Hohes Leergeld bei Bau des Atomkraftwerks in Finnland AKW-Bau in Finnland: Hohes Lehrgeld für Mühleberg Artikel als E-Mail versenden Empfänger (E-Mail)* Absender (E-mail)* Schliessen Für den Bau eines neuen Atomkraftwerks in Mühleberg muss die BKW noch viele Hürden überwinden. In Finnland dagegen läuft der Bau des ersten AKW der neusten Generation auf Hochtouren – und sorgt für viel Streit. 
Mit Blick auf den Bottnischen Meerbusen: Auf der finnischen Halbinsel Olkiluoto bauen bis zu 4000 Arbeiter das erste Atomkraftwerk der dritten Generation. Bild: TVO/Hannu Huovila (Bild: BZGrafik: Signer) Grünes Licht für Endlager Finnland hat als weltweit einziges Land eine politisch abgesegnete Lösung für die Lagerung hoch radioaktiver Abfälle: Im Juli dieses Jahres stimmte das Parlament dem Plan der Regierung zu, unter der Insel Olkiluoto ein Tiefenlager zu bauen. Dieses ist in 420 Metern Tiefe im Granitgestein geplant. Derzeit laufen die Untersuchungen über die Eignung des Gesteins, indem ein Stollen in diese Tiefen gebaut wird. Die Inbetriebnahme ist für das Jahr 2020 geplant. Die politische Akzeptanz in der Region ist hoch, da die Atomkraft dort ein wirtschaftlich wichtiger Faktor ist. In der Schweiz hat die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) drei geologisch geeignete Standorte für ein Tiefenlager für hochradioaktive Abfälle ausgemacht. Diese liegen in den Regionen Zürcher Weinland, Nördlich Lägeren (Kanton Zürich) und Bözberg (Kanton Aargau). Voraussichtlich Mitte 2011 wird der Bundesrat bestimmen, welche zwei Standorte die geeignetsten sind. Diese durchlaufen dann die nächsten Etappen. Das letzte Wort dürfte das Schweizervolk haben, da der Standortentscheid des Parlaments dem fakultativen Referendum untersteht. Ziel des Bundesrates ist es, dass das Endlager 2040 seinen Betrieb aufnimmt. So könnte es in einigen Jahren in Mühleberg aussehen: Die idyllisch am Bottnischen Meerbusen gelegene Insel Olkiluoto ist das Herz Finnlands. Bereits heute pumpen zwei Atomkraftwerke, die zusammen mehr als die vierfache Leistung des AKW Mühleberg erbringen, Strom in die finnischen Haushalte und Fabriken. Diese sind stromhungrig: Der Pro-Kopf-Verbrauch ist fast doppelt so gross wie in der Schweiz – vor allem auch, weil das Heizen mit Strom populär ist. Viermal Mühleberg Heute ist Olkiluoto zu einer Art Mekka für Vertreter der Atomwirtschaft geworden. Seit dem Jahr 2005 baut ein Konsortium bestehend aus dem französischen Kraftwerkbauer Areva und dem deutschen Industriekonzern Siemens ein Atomkraftwerk der neuen dritten Generation mit einer Leistung von 1600 Megawatt, was viermal mehr ist als diejenige des heutigen AKW in Mühleberg. Käuferin ist die Betreibergesellschaft TVO, die verschiedenen finnischen Energiefirmen gehört. Ein gleich modernes Kraftwerk will das Berner Energieunternehmen BKW in Mühleberg bauen – wenn es eines Tages tatsächlich die Bewilligung erhält. Technisch wird es einen grossen Unterschied zwischen den Anlagen geben: Während das AKW in Finnland mit Meerwasser gekühlt wird, ist die Kühlung in Mühleberg in einem Turm geplant. 4000 Arbeiter vor Ort Auf der Fahrt zur Baustelle sind zuerst rechts und links der Strasse Baracken zu sehen, in denen die Bauarbeiter wohnen. Derzeit sind rund 4000 Bauarbeiter aus über 50 Ländern auf der Baustelle tätig – die BKW rechnet für Mühleberg mit 2500 Arbeitern. Da die Arbeiten auf der Baustelle hohe Spezialkenntnisse erfordern, liegt der Anteil der Finnen bei nur wenigen Prozenten. Höhe von 70 Metern Beim Gang über die Baustelle fallen die riesigen Dimensionen auf: Die Kuppel des Reaktorgebäudes hat eine Höhe von 70 Metern. Im Innern sind die Arbeiten voll im Gang. In den Gängen herrscht emsiges Treiben. Der Druckbehälter – das riesige Stahlgefäss, in dem später die Brennstäbe installiert werden und wo die atomare Reaktion abläuft – ist bereits installiert. Doch es ist offensichtlich, dass den Arbeitern der französischen Areva noch viel zu tun bleibt. Im Prinzip funktioniert ein Atomkraftwerk der dritten Generation gleich wie eines der zweiten. Verschiedene Sicherheitssysteme für einen Störfall sind jedoch verstärkt worden. Zudem besteht die Hülle des Reaktorbereichs aus einer 1,8 Meter dicken Betonwand. Bei den AKW früherer Bauart war diese Hülle rund 1,5 Meter dick. Sie dient dazu, die Anlage vor einem beabsichtigten oder unbeabsichtigten Flugzeugabsturz zu schützen. Das Reich von Siemens Der riesige Turbinenraum ist deutsches Hoheitsgebiet. Hier sind die Siemens-Angestellten am Werk: «Es ist die grösste Dampfturbine der Welt», erklärt der zuständige Siemens-Ingenieur mit Stolz. Die 4300 Tonnen schwere Anlage ist weitgehend fertiggestellt. Sie ist ein Produkt deutscher Ingenieurkunst. So müssen Teile auf einen Bruchteil eines Millimeters genau hergestellt sein. Anschliessend an die Turbine folgt der Generator, der nach dem Prinzip eines Velodynamos Strom erzeugt. Kritische Aufseher Die Erbauer der Anlage haben für ihre Innovationen viel Lehrgeld bezahlt: Die finnische Atomaufsichtsbehörde verfolgte das Projekt sehr kritisch. So bemängelte sie, dass es in Bezug auf das Leitsystem des Atomkraftwerks viele offene Fragen gebe. Die Folge waren grosse Verzögerungen: Ursprünglich hätte die Anlage in diesem Jahr den Betrieb aufnehmen sollen. Nun soll das AKW im Jahr 2013 ans Netz gehen. Die französische Kraftwerkbauerin Areva hat mit der finnischen Betreibergesellschaft TVO einen Fixpreis von rund drei Milliarden Euro vereinbart, was aktuell rund vier Milliarden Franken entspricht. Wie hoch die effektiven Baukosten schliesslich sein werden, darüber schweigen sich die Areva-Vertreter in Olkiluoto aus. Die Zahl dürfte im Bereich von sechs bis acht Milliarden Franken liegen. Streit um Strafzahlungen Wegen der Verzögerung muss Areva an TVO Strafzahlungen in Höhe von mehreren Hundert Millionen Franken bezahlen. Areva versucht nun aber, den Spiess umzudrehen, und will gerichtlich feststellen lassen, dass auch TVO eine Mitschuld trägt. Streitpunkt ist vor allem, ob TVO die Sicherheitsanforderungen genau genug definiert hat. So gibt es genaue Vorschriften darüber, wie Schweissnähte anzubringen und zu dokumentieren sind oder wie der Beton zu mischen ist. Da diese Vorschriften von den Erbauern und den Aufsichtsbehörden unterschiedlich interpretiert wurden, mussten diverse Bauteile ein zweites Mal hergestellt werden. AKW-Bau als Grossrisiko Diese Probleme werden auch für die BKW nicht ohne Folgen bleiben. Das Desaster in Olkiluoto zeigt, welche Risiken der Bau einer solchen Grossanlage in sich birgt. Aber auch die Hersteller werden über die Bücher gehen und ihre Preise völlig neu berechnen. Diese werden nicht unter den effektiven Baukosten in Olkiluoto liegen. Fest steht: Hinter den Kulissen gehen die AKW-Hersteller bereits in dieser Phase in Position, um der BKW das neue AKW in Mühleberg zu verkaufen. Neben Areva ist auch das US-amerikanisch-japanische Konsortium Westinghouse-Toshiba im Rennen. So oder so: Eine entscheidende Weiche, ob die BKW in Mühleberg bauen darf, wird das Bernervolk wohl bereits am 13.Februar 2011 stellen. Dann kann es entscheiden, wie sich die Berner Regierung zum Rahmengesuch äussern soll. Dieser Text entstand im Rahmen einer Medienreise, für die das Nuklearforum Schweiz eingeladen hatte. (Berner Zeitung) Erstellt: 13.09.2010, 07:34 Uhr |