Augen zu, und immer nach vorn schauen Lars Windhorst macht nach seiner Pleite wieder von sich reden – als angestellter Investor. Ob seine Geschäfte dieses Mal besser laufen, muss sich erst noch zeigen Von Rüdiger Jungbluth Donnerstagmittag vor einer Woche in Berlin-Mitte: Mit einem dicken Verband um den Kopf betritt Lars Windhorst das San Nicci, den derzeitigen Szene-Italiener Nummer eins. Wer hier mittags isst, kann sich darauf verlassen, dass er gesehen wird. Windhorst, dunkelblauer Anzug, nimmt Platz zusammen mit einem asiatisch aussehenden Mann. Doch es wirkt so, als würde er seinen Gesprächspartner zunächst gar nicht wahrnehmen – zu sehr ist er damit beschäftigt, sich umzublicken, umzudrehen. Als wollte er sich vergewissern, dass die Botschaft dieses Auftritts auch ja funktioniert: Seht bitte her, nichts kann mich unterkriegen. Nicht einmal ein Flugzeugunglück. Inszenieren lässt sich so ein Comeback nicht: Am zweiten Weihnachtstag verunglückte der 31-jährige Windhorst auf dem Weg nach Hongkong in Kasachstan in einem Flugzeug und kam nur knapp mit dem Leben davon. Anfang Januar überraschte er dann die Öffentlichkeit mit der Meldung, dass die von ihm geführte Beteiligungsfirma Vatas Holding ein Aktienpaket von 15,4 Prozent an der zweitgrößten deutschen Fluggesellschaft Air Berlin zusammengekauft hat. Vergangene Woche erhöhte Vatas die Beteiligung in zwei Schritten auf 18,6 Prozent – und produzierte wieder Schlagzeilen. Er ist wieder da, der Ganzjungunternehmer von einst. Das 18-jährige Wirtschaftswunderkind aus der Kohl-Ära, mit dem sich der CDU-Kanzler sogar hemdsärmelig fotografieren ließ. Der blonde Computerknabe mit den buschigen Augenbrauen, in dem manche die westfälische Antwort auf Bill Gates sahen. Jetzt steht er wieder im Mittelpunkt des Interesses, dieser immer noch bubihaft ausschauende Finanzjongleur, dessen persönliches Insolvenzverfahren im Sommer 2007 abgeschlossen wurde. Phönix aus der Asche? Jedenfalls spielt Windhorst wieder mit. Tolle Deals habe er mit der Vatas gemacht, stand in den Blättern. Durch die Beteiligung an der Internet- und Telefonfirma Freenet habe Windhorst 2007 mehr als 100 Millionen Euro verdient – in nur drei Monaten. Auch bei anderen Firmen soll er die Finger im Spiel haben: bei Curanum, einer Kette von Seniorenheimen, und beim Mobilfunkzulieferer Balda, wo auch die Bildschirme des Apple-Handys produziert werden. Zeitgleich kommen Details aus einem Ermittlungsverfahren der Berliner Staatsanwaltschaft aufs Tapet. Die Anklagebehörde geht Vorwürfen nach, dass sich Windhorst des Betruges, der Insolvenzverschleppung und der Kursmanipulation schuldig gemacht haben könnte. Außerdem soll er beim Offenbarungseid Konten verheimlicht haben. Ein Pleitier als Großinvestor – wie ist das möglich? Und wie schafft es einer, der als Träumer und Blender entlarvt zu sein schien, auf die Business-Bühne zurück? Man würde gern mit Lars Windhorst über sein Achterbahnleben reden. Aber er schweigt. Wohl deshalb, weil der Staatsanwalt gegen ihn ermittelt, und auch, weil Diskretion zu seinem Job als Geschäftsführer einer Beteiligungsfirma gehört. Es sei »die Firmenpolitik der Vatas Gruppe«, teilt das Unternehmen mit Sitz an der Berliner Friedrichstraße mit, »sich nicht in der Öffentlichkeit zur Anlagestrategie, zum Beteiligungsportfolio oder zu persönlichen Fragen an die Geschäftsführung zu äußern«. Windhorst ist nicht mit eigenem Geld unterwegs, sondern arbeitet als Angestellter für den Südafrikaner Robert Hersov, der aus einer Industriellenfamilie stammt und in London lebt. Ihm hilft Windhorst, Geld in deutsche Unternehmen zu investieren. Wenn es stimmt, was er bei seiner Insolvenz angegeben hat, kassiert Windhorst für den Job