Blondinen ein, die Gläser klirren beim Zuprosten. Von irgendwo hinter ihnen kommt Musik, laut genug für einen ganzen Bahnsteig. Auch das ist untersagt. Niemanden kümmerts's - nicht die Fahrgäste und auch nicht die S-Bahn-Wache. Eine Gruppe junger Männer, jeder eine Bierflasche in der Hand, steigt ein. Noch vor der nächsten Station stoßen sie mit den Mitfahrern an, kurz hinter Königstraße kennen sie sich bereits mit Vornamen, Reeperbahn müssen sie schon wieder raus. Kennenlernen im Schnellbahntempo. 23. 50 Uhr, Linie S1 zwischen Altona und Reeperbahn. Zehn junge Frauen fangen auf einmal an zu singen: "Nora wird verheiratet, scha-la-la-la-la, Nora wird verheiratet, schaa-laaa-laaa-laaa-laaa." Nora ist das peinlich, doch da muss sie durch. Der Junggesellinnenabschied fängt mit der Bahnfahrt an. 0.40 Uhr, Linie U 2 kurz vor Schlump. Im Gang steht ein Ehepaar, beide wohl Ende 60, sie hat graue Haare, er nicht einmal mehr die. Um sie herum Gedränge und lautes Stimmengewirr, im Ohr haben die beiden aber wohl noch die Musik von eben, als sie tanzen waren. Für einen kurzen Moment twisten sie noch einmal, wackeln mit den Hüften, schwenken die Arme, als wäre die Bahn ihr Tanzcafé. Als der Zug ruckelt, halten sie sich lachend aneinander fest, ein Passagier pfeift, zwei andere applaudieren. 0.55 Uhr, Linie S 1 von Klein Flottbek Richtung Innenstadt. Ann-Kathrin (17) und Jessica (20) gucken aus dem Fenster - das in diesem Fall als Spiegel dient - und korrigieren ihr Make-up ein letztes Mal. Mascara, Kajal, Lippenstift, Puder, Wimpernzange, alles haben sie dabei. Gut können sie sich in der Scheibe nicht erkennen, auch nicht, dass sie eigentlich längst genug Schminke in ihre jungen Gesichter geschmiert haben. Ann-Kathrins Wangen passen mit dem Rouge zu ihren roten Stiefeln und der roten Handtasche. Und den roten Fingernägeln. Die Blondine aus Steilshoop hat noch viel vor. Noch einmal zieht sie die Lippen nach. Rot. Ihre Freundin Jessica muss nach Hause, sie macht eine Ausbildung zur Bäckerin und muss in drei Stunden wieder aufstehen. Die Wimpern müssen trotzdem sitzen, am Hauptbahnhof wartet ihr Freund. Trotzdem lernen die Freundinnen auf der Fahrt von Blankenese zwei Jungs kennen. Kurz bevor die in Altona rausmüssen, tauschen sie Nummern aus. 1.18 Uhr, Linie U 3 zwischen Hauptbahnhof und Schlump. Knapp 80 Menschen drängen sich in einem Wagen, dazu 35 Flaschen Bier, sechs Flaschen Sekt, eine Flasche Kokoslikör und eine Mineralwasserflasche. In der ist aber auch Schnaps drin. Eine der Sektflaschen hält Simone, in ihrer anderen Hand hat die 18-Jährige ihr Handy, aus dem Hip-Hop dröhnt, wozu sie tanzt. Sie hat keine Jacke mit, in der Bahn ist es schließlich warm, wen kümmert es also, dass draußen nur ein paar Grad sind. Dafür hat sie ein T-Shirt an, auf dem in goldener Schrift "I'm the one" (Ich bin diejenige) steht. Lässig soll das aussehen, genauso wie ihr Tanzstil. 1.31 Uhr, Linie U 3, Haltestelle Sternschanze. Inga (22), Franzi (20), Niels (23) und Marcel (25) steigen nicht in den voll besetzten Wagen - sie hüpfen hinein, Arm in Arm. Zu Hause hatten sie bereits das ein oder andere Bier und bis zum Umsteigen auch noch mal eine Sektflasche, aber die fährt jetzt wohl Richtung Wandsbek Gartenstadt. Die vier wollen auf den Hamburger Berg zur "King Kong Club Party". Ihre eigene Party beginnt schon jetzt. 2.05 Uhr, Linie U 3 Höhe Feldstraße. Lars (32) trägt Rockerklamotten und weiß, was die Bahn zum Rocken bringt. Er springt auf und ab und ruft: "Wir wollen wippen!" Wenn alle mitmachen würden, würde die ganze Bahn zu wackeln beginnen. Er hat es schon ausprobiert. Noch macht dieses Mal keiner mit. Doch die Chance ist groß, dass er noch auf andere Fahrgäste treffen wird. Die Bahnen fahren ja die ganze Nacht. 2.36 Uhr, Linie S 3, Haltestelle Altona. Ein junger Mann, dessen Gesichtsfarbe den weißen Wandkacheln gleicht, versucht zu seinen Freunden in den Wagen zu steigen - und fällt kurz vorher um. Seine Freunde ziehen ihn gerade noch mit rein, dann fährt die Bahn Richtung Kiez. Er wird wohl nicht mehr mitfeiern können, er hatte schon genug. Für ihn ist der Zug abgefahren. erschienen am 22. Oktober 2007 http://www.abendblatt.de/daten/2007/10/22/807429.html Mensch Larsimarsi, ich wußte gar nicht, dass Du Rocker bist *ggg* _____________________________________________ Leben und leben lassen - gibt's das bei ARIVA? NÖ ! |