Immunsystem an
https://www.faz.net/aktuell/politik/wahl-in-amerika/coronatest-positiv-was-nun-von-trumps-immunsystem-abhaengt-16982634.html?premium
(Auszüge)
Dass diese Infektion nach offiziellen Angaben ungefähr die siebenmillionenzweihundertvierzigtausendste im Land hochpolitisch ist, daran beißt die Maus freilich keinen Faden ab. Viel hängt nun davon ab, ob Trump, seine Ehefrau Melania und seine ihm auch persönlich nahestehende Beraterin Hope Hicks überhaupt ernsthaft erkranken. Der Arzt des Präsidenten teilte in der Nacht mit, dem Ehepaar Trump gehe es derzeit gut und er erwarte, dass der 74 Jahre alte Präsident seinen Amtsgeschäften ohne Unterbrechung nachgehen könne. 32 Tage vor der Wahl ist das in erster Linie ein politisches Statement aus dem Weißen Haus; glaubwürdiger klänge Trumps Leibarzt, wenn er wenigstens ein nach jetzigem Stand hinzugefügt hätte. Schließlich ist inzwischen bekannt, wie schnell bei Covid-19 vermeintlich harmlose Verläufe in schwere Krankheiten münden können.
Man hätte von Trump eigentlich auch erwartet, dass er es in seinem Tweet herausstellen würde, wenn alle drei Infizierten im Weißen Haus gesund und munter wären. Stattdessen sprach er davon, dass der Genesungsprozess nun sofort beginne. Die für diesen Freitag geplanten Termine Spendensammeln bei reichen Gönnern im Trump International Hotel nahe dem Weißen Haus und eine Kundgebung in Florida wurden abgesagt...
Was die Aussichten der beiden Kandidaten angeht, ist nun eine andere Frage viel wichtiger: Liefert Trump mit einem schwereren Krankheitsverlauf ungewollt den Beweis dafür, dass Biden Recht mit seiner Vorsicht hatte? Oder bleibt er gesund und kann das als vermeintlichen Beleg dafür verkaufen, dass das Virus eben doch nur halb so wild sei? Trump hat darauf gesetzt, die Wahl zu einem Duell Kraftprotz gegen Schwächling zu erklären. Fällt ihm das nun auf die Füße, oder kann er noch draufsatteln? Darüber entscheidet jetzt das Immunsystem des Präsidenten. Dass ihn die Demokraten im Falle einer schweren Erkrankung schonen, darf Trump jedenfalls nicht erwarten. Sie wissen noch sehr genau, wie gnadenlos das Trump-Lager schon im September 2016 Kapital aus Hillary Clintons Schwächeanfall und leichter Lungenentzündung zu schlagen versuchte. Keine Krankheit im medizinischen Wörterbuch, die der Demokratin damals nicht von Trump oder dessen Büchsenspannern angedichtet worden wäre; in den sozialen Medien wurden entsprechende Fotomontagen millionenfach geteilt. So wie Biden von rechten Meinungsmachern (und Trump) seit Monaten als gebrechlicher Greis abgestempelt wird, der seine Sinne nicht mehr beisammen habe. In diesem Klima werden die politischen Gegner nicht zögern, Trump seine oft frivolen Sätze aus den vergangenen Monaten über die vermeintliche Harmlosigkeit des Virus jetzt noch heftiger um die Ohren zu hauen. Es geht aber nicht nur um den Wahlkampf. Trumps (erste) Amtszeit endet erst in 117 Tagen. Das werden auch in den Vereinigten Staaten entscheidende Monate für den Verlauf der Pandemie sein. Auch wenn Biden schamlos übertreibt, wenn er dem Präsidenten bisweilen die Schuld an praktisch allen mehr als 200.000 Corona-Toten im Land zuschreibt, so bleibt dessen erratisches, auf Spaltung und Kulturkampf setzendes Krisenmanagement doch ein erhebliches Hindernis bei der Pandemiebekämpfung. In Großbritannien sind viele der Ansicht, erst nach der schweren Corona-Erkrankung von Premierminister Boris Johnson habe dieser den Ernst der Lage verinnerlicht und einen vernünftigeren Kurs eingeschlagen. Könnte sich das in den Vereinigten Staaten wiederholen? ...
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