ein Gehalt von 5500 Euro im Monat. Der 100-Millionen-Gewinn bei Freenet erweist sich bei näherer Betrachtung als eine Fata Morgana. Zwar ist Vatas im Mai 2007 mit 18,7 Prozent bei Freenet eingestiegen und hat später tatsächlich eine hohe Sonderausschüttung kassiert. Allerdings kam der Geldregen nicht aus heiterem Himmel, sondern war schon absehbar, als Windhorst das Aktienpaket übernahm. Der Verkäufer, der Finanzinvestor Texas Pacific Group (TPG), kalkulierte die anstehende Ausschüttung beim Preis natürlich mit ein. Dem Vernehmen nach zahlte Vatas 426 Millionen Euro für die Aktien – einen hohen Preis. TPG hat an dem Freenet-Deal glänzend verdient. Wie die Sache für Vatas ausgeht, ist dagegen offen. Vermutlich hat Windhorst darauf spekuliert, die Aktien rasch zu einem höheren Preis weiterverkaufen zu können. Interessenten gibt es. Die Freenet-Konkurrenten Drillisch und United Internet würden die Firma gern übernehmen und aufteilen. Drillisch will die Mobilfunksparte, United Internet das DSL-Geschäft. Im vergangenen Sommer sah es so aus, als würde Windhorsts Plan aufgehen. Drillisch wollte die Aktien übernehmen. Dann aber platzte das Geschäft. Drillisch-Chef Paschalis Choulidis verbündete sich mit United-Internet-Gründer Ralph Dommermuth. Der ist ein kühler Rechner, der keine Fantasiepreise zahlt. Am Ende blieb Windhorst auf seinen Aktien sitzen. Dommermuth habe den Finanzinvestor Vatas kühl »ausgebremst«, kommentierte die Financial Times Deutschland. »Der wollte ohne Marktkenntnisse rasches Geld machen, sieht aber nun seine Felle davonschwimmen.« Da gibt es noch ein Problem. Es ist umstritten, wie viel die Aktien wirklich wert sind. Möglicherweise gar nichts, denn nach Ansicht des Wiesbadener Rechtsanwalts Hans-Konrad von Koester schuldet der Inhaber der Papiere dem Unternehmen eine Einlage in Milliardenhöhe. Das hängt mit der turbulenten Vorgeschichte der Firma zusammen. Die heutige Freenet AG ist im Frühjahr 2007 aus einer Fusion der alten freenet.de AG mit der Mobilcom AG entstanden. Bei den Aktien, die Vatas hält, handelt es sich größtenteils um frühere Mobilcom-Anteile, die im Jahr 2000 an France Télécom ausgegeben worden waren. Mit der Hilfe des französischen Telefonriesen ersteigerte der damalige Mobilcom-Chef Gerhard Schmid für den Wahnsinnsbetrag von über acht Milliarden Euro eine UMTS-Mobilfunklizenz. Aktionärsanwalt Koester vertritt die Ansicht, dass France Télécom für die Aktien keine Gegenleistung erbracht habe, weil das teure UMTS-Projekt später beerdigt wurde. Die Sache ist unter Rechtsexperten umstritten, aber in einem Schreiben hat das Landgericht Kiel Koesters Darlegungen im Juni immerhin als »schlüssig« bezeichnet. Diese Unsicherheit kam Dommermuth zupass. Im Dezember beendete er die Übernahmegespräche. Freenet ist ihm zu teuer. Angeblich will Windhorst für sein Paket mindestens 21 Euro pro Aktie. An der Börse kosten die Papiere nur 15 Euro. Dommermuth spielt auf Zeit. Da Freenet wohl zu klein ist, um auf Dauer alleine überleben zu können, steckt Windhorst in der Klemme. Gut möglich, dass er am Ende mit Verlust verkaufen muss. Es wäre nicht das erste Mal in seiner kurzen Karriere als Finanzinvestor. Unglücklich verlief auch der Einstieg bei der Jack White Productions AG. Bei der Musikfirma übernahm Vatas im Mai 2005 zehn Prozent der Aktien aus dem Besitz des Firmengründers Jack White. Der Preis: 6,3 Millionen Euro. »Das hat der Lars Windhorst sehr sauber und professionell gemacht«, berichtet Musikproduzent White. »Ich kann nichts Böses über ihn sagen.