Ich habe zwei Kategorien gebildet (Ja-Argumente/Nein-Argumente) und bei den einzelnen Punkten jeweils eine Gewichtung vorgenommen (von 1 = unwichtig bis 5 = sehr wichtig).
A. Ja-Argumente
1. Saisonalität (3)
Es gab nennenswerte Ausnahmen. Z. B. toppten die Indizes im November 2007 aus (im Vorfeld der Bankenkrise 2008). Ende 2018 fielen die Indizes um ca. 20 %, weil die Fed an ihrem Zinserhöhungszyklus festhielt. Aktuell könnte eine weitere Zuspitzung der Covid-Epidemie im Winter auf die Kurse drücken.
2. Biden-Sieg (2)
Biden bringt ab Januar mehr Ruhe in die internationalen Handelsbeziehungen. Die Unsicherheit über den Wahlausgang ist ebenfalls gewichen. Andererseits gefallen der US-Wirtschaft die drohenden Steuererhöhungen nicht, und in Texas sorgen sich die US-Ölmangnaten vor allzu grüner Politik (Green New Deal).
3. Fed und EZB (3)
Die Fed hat "Alles gegeben". Sie ist damit aber auch weitgehend am Ende ihrer Möglichkeiten. Ebenso die EZB.
4. Covid-Impfstoffe (aktuell 3 später 4)
Sie zeigten bereits teils sehr aussichtsreiche Phase-III-Ergebnisse. Breit eingesetzt werden sie aber wohl erst im 2. Halbjahr 2021 (siehe # 021). Ob sie wirklich im großen Stil die Wende bringen, bleibt offen. Normalität dürfte mMn frühestens im Sommer 2022 wieder einkehren. Die Börse nimmt das typischerweise um sechs Monate vorweg. Also nicht schon jetzt.
B. Nein-Argumente
1. Zentralbanken-Geldblase (3)
Die Realwirtschaft ist in Europa und in USA am Boden. Lediglich in China hat sie wieder Fuß gefasst. Dass die Börsen nicht - die realwirtschafltiche Lage wiederspiegelnd - nahe den März 2020-Tiefs notieren, ist einzig und allein gigantischen Zentralbank-, Stimulus- und Neuverschuldungsmaßnahmen sowie Nullzinsen (besonders aggressiv in Europa) zu verdanken. All diese Hilfsprogramme haben jedoch die Staatsverschuldungen stark aufgebläht. Wenn die Covid-Krise im Winter nochmals längere Lockdowns erzwingt, kommen viele Staaten an ihre Grenzen. Speziell in Europa muss die EZB wohl weiterhin Staatsbailouts über die Notenpresse vornehmen. Das hält die Märkte zwar oben, gefällt ihnen aber nicht wirklich, weil Neuverschuldung fundamental nicht nachhaltig ist.
2. Fehlender Stimulus in USA (kurzfristig 4)
Der Rep-Senat wird bis Januar kein großzügiges Hilfspaket der Demokraten durchwinken. Die Dems haben es ja schon im Mai geschnürt. Seitdem liegt es beim Senat, der es drastisch abspecken will. Verhandlungen liefen vor der Wahl ins Leere. Jetzt, wo Trump draußen ist, dürfte der Rep-Senat "aus Rache" erst recht nichts machen, was die Dems später als ihr Verdienst vorzeigen könnten.
Was ab Jan. passiert, ist noch nicht absehbar. Gewinnen die beiden Dem-Senatoren bei der Stichwahl in Georgia, steht es im Senat 50 zu 50 - und Kamala Harris hat als Vizepräsidentin die entscheidende 51. Stimme. In dem Fall wäre ab Januar größerer Covid-Stimulus zu erwarten - und entsprechend weitere Börsenanstiege. Es ist daher zu pauschal, wenn immer argumentiert wird, Dems würden den Börsen schaden.
3. Mögliche Topbildung in den Indizes und Insider-Verkäufe großer Tech-CEOs (4)
Die aktuellen Insiderverkäufe sind eindeutig bärisch. Wer wenn nicht die CEOs großer Techfirmen wissen, wann der optimale Zeitpunkt zum Verkauf der von ihnen gehaltenen Firmenaktien gekommen ist? Details in # 027.
4. Wirtschaftliche Langzeitschäden durch Covid (3)
Nicht alle Schäden, die die Epidemie verursacht, lassen sich mit Geld beheben. Viele kleine Unternehmen, vor allem in USA, drohen für immer von der Bildfläche verschwinden. Viele US-Privatpersonen fliegen aus ihren Wohnungen, weil sie die Mieten nicht mehr bezahlen können und kein weiterer Stimulus zeitnah verfügbar sein dürfte. Es gibt Ökonomen, die behaupten, Covid stelle eine ökonomische "Zäsur" dar, würde also der Wirtschaft nachhaltig zurückwerfen. Danach wird die Welt nicht mehr so sein wie vorher.
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