Ich sag ja, ich hab oft wenig Geduld, lange Texte zu lesen. Aber für solche Leute gibt es ja Gedichte... Ich habe gerade gemerkt, heute jährt sich der Todestag von Robert Desnos, dem französischen Dichter des Surrealismus, der von den Deutschen zur Zwangsarbeit und ins KZ verschleppt wurde und der wenige Wochen nach Kriegsende an den Nachwirkungen in Theresienstadt starb, am 8.6.1945 (für mich ist subjektiv noch der 8.6., ich bin einfach spät noch auf). Seine Gedichte zeichnen sich durch Sprachspiele aus, durch Absurdität und Musikalität. Manches scheint unübersetzbar, anderes ist fast Prosa und lässt sich bereitwillig auf Deutsch nacherzählen. Mir haben sich besonders viele Letzte Sätze aus seinen Gedichten ins Gedächtnis eingeprägt. Ich versuch mal einen Auszug aus "Un jour qu'il faisait nuit" nachzuerzählen.
(...)
Die Sterne des Mittags glänzten. (...)
Als wir durch den langen Marsch gut erholt waren, fanden wir den Mut uns hinzusetzen, und sogleich beim Aufwachen schlossen sich unsere Augen, und die Morgenröte goß ihre Vorräte an Nacht über uns aus.
Der Regen hat uns getrocknet.
Ich kanns nicht näher erklären, aber diese letzte Zeile "la pluie nous sécha" drückt für mich etwas aus, was in unmöglichen Umständen Hoffnung aufzeigt. Solche Hoffnung hätte ich auch dem Dichter gewünscht, als er unter schrecklichen Umständen viel zu früh sterben musste... Sehr schön, was Paul Eluard (zitiert im Wikipedia-Artikel Robert Desnos) über ihn sagte: „Von allen Dichtern, die ich kannte, war Desnos der unmittelbarste, der freiste; er war ein Dichter, den niemals die Inspiration verließ; er konnte sprechen, wie kaum ein Dichter schreiben kann. Er war der Tapferste von allen.“ |