« Wie sollte er auch? White ist einer der wenigen, die mit Windhorst ein gutes Geschäft gemacht haben. Die Aktien, die der ihm für neun Euro das Stück abkaufte, fielen später drastisch im Wert. Als Vatas Ende 2006 ausstieg, kostete das Papier nur noch 2,50 Euro – ein Verlust von 72 Prozent. Auch bei Curanum, einem weiteren Windhorst-Investment, sah es zeitweilig düster aus. Bei der Seniorenheimkette hatte sich Windhorst im Juni 2007 mit zehn Prozent eingekauft, zum Kurs von 7,73 Euro. Dann rutschte die Aktie auf 4,50 Euro. Inzwischen hat sich der Kurs mehr als erholt – und Vatas die Beteiligung von 10 auf 18 Prozent erhöht. Wenigstens diese Anlage läuft nun nach Plan. Das beste Geschäft, das Windhorst bislang gemacht hat, dürfte seine eigene Entschuldung gewesen sein. Ende 2004 beantragte er Privatinsolvenz. Er nutzte das neue gesetzliche Verfahren, dass eigentlich dazu gedacht war, überschuldeten Verbrauchern einen Neuanfang zu ermöglichen. Durch die Zahlung von 1,6 Millionen Euro (die er vermutlich von Hersov bekam) befreite sich der Finanzjongleur von Schulden in Höhe von 81 Millionen Euro. Einer will sich damit nicht zufrieden geben. Der Hamburger Klinikunternehmer Ulrich Marseille hatte Windhorst im März 2001 umgerechnet zehn Millionen Euro geliehen – als Überbrückungskredit für vier Monate. Marseille hatte Windhorst über den früheren Bild-Chefredakteur und Kommunikationsberater Hans-Hermann Tiedje kennengelernt und hoffte, dass ihm Windhorst mit seinen vielen guten Geschäftskontakten beim Weiterverkauf von 3.000 Plattenwohnungen in Halle/Saale helfen würde, die Marseille nach der Vereinigung erworben hatte. Windhorst präsentierte Marseille ein Schreiben aus der Luxemburger Filiale der Hamburger Warburg-Bank. Darin hieß es, dass dem Jungunternehmer demnächst 20 Millionen Mark aus einer »von uns arrangierten Privatplatzierung« zufließen würden. Warburg verwaltete damals ein Vermögen von umgerechnet rund 600 Millionen Euro für die Familie des 1998 gestorbenen nigerianischen Diktators Sani Abacha. Ein kleiner Teil des Geldes sollte bei Windhorst angelegt werden. Der hatte keine Skrupel. Doch der Deal kam nicht zustande. Nach einem Rechtshilfeersuchen der demokratisch gewählten Regierung Nigerias wurden die Abacha-Konten bei der Warburg-Bank am 20. März 2000 beschlagnahmt. Das Geld durfte danach nur noch konservativ und sicher angelegt werden. Im Juni 2001 lehnte eine Luxemburger Untersuchungsrichterin ein Investment von Abacha-Geldern in einer Windhorst-Firma als zu riskant ab. Für den hoch verschuldeten Windhorst wurde es eng. Marseille zwang ihn, eine eidesstattliche Versicherung abzugeben, und zeigte ihn wegen Betruges an. Er verklagte auch die Warburg-Bank und einen Mitarbeiter ihrer Luxemburger Tochter. Vor dem Oberlandesgericht Koblenz verlor Marseille jüngst den Prozess gegen den Banker, seine Vorwürfe gegen Windhorst, die dieser stets zurückgewiesen hat, hielten die Richter aber für berechtigt. »Es spricht viel dafür, dass der Zeuge Windhorst einen Eingehungsbetrug begangen hat, indem er den Kläger (Marseille, Anm. d. Red.) unter Vorspiegelung falscher Tatsachen zur Hingabe eines Darlehens von 20 Millionen DM bewogen hat«, heißt es in dem Urteil vom 9. November 2007. Windhorst habe sich damals »in einer desaströsen finanziellen Situation befunden« und musste »davon ausgehen, dass er zu Darlehensrückzahlung nicht oder jedenfalls nicht komplett in der Lage sein werde«. Marseille will nicht lockerlassen. »Windhorst ist ein lupenreiner Großbetrüger«, sagt er. »Bitte zitieren Sie mich!« Und Tiedje höhnt: »Der Windhorst ist ein Krimineller. Das können Sie schreiben. Der fürchtet nichts so sehr wie einen deutschen Gerichtssaal.« Diesen Artikel finden Sie als Audiodatei im Premiumbereich unter www.zeit.de/audio DIE ZEIT, 17.01.2008 Nr. 04 und die zeit läuft...vatas will(braucht) kohle.....und zwar schnell |