Nord-Stream-Pipelines: Welche Folgen hat der Sabotageverdacht für die Nato-Perspektive der Ukraine? Inzwischen wird auch in der Nato eine Tatbeteiligung der Ukraine an den Explosionen für möglich, wenn nicht sogar wahrscheinlich gehalten. Das bringt die Allianz in eine schwierige Lage.
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Brüssel, Washington Noch ist es nur ein Verdacht – aber er erhärtet sich mit jedem neuen Detail, das an die Öffentlichkeit gelangt. Geht die Zerstörung der Nord-Stream-Pipelines in der Ostsee auf das Konto der Ukraine? Haben ukrainische Kampftaucher eine Jacht gemietet und die Rohre mit Sprengstoff zur Explosion gebracht?
Es sind Fragen, mit denen sich auch hochrangige Vertreter der Nato beschäftigen. Die Spur in die Ukraine wird als die wahrscheinlichste erachtet, wie das Handelsblatt aus der Allianz erfuhr. Es handele sich um einen „sehr ernsten Vorgang“.
Die anfängliche Mutmaßung, dass Russland die Pipeline selbst gesprengt habe, um die Energiekrise in Europa zu verschärfen, wird innerhalb der Nato mittlerweile als unwahrscheinlich eingestuft. Entsprechend wortkarg ist die offizielle Kommunikation der Allianz mit den Medien geworden. Die Sprachregelung lautet, man müsse die Ermittlungen abwarten.
Die Hinweise auf die Verwicklung der Ukraine kommen der Nato höchst ungelegen: Die Bündnispartner diskutieren derzeit darüber, wie sie die Unterstützung für das von Russland brutal angegriffene Land ausweiten und perspektivisch das schon 2008 gegebene Versprechen einlösen können, die Ukraine in das Bündnis aufzunehmen.
Diese Debatte prägte das Treffen der Nato-Verteidigungsminister in Brüssel am Donnerstag und Freitag, zu dem auch der ukrainische Verteidigungsminister Oleksij Resnikow angereist war. Die Regierung in Kiew dementiert in aller Schärfe, von den Anschlägen gewusst zu haben.
Sollte sich aber erweisen, dass die ukrainische Führung doch von den Pipeline-Sprengungen wusste, sie womöglich sogar angeordnet hat, müsste das Bündnis reagieren – in welcher Form, das ist offen. Nato verurteilte Sabotage an den Nord-Stream-Pipelines
Nach dem Anschlag im September 2022 hatte die Nato ein Statement veröffentlicht, in dem sie von „vorsätzlichen, rücksichtslosen und unverantwortlichen Sabotageakten“ sprach und warnte: „Jeder vorsätzliche Angriff auf die kritische Infrastruktur der Bündnispartner würde mit einer gemeinsamen und entschlossenen Reaktion beantwortet werden.“
Bisher, das wird auch im Nato-Kreis immer wieder betont, gibt es keine Beweise, nur einen schlimmen Verdacht. Offen darüber sprechen, will niemand. Auch die Bundesregierung hüllt sich in Schweigen, obwohl Berlin den Bau der Nord-Stream-Pipelines gegen erhebliche Widerstände in Osteuropa durchgesetzt hatte, um günstig an russisches Gas zu
„Die deutsche Politik wird da ganz vorsichtig sein“, sagt ein langjähriger Diplomat. „Auf keinen Fall will man die Nord-Stream-Debatte noch einmal aufleben lassen.“ Die Sorge ist, dass die Berichte prorussischen Kräften in Europa Auftrieb verleihen. „Für die ist das natürlich Munition“, erklärt der Diplomat.
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Zuletzt haben die „Washington Post“, die „Zeit“ und andere Medien über neue Details berichtet. Demnach erhielten die USA schon drei Monate vor den Explosionen am Ostseegrund am 26. September eine Warnung des niederländischen Geheimdiensts, dass ein Team von Kampftauchern unter dem Kommando des ukrainischen Generalstabs einen Sprengstoffanschlag vorbereite. Daraufhin sollen die Amerikaner die Bundesregierung informiert und die Ukrainer davor gewarnt haben, die Pläne in die Tat umzusetzen. Zerstörungen an beiden Nord-Stream-Pipelines
Bei den Explosionen südöstlich und nordöstlich der dänischen Ostseeinsel Bornholm wurden ein Strang der nie in Betrieb genommenen Nord-Stream-2-Pipeline und beide Stränge der älteren Nord-Stream-Pipeline zerrissen. Fotos, die zeigten, wie das Gas in kreisrunden Geysiren in die Atmosphäre entwich, gingen um die Welt